Stasi, allüberall

Die DDR, wie wir sie kennen, ist inzwischen eine medial vermittelte DDR. Da geht aber noch mehr: Was sich vor allem von den Inszenierungen der NS-Zeit lernen lässt, schreibt Jochen-Martin Gutsch in seiner Kolumne „Stasi im Weltall“.

Fast könnte man meinen, es sei ein Hilfeschrei:

Ich kann nicht mehr. So viel Osten. So viel Diktatur. Manchmal denke ich schon, ich war selbst bei der Stasi.

Relative Unterschiede auf deutschen Ämtern

„Meine erste Station in Westdeutschland war Hamburg, das Thalia Theater. Das war eine schöne Zeit. Aber ich habe mich mitunter an den Osten erinnert gefühlt. Gehen Sie mal aufs Einwohnermeldeamt und füllen Sie das falsche Formular aus! So verschieden sind die Deutschen gar nicht.“

Jan-Josef Liefers im Interview mit der Zeitschrift „Für Sie“.

Godwin’s law, Stasi-Edition

Godwin’s law besagt, dass es im Verlauf längerer Diskussionen immer wahrscheinlicher wird, dass jemand einen Nazi-Vergleich einbringt. Mehr dazu auf Wikipedia.

Möglicherweise muss das dieses Gesetz demnächst um den IM-Faktor erweitert werden. Denn je länger ein Thema in den Medien ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass eine der beteiligten Personen als Inoffizieller Mitarbeiter oder Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) der Stasi enttarnt wird.

So ist es jetzt geschehen im Fall Drygalla.

Das ist nur ein Fall von vielen.

Ähnliches passierte 2009 zum Tod von Benno Ohnesorg. 2011 gab es Berichte zur IM-Tätigkeit von Horst Mahler. Und auch Joachim Gauck wurde in der Nähe zur Stasi vermutet.

Gemeinsam ist all diesen Fällen, dass bereits die Vermutung einer Zusammenarbeit mit der Stasi große mediale Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ob es sie tatsächlich gab und was sie jeweils bedeutet: Das geht in der Regel unter. Und auch das eigentliche Thema steht von da an im Schatten der Stasi. Ganz im Sinne von Godwin’s law.

Aktuelle DDR-Vergleiche #3 — IKEA

Ikea plant, eigene Stadtviertel in London und Hamburg und Berlin zu errichten. Silke Burmester bezeichnet diese Pläne in ihrer Kolumne auf spiegel.de als

DDR in bunt

und als

Ikea-DDR

Ganz so blöd ist der Vergleich indes nicht: Das DDR-Museum in Berlin inszeniert eine „typische“ Plattenbauwohnung mit entsprechender Schrankwand als Puppenstube — und erhält begeisterten Andrang, der den sozialistischen Einheitslook begutachtet. Über aktuelle Wohneinrichtungen indes ließen sich ähnliche Ausstellungen konzipieren — und der Ikea-Katalog wäre bereits der  Ausstellungskatalog.

Und wir würden staunen ob des kapitalistischen Einheitslooks.

Ausblendung ostdeutscher Geschichte (wie) im Lehrbuch

Ausblendung ostdeutscher Geschichte (wie) im Lehrbuch

An wissenschaftliche Lehrbücher werden ganz besondere Ansprüche gestellt: Sie müssen ein Thema umfassend darstellen und dabei Methoden und Debatten behandeln. Und vor allem müssen sie den Forschungsstand aufzeigen. Schließlich dienen sie oft als Einstieg für Studierende und stellen das Selbstverständnis einer Wissenschaft dar.

Diesen Anspruch kann das kommunikationswissenschaftliche Lehrbuch „Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft“ nicht erfüllen. Warum? Werfen wir einen Blick ins Inhaltsverzeichnis:

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis: Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft

Auf 20 Seiten wird hier die „Geschichte der Werbung und Werbebranche“ beschrieben. Dass es hier um den historischen Blick auf Deutschland geht, das kann man sich noch denken. Nach der Geburtsstunde im 19. Jahrhundert, der NS-Propaganda, dem Wirtschaftswunder, den 68ern, der RAF-Zeit und der Einführung privater Fernsehsender wird aber klar: Hier geht es ausschließlich um eine westdeutsche Geschichte. Schlimmer noch: Den Verantwortlichen ist dies offenbar nicht klar — weder „DDR“ noch „westdeutsch“ kommen als Begriffe im Buch vor. Stattdessen wird unreflektiert von „der Werbewirtschaft“ und „der Gesellschaft“ gesprochen, als ob eine Differenzierung für den und im aktuellen Werbemarkt keine Rolle spielen würde.

Dabei gab es Werbung auch in der DDR — aber mit einer anderen Geschichte, anderen Ausdrucksformen und anderen Intentionen. Diese mussten nach der politischen Wende 1990 neu ausgehandelt werden. In welcher Form dies geschah und welche Folgen dies insbesondere für Werbung in Ostdeutschland hat: Dies wäre Aufgabe eines Lehrbuches aus dem Jahr 2010 gewesen. Stattdessen wird ein Werbemarkt konstruiert, der abseits politischer Geschehnisse agiert. Absurd.

