Dramatische Fluchtgeschichten zu 60 Jahren Mauerbau

Was unterscheidet den Tag der deutschen Einheit, den Tag des Mauerfalls und den Tag des Mauerbaus? Zu den ersten beiden Tagen präsentieren Medien gerne Ost-West-Paare, die von ihrer Beziehung berichten dürfen. Um den 13. August herum hingegen stehen Menschen im Mittelpunkt, die nach dem Mauerbau aus der DDR geflohen sind. Wir versuchen uns an einer Systematik der Veröffentlichungen zum diesjährigen Gedenktag, denn: Gibt es nach 60 Jahren Mauerbau noch überraschende, neue Ansätze?

Fluchtwege

Im Auto, in der Luft, im Wasser, durch den Tunnel: Diese Artikel zeigen, dass der Weg eine große Herausforderung war. Nervenkitzelspannung inklusive.

Im Cadillac in die Freiheit (Tagesschau)

Durch die Luft, über die Mauer (Deutschlandfunk Kultur)

Petra Wetzel flieht mit einem Heißluftballon aus der DDR (Schweriner Volkszeitung)

Flucht mit dem Faltboot: Aus der DDR nach Wuppertal (Westdeutsche Zeitung)

Der Mann, der durch die Ostsee schwamm (Süddeutsche Zeitung)

Flucht aus der DDR durch den Teltowkanal :„Ich hatte Angst, dass meine vor Kälte klappernden Kiefer mich verraten würden“ (Tagesspiegel)

Wie Dresdnern die Flucht unter der Mauer durch gelang (Sächsische.de)

Flucht durch den Tunnel — aus dem Wohnzimmer in die Freiheit (Märkische Oderzeitung)

»Wir gehen jetzt zu Papa« (Spiegel Online)

Ausgetrickst

Eine Flucht aus der DDR ist immer auch ein Kampf gegen ein System und seine Vertreter*innen. Wer da ein paar Tricks auf Lager hat, konnte es schaffen, zeigen uns diese Texte:

Wie drei Brüder die DDR-Grenzsoldaten austricksten (T‑Online)

Wie ein paar Studenten die Stasi austricksten (Berliner Morgenpost)

Wie Studierende als Doppelgänger aus der DDR flüchteten (rbb24)

Wenn Ärzte fliehen

Ja, eine ungewöhnliche Kategorie, aber gleich mehrfach vertreten: Wie sind eigentlich Menschen geflohen, die im medizinischen Bereich tätig waren? Dieses Jahr erfahren Sie es endlich!

Wie der ehemalige Karlsruher Klinikdirektor vor dem Mauerbau 1961 in den Westen floh (Badische Neueste Nachrichten)

Die Mediziner Bertram Kaden und Horst-Michael Schulz und ihre Flucht aus der DDR (NDR)

Spektakuläre Flucht aus der DDR – Dann stieg der Arzt ins Wasser und schwamm einen Tag und eine Nacht (Basler Zeitung)

Etwas Lokalkolorit

Auch wenn die Mauer etwas weiter weg stand: Menschen sind aus der DDR in die ganze ehemalige BRD geflüchtet. Eine Lokalzeitung mit Anspruch kann also einen davon finden.

Bielefelder berichtet von seiner dramatischen Flucht (Neue Westfälische)

Leverkusener flüchtete noch vor dem Mauerbau (RP Online)

Flucht aus der DDR: „So glücklich, es geschafft zu haben“ (Hamburger Abendblatt)

Berühmtheiten

Warum kleine unbekannte Menschen auf der Flucht porträtieren, wenn es doch bekannte Geflüchtete gab?

Seine spektakuläre Flucht aus dem Osten machte deutschlandweit Schlagzeilen als „Flucht des Jahres“ (Saarbrücker Zeitung)

Vor 60 Jahren: Conrad Schumann springt über den Grenzzaun der DDR (Frankfurter Rundschau)

Ein DDR-Grenzpolizist springt in die Freiheit und landet im Kreis Günzburg (Augsburger Allgemeine)

Ungewöhnliche Blickwinkel

Und auch das gibt es: Nicht nur in den Westen fliehen. Oder auch mal zurückkehren.

60 Jahre Mauerbau: Dieser Mann floh – in den Osten (Hamburger Morgenpost)

DDR-Flucht: Warum Frank Vogel nach wenigen Tagen zurückkehrte (Freie Presse)

60 Jahre Mauerbau: Und nun?

So platt es klingt: All diese Fluchtgeschichten sind letztlich Fluchtgeschichten. Dramatisch bis lebensgefährlich für die Betroffenen, dramatisch bis einfühlend von den jeweiligen Medien geschildert. Mehr Erkenntnis als „Die DDR war schlimm, wir wollten weg und die Flucht war nicht leicht“ bleibt aber kaum.

Warum diese Geschichten trotzdem so häufig erzählt werden? Damit es menschelt, die trockenen Zahlen der Fluchten wirken längst nicht emotional. 

Und dennoch: Gerade der Mauerbau — Sinnbild des Kalten Krieges und der deutschen Teilung — er wäre eine gute Gelegenheit, diese Aspekte ausführlicher zu beleuchten und zu fragen: Wo kommen wir her, wohin führt der Weg für uns als Gesellschaft? Ein paar dramatische Fluchtgeschichten können das nicht.

Update

Durch die Fokussierung auf Fluchtgeschichten versäumen es Medien leider auch, die DDR-Gesellschaft so komplex zu zeichnen, wie sie gewesen sein dürfte. Denn: nicht alle sind geflohen oder hatten es auch nur vor. Warum? Auch darauf geben uns all diese Erzählungen keine Antworten.


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