Reisen in Dunkeldeutschland 9

Vielleicht ist es einfach nur Zufall: In letzter Zeit werden ostdeutsche Themen oft literarisch verpackt. Ein kurzer Überblick:

Den Deutschen Buchpreis 2011 hat Eugen Ruge für seinen autobiographischen Roman erhalten: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“  schildert das Leben einer Familie in der DDR.

Im Zuge der „Wiederentdeckung“ der rechten Gewalt in Ostdeutschland schickte das ZDF Steven Uhly nach Jena. Uhly ist Schriftsteller und hat einen Roman geschrieben, in dem Neonazis Türken ermorden. Er wohnt in München, „sieht nicht deutsch aus“ (wie er selbst sagt) und hat Angst im Osten Deutschlands. Gegen diesen Beitrag der Kultursendung „kontraste“, in dem von der „ostdeutschen Angstzone“ gesprochen wird, ist bereits Kritik laut geworden. Am Ende des Beitrags hat sich Uhlys Blick auf den Osten Deutschland nicht gewandelt, er steht in der Abenddämmerung.

(Dieses Video wird wahrscheinlich bald aus der ZDF-Mediathek verschwinden — dann bleibt nur noch der Beitrag auf der Website von „kontraste“.)

In der Zeit schließlich gibt es einen Beitrag der Thriller-Autorin Claudia Puhlfürst über den „Horror, der Geschichte schreibt“. Die Schriftstellerin wohnt in Zwickau und fühle sich von der Realität überholt; sie vergleicht ihre Romanfiguren mit der beschaulichen Bürgerlichkeit Zwickaus. Sie stellt aber auch fest:

Die Tatorte aber liegen nicht in Zwickau, nicht mal in der Nähe, am „dichtesten“ dran ist Nürnberg, mehr als 200 Kilometer weit weg. „Zwickauer Zelle“?

Sie hätte schon hier die gesamte Voraussetzung für ihren Artikel überdenken können, aber vielleicht ist es diese Erkenntnis, durch die ihr Beitrag zur Debatte nicht ganz so dunkel erscheint. Vielleicht hilft eine literarische Verpackung bei aktuellen Debatten aber auch nur bedingt weiter.

Nachtrag 30.11.2011: Steven Uhly hat einen ausführlichen Text auf thueringer-allgemeine.de geschrieben — er beschreibt seine Erfahrungen beim Dreh des Beitrags und wie durch Schnitt, Bildersprache und Off-Kommentar Stimmung erzeugt wird. Und wie seine eigenen Erfahrungen mit dem Ostens Deutschlands auf das Gefühl der Angst reduziert worden sind. Ein wichtiger Grund für seine Angst sind Medienberichte über rassistische Vorfälle im Osten — und hier schließt sich der Kreis, wenn (westdeutsche) mediale Berichterstattung ihre eigenen Bilder zu bestätigen sucht und dabei auf Menschen trifft, die vor allem diese Bilder aus den Medien kennen. Nichts anderes hat meiner Ansicht nach der ZDF-Beitrag getan, in dem Uhly auftritt. Damit wird wieder einmal mit einer Außenperspektive auf rassistische Vorgänge im Osten geworfen, die stark homogenisiert und vereinfacht.

Vielen Dank auch an dieser Stelle nochmal an Urmila für die Diskussion zu diesem Beitrag, in der wir einige Punkte, die Steven Uhly in diesem Artikel anspricht, auch schon angerissen hatten.

9 thoughts on “Reisen in Dunkeldeutschland

  1. Reply Urmila Nov 28,2011 11:32

    Die Darstellung des Beitrags mit Steven Uhly ist mir zu wenig komplex. Hier steht nicht einfach West gegen Ost, sondern ein von Rassismus negativ Betroffener aus Westdeutschland der den Osten als Angstzone betrachtet. Diese Angst von Menschen, die als nicht Deutsch aussehend betrachtet werden, ist real und begründet — und sicher auch verbunden mit einer westdeutschen Perspektive. Mit dem Blick auf nur ein Ungleichheitsverhältnis wird mensch diesem Kontext nicht gerecht — es braucht hier eine intersektionale Analyse.

    • Reply Silvio Nov 28,2011 12:53

      Ein intersektionaler Blick wäre definitiv gewinnbringend, das stimmt. Allerdings habe ich mich auch absichtlich — durchaus zuspitzend — auf den medialen Blick beschränkt, der hier präsentiert wird. Und in diesem Blick dient Steven Uhly als zweifach kompetenter Gewährsmann, eben als von Rassismus Betroffener und als Schriftsteller, der zu einem passenden Thema geschrieben hat, wenn auch nicht zum Rassismus in Ostdeutschland (wenn ich das richtig sehe). Seine Ängste kann und möchte ich ihm keinesfalls absprechen, aber ich möchte kritisch die Stoßrichtung des Beitrags anmerken: Uhly wird als Münchener von der Redaktion des Beitrags in den Osten geschickt, gewissermaßen als westdeutsches Subjekt, das den dortigen Rechtsextremismus erkundet. Ostdeutsche Stimmen kommen nur in Interaktion mit diesem westdeutschen Blick vor. Dass Uhlys Meinung sich nicht geändert hat, nachdem er einen Tag lang Kontakt mit Menschen hatte, die ständig direkt mit Rechtsextremismus zu haben, ist logisch und verständlich. Aber dass ihm überhaupt diese Frage gestellt worden ist, das ist für mich der eigentliche Knackpunkt: Denn die Antwort stand dementsprechend schon fest und es ging wohl nur darum, diese Antwort zu bestätigen. Und das finde ich dann doch etwas dürftig für einen Beitrag einer Kultursendung.