Neue Literatur in der Link- und Literaturliste

ich habe mich mal dran gemacht, unsere Literaturliste (ein wenig) zu ergänzen. Mit der Ordnung hapert es allerdings gerade noch etwas…

Stiftung Preußischer Kulturbesitz mag ihre DDR-Bauten nicht

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz legt unterschiedliche Maßstäbe beim Erhalt ihrer Gebäude an. So lässt sie in der Staatsbibliothek derzeit ausschließlich Räume modernisieren und restaurieren, die als „historisch“ gelten. Das heißt: Räume aus dem Originalbau von 1913 zählen dazu — Veränderungen, die in der DDR durchgeführt wurden, sind hingegen ausgeschlossen und müssen mit veralteter Ausstattung auskommen. Nikolaus Bernau schreibt dazu in der Berliner Zeitung:

Doch unter Denkmalschutz steht nicht ein wie auch immer gearteter „Original“-Bau, sondern der Ist-Zustand. Gerade die Berliner Denkmalpflege besteht sonst darauf, dass die historischen „Schichten“ eines Gebäudes erkennbar bleiben müssen.

Dass die Restaurationspolitik der Stiftung insgesamt auf den Ausschluss ostdeutscher Architektur abzielt, könne an verschiedenen Stellen beobachtet werden. Und Bernau macht darauf aufmerksam, dass dies für Bauten der westdeutschen Moderne nicht gelte:

West-Berliner Museums- und Bibliotheksgestaltungen aus der Nachkriegszeit werden nämlich, wenn sie nicht funktionslos wurden, durchaus gepflegt, von der Staatsbibliothek Hans Scharouns über die Neue Nationalgalerie Mies van der Rohes bis hin zum Kunstgewerbemuseum Rolf Gutbrodts.

Wie sieht eigentlich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz selbst ihre Aufgabe?

Der Reichtum der Stiftung verpflichtet zur gewissenhaften Bewahrung und Besitzsicherung. […] Welche Rolle Deutschland künftig kulturell spielt, wird davon abhängen, wie kompetent es intellektuell und institutionell mit seiner kulturellen Überlieferung umgeht.

 

Aktuelle DDR-Vergleiche #2 — Großbritannien

Great Britain ist nicht die DDR

heißt es bei stern.de in einem Artikel über die Olympischen Spiele 2012 und noch skurriler klingt die Erklärung im Artikel selbst:

„Leere Sitze sollen mit Militär gefüllt werden. Wir sind zur DDR geworden.“

So wird ein Twitter-Beitrag zitiert. Im Original lautet er:

http://twitter.com/Old_Holborn/status/229525838725525504

Die DDR war ja auch berüchtigt dafür, Stadionplätze aufzufüllen, damit die Aufnahmen im Fernsehen gut aussehen …

Aktuelle DDR-Vergleiche #1 — Träume

Die gesellschaftlich aufgezwungenen Vorstellungen vom „richtigen Leben“ und von der „richtigen Liebe“ können sich in diesem Vakuum zu einer persönlichen Ideologie aufblähen. Die davon Besessenen klammern sich an ihre Träume wie Erich Honecker an die Idee vom Sozialismus, während das Leben unter ihnen zusammenbricht.

 „Hoffen, warten, runterschlucken“, Zeit Online, 30.07.212

Vielen Dank an Mareen für den Hinweis!

Kommunisten, Geschichtstotalitaristen und Architektur

„Ist einer ein Kommunist, nur weil er nicht jedes Gebäude, welches zur Zeit der DDR errichtet wurde, sofort niederreißen, abbrennen, total vernichten will?“

So beginnt der Artikel „Die letzten Spuren der DDR“ zu architektonischen Veränderungen im Osten Deutschlands nach 1990.  Wer einen Text aus dem Neuen Deutschland erwartet, muss enttäuscht werden: Der Kommentar stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, verfasst von Claudius Seidl, dem verantwortlichen Redakteur des Feuilletons.

Auch das Resümee ist durchaus überraschend für ein eher konservatives westdeutsches Blatt:

„Vermutlich ist es nur der Nebeneffekt dieses pseudobürgerlichen Geschmacks- und Geschichtstotalitarismus: dass die Spuren der DDR aus den Innenstädten verschwinden. […] Was dann aber nichts anderes ist als der brutale Sozialismus, der Schlösser und Kirchen sprengte, zum Zeichen, dass die Herrschaft von Adel und Klerus überwunden sei.“

Wobei sich dies aber auch nicht vorbehaltlos verallgemeinern lässt: So wurde die preußische Architektur in Ost-Berlin in vielen Teilen wiederhergestellt — was heute Unter den Linden fotografiert wird, ist prinzipiell DDR-(Rekonstruktions-)Bau. Und weshalb Seidl diese Bürgerlichkeit als „pseudo“ abwertet, ist mir auch nicht so klar.

Schließlich verweist Seidl auf das Haus der Kunst in München, dessen Standort und Architektur von Adolf Hitler in Auftrag gegeben wurde und zum ersten Monumentalbau der Diktatur wurde — und das weiterhin für Kunstausstellungen genutzt wird.

Ein äußerst bezeichnender Umgang mit deutscher Vergangenheit, bei dem nationalsozialistische Propaganda erhalten bleibt und Nutzbauten der DDR abgerissen werden.