Plattenbauten: Immer die gleiche Platte?

Ach ja, es ist eine so einfache Schlussfolgerung: Die Plattenbauten aus der DDR sind nicht lebenswert und ziehen nur sozial schwache Menschen an. Entsprechende Medienberichte gibt es seit Jahren, so auch jetzt wieder. Die Ostsee-Zeitung vom 21. November berichtet über eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB). Die räumliche Trennung von Arm und Reich sei in ostdeutschen Städten historisch beispiellos, beispielsweise in Rostock.

Aus Sicht der Stadtverwaltung ist die Hauptursache für diese Entwicklung der industrielle Wohnungsbau zu DDR-Zeiten. WZB-Studienleiter Helbig bestätigt das: „In Rostock, Erfurt, Potsdam, Weimar oder Halle ergab sich durch die sozialistischen Plattenbauten am Rande der Städte und die Sanierung der Innenstädte nach der Wende eine enorme architektonische Schere.“

Aber was ist das, eine architektonische Schere? Prinzipiell ist das ein Unterschied zwischen sanierten Innenstädten auf der einen Seite und dem Leben in Randgebieten auf der anderen Seite.

Nun müssen unterschiedliche Arten von Wohnhäusern nicht schlimm sein. Das wird es aber, sobald es Konsequenzen für die dort Lebenden hat.

Weil die Plattenbauten weniger begehrt sind, blieben die Mieten hier niedrig. In den Stadtzentren wird’s hingegen immer teurer. „Entsprechend groß ist die soziale Schere: In den Plattenbaugebieten leben vergleichsweise viele Hartz-IV-Empfänger“, sagt Helbig.

Damit kommen wir dem eigentlichen Problem näher: Nicht der Plattenbau ist pervers, sondern die Situation in der er steht. Ein Problem, das die Redaktion der Ostsee-Zeitung hätte sehen können. Denn im gleichen Artikel steht der entsprechende Hinweis. Und auch die Forschenden hätten es sehen können, denn sie haben die Zahlen erhoben:

Zwischen 2005 und 2014 habe die soziale Spaltung in Rostock sogar deutschlandweit am meisten zugenommen.

Plattenbauten und ihr Image

In einer Zeit lange nach der DDR wächst die soziale Spaltung in Rostock. Mit anderen Worten: Nicht die Plattenbauten sind schuld, dass sie als Orte für sozialen Abstieg gelten. Sie wurden dazu gemacht. Von Stadtverwaltungen, die sich nach 1990 nicht um sie gekümmert haben — und von Medien, die eine einfache Erzählform für diese Gebiete hatten. Ebenfalls seit 1990. So schrieb Nikolaus Bernau 2016 in der Berliner Zeitung:

Das Problem sind nicht die Bauten, sondern das negative soziale Image, das mit ihnen inzwischen verbunden ist.

Dieses Image sei oft konstruiert, führt er aus.

Dabei lässt sich auch ein anderes Bild zeichnen. So berichtete der RBB kürzlich über den Bau neuer Typenbauten — und ließ den Architekten ausführlich die Plattenbauten aus der DDR loben:

Es geht — fast im Sinne des gründerzeitlichen Bauens — darum, dass man gute und bewährte Grundrisse zu Modulen zusammenfügt. […] Wir haben uns — durchaus mit Hochachtung — die sehr klugen Grundrisse angeschaut. […] Wir konnten aus der DDR-Platte etwas lernen — klar.

Es wäre gut, wenn diese Sichtweise die heutige Wahrnehmung bereichern könnten — denn noch wird zu einseitig auf das Leben im Plattenbau gesehen. Dass damit auch Vorannahmen einher gehen, war auch schon in den 1970er Jahren der Fall, wie Nikolaus Bernau schreibt:

Zur Überraschung vieler Forscher stellte sich heraus, dass viele Menschen eigentlich gerne in den von der Politik und den Nicht-dort-Wohnenden verachteten Häusern lebten. Aber sie hatten auch das Gefühl, es sei eigentlich sozial nicht akzeptabel, sich hier wohlzufühlen, litten geradezu unter einem kollektiven Minderwertigkeitskomplex.


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