      • Reply Urmila Nov 29,2011 17:13

        Die mediale Inszenierung ist durchaus in mehrer Hinsicht zu hinterfragen, unter anderem: Warum interessieren Rassismuserfahrungen nur, wenn es um den Osten Deutschlands geht? Warum werden keine Menschen mit Rassismuserfahrungen, die im Osten Deutschlands leben, befragt? Insofern kann ich mit Deiner Kritik mitgehen. 

        Du verlinkst aber auch auf den Abendblatt-Artikel mit dem Verweis „ist bereits Kritik laut geworden“. Die Kritik, die dort laut wird, ist die übliche Abweisung von Rassismuskritik, die auch schon im Fall von Mügeln und Rudolstadt zu beobachten war. In all diesen Fällen kommen zwei Dinge zusammen: zum einen ein reales Problem mit gewalttätigem Rassismus, zum anderen die westdeutsche Dominanz, die den Rassismus in den Osten verschiebt. Um damit umzugehen, müssen beide Differenzlinien im Auge behalten werden und nicht nur die eine (Rassismus) oder andere (Westdominanz) angeprangert und die jeweils andere ignoriert werden. Daher finde ich Deine Zuspitzung problematisch bzw. zu wenig auf die Medien zugespitzt und zu sehr der Kritik an Uhlys Aussagen Raum gebend.

        • Reply Silvio Nov 29,2011 23:52

          Danke für den Hinweis, dass hier meine Bezugsebene nicht klar genug war. Ich denke, ich kann im Rahmen von einwende letztlich nur mediale Projektionen und Konstruktionen betrachten und versuchen, diese einzuordnen und zu hinterfragen. In diesem Fall etwa fand ich die Hell-Dunkel-Metaphorik in den Beiträgen sehr interessant und bezeichnend für den Blick auf den Osten Deutschlands. Bei künftigen Beiträgen werde ich versuchen, deutlicher zu machen, um welche Ebene es mir eigentlich geht.

          Vielen Dank auch für die Einordnung des Abendblatt-Artikels. Ich befürchte, dieser vorwiegend herrschende Automatismus von Aktion (Fingerzeig auf den Osten als komplett fremdenfeindlich) und Reaktion (Abwehrhaltung im Osten mit völliger Verneinung) ist eher kontraproduktiv in Hinblick auf eine lösungsorierentierte Zustandsbeschreibung des Rassismus. Zumal ja auch gerne die Ursachen dieser (und anderer) Probleme im Osten in die DDR-Zeit verlegt werden, was auch noch mal einen differenzierten, gesamtdeutschen, Blick auf die Probleme behindert.

        • Reply Silvio Nov 30,2011 17:31

          Ich habe den Beitrag ergänzt um einen Hinweis auf einen Text von Steven Uhly. Die Sache wird damit etwas runder, hoffe ich.

        • Reply Urmila Nov 30,2011 18:19

          Danke für die Diskussion und den Artikel von Uhly, so wird die Sache tatsächlich runder. 

          Auch wenn ich die westdeutsche Verschiebung des Rassismus in den Osten auch kritisiere, bleibt es allerdings eine Realität, dass viele Menschen, die physiognomisch nicht für ‚Deutsche‘ gehalten werden, sich im Osten Deutschlands mehr vor körperlichen Übergriffen fürchten als im Westen. Und das nicht nur aufgrund von Medienberichterstattung sondern aufgrund von eigenen Erlebnissen und jenen von Freund_innen. Auch ich habe diese Angst und sie lässt sich nicht damit wegdefinieren, dass ich weiss, dass eine solche Angst instrumentalisiert wird, um Westdominanz zu stabilisieren.

  2. Reply Urmila Dez 7,2011 18:27

    Die Berliner Zeitung berichtet heute ausführlich und differenziert über die Diskussion rund um die Aspekte-Sendung. (Nachdem ich jetzt weiss, dass Güner Balci den Beitrag mit produziert hat, wundert es mich nicht, dass der suggestiv zusammengestellt ist. Das scheint Balcis Spezialität.)

    • Reply Urmila Dez 13,2011 23:30

      Und weiter geht es: Diesmal mit einem Kommentar in der taz von Daniel Bax. Allerdings spielt dieser mir auch zu sehr die ‚Ostdeutschen‘ gegen die ‚West-Migrant_innen‘ (oder andersrum) aus. Die ‚Ost-Migrant_innen‘ fehlen mal wieder.

  3. Reply ostdenken Jan 25,2012 17:12

    Etwas Allgemeines hier über die Berichterstattung der Medien: http://www.l‑iz.de/Bildung/B%C3%BCcher/2010/01/Die-Ostdeutschen-in-den-Medien.html
    Das Buch veranschaulicht, dass die Berichterstattung über Ostdeutsche bestehende Vorstellungen und Einstellungen verstärkt. Das Bild des Ostens wird durch kritische Aspekte dominiert. Im Rückblick auf die DDR bestimmt der Stasi-Komplex das Bild. In einer Gegenüberstellung von Vorurteilen (negaitv konnotiert) und Stereotype (nach Ganter zur Klassifizierung gruppenbezogener Identität dienend) ergibt sich das mediale Bild über den Osten als vorurteilig. Da die Mediendiskurse generell ein Teil des Transformationsprozesses zwischen Gesellschaft und Wirklichkeit sind, sind die Bedeutungs- und Sinnzuweisungen der Ostdeutschen tief im kommunikativen Gedächtnis der Gesellschaft verankert — und zwar finden sie sich nach meiner Erfahrung ebenso bei den Ostdeutschen selbst.

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