Super: Illu mit dem Ossi-Blick

Im April 2011 war es soweit: Mit Robert Schneider wurde ein gebürtiger Ostdeutscher Chefredakteur der Super-Illu. Zuvor stand der Bayer Jochen Wolff 20 Jahre an der Spitze des Blattes, das in Ostdeutschland erfolgreicher ist als viele Zeitschriften aus dem Westen Deutschlands. Und das deshalb auch gerne argwöhnisch belächelt wird, wie etwa dieser taz-Artikel von 2007 zeigt.

Aber es war natürlich seltsam: Ein Bayer schafft es, Geschichten und Bilder zu finden, die in den nicht mehr ganz neuen Bundesländern erfolgreich sind. Was würde nun der aus Leipzig stammende Schneider tun? Zuvor war er stellvertretender Chefredakteur der Bild am Sonntag, also bestens vertraut mit den Tricks des westdeutschen Journalismus. Würde er also das Potenzial des Publikums der Super-Illu nutzen, es vielleicht aus dem Bild des „Jammer-Ossis“ hinaus führen? Hin zu einer Welt, in der sie selbstbewusst wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen?

Nun ja. Nicht ganz, wie diese Episode aus einer Reportage der Berliner Zeitung zeigt:

Die Fotos zu einem Interview mit dem Schauspieler Thomas Kretschmann lässt er komplett auswechseln. Sie sind ihm alle zu männlich. „Komm, nimm das“, sagt er zu [dem Layouter] Grabowski. „Das ist so ein schüchterner Ossi-Blick.“ Grabowski, selbst Ostler, weiß nicht, was das sein soll, ein schüchterner Ossi-Blick, aber wenn der Chef es so will. Er ist ja hier nicht nur der Geschichtenerzähler, er verkauft mit jedem Heft auch ein bisschen ostdeutsche Seele.

25 Jahre #1

25 Jahre #1

Zwischendurch hatte ich die Titelseite der Berliner Zeitung vom 16. Mai verloren — jetzt ist sie wieder da. Man beachte das subtile Zusammenspiel zwischen der Titelstory und dem Anreißer oben. Ganz großes Kino!
Berliner Zeitung, 16.05.2014

 

Das Smartphone, das eine Banane ist

Vielleicht müssen wir 25 Jahre nach dem Fall einer Mauer einfach damit leben, dass plötzlich DDR-Bezüge auftauchen, wo man sie niemals vermutet hätte. Beispiel gefällig?

Also: Was haben die DDR und ein Smartphone gemeinsam?

Richtig: Bananen!
Oder genauer: DDR-Bananen!

Was wie ein absurder Gedankensprung aussehen mag, ist in Wirklichkeit natürlich äußerst logisch. Denn DDR-Bananen sind eben nicht die Gurken, die uns ein Satireblatt weißmachen wollte — soviel Verständnis der geschichtlichen Wahrheit ist also vorhanden. Denn DDR-Bananen sind selbstverständlich Bananen, die es nicht gab bzw. langer Warteschlangen bedurften. Und da nähern wir uns der Vollendung der Gedankenkette. Denn auch für das Smartphone „Oneplus One“ ist es nötig, Schlange zu stehen. Zwar sind es nur virtuelle Schlangen, und eigentlich ist es eher eine Verlosung — aber das soll dem Vergleich hier keinen Abbruch tun.

Klingt nerdig? Muss es auch, denn diesen Vergleich hat das Computer-Magazin „com!“ angestellt. Kein Scherz.

Wobei ich ja glaube, dass diese Abstraktionsleistung ein wenig übertrieben für die Zielgruppe ist. Schließlich gehören künstliche Verknappung und lange