Liebe Journalistinnen und Journalisten der Welt,
Sie geben aktuell Tipps, wie man „gebürtige Ostdeutsche zur Weißglut bringt“. Sie tun dies in der Rubrik „Reise“ zwischen Kalabrien und Kreuzfahrten, was entweder vollkommen ehrlich ist oder aber versteckte Satire — wie subversiv!
Nur: Ich verstehe diesen Artikel einfach nicht. Sollten diese Ratschläge tatsächlich ernst gemeint sein, dann verfehlen sie ihr Ziel meilenweit. Die ostdeutschen Reaktionen darauf werden wohl kaum „Weißglut“ sein, sondern schlicht Mitleid: Wenn es im Jahr 2014 tatsächlich noch Menschen gibt, die mit solch ausgetretenen Klischees um die Ecke kommen, kann man sie nur in den Arm nehmen und streicheln: Es war doch nicht alles schlecht in den letzten 25 Jahren. Nicht weinen.
Wenn dies aber lustig sein soll, dann verstehe ich leider den Humor nicht. Soll er die anderen, die ostdeutschen Gewohnheiten aufs Korn nehmen? Dafür argumentiert Ihr Text zu besserwisserisch, von oben herab. Humor funktioniert aber genau anders herum: Nicht auf die da unten herumtrampeln, sondern über die da oben lachen. Prinzipiell haben Sie das auch erkannt und versuchen sich immer wieder in die untergeordnete Position zu mogeln und erwähnen „Westdeutsche, die sich ausgegrenzt fühlen“, Westdeutsche, die unter ostdeutschem Toilettenpapier leiden mussten oder „dreiviertel acht“ nicht kennen. Allerdings: Guter Humor kennt sein Angriffsziel und nicht nur sich selbst. Wer keine Ahnung hat und sich trotzdem lustig macht, wirkt ignorant.
Und so bleibt als Ironie, dass Ihr Beitrag in jeglicher Hinsicht fehl am Platze ist: Er hebt im Jahr 25 des Mauerfalls auf deutlich veraltete Muster in der deutsch-deutschen Kommunikation ab. Und er ist als Satire gänzlich unbrauchbar.
Es ist mir klar, dass das Sommerloch immer größer wird. Natürlich wurde in 24 Erinnerungsjahren alles schon mal gemacht und Ideen liegen nicht auf der Straße. Und bestimmt will man auch mal so fies sein wie Holger Witzel mit „Schnauze, Wessi“. Das ist alles richtig. Man sollte es aber auch können.
Freundlichst,
Ihr kritischer Beobachter von einwende
P.S.: Wann kommen eigentlich die Tipps für Ostdeutsche? Als ausgemachte Experten sollten Sie ja bestens wissen, wie man Sie Westdeutsche ärgern kann. Folgende Dinge habe ich probiert: In Hamburg sage ich bei jeder Gelegenheit „Grüß Gott“. Beim Betreten der Wohnungen meiner Wessi-Freunde ziehe ich grundsätzlich die Schuhe aus. Bei Gesprächen mit Menschen aus der alten BRD korrigiere ich jedes ihrer „ich“ mit „wir“. Und wenn ich in westdeutschen Cafés warten muss, balle ich die Faust und rufe „Wir sind das Volk!“ Leider alles ohne Erfolg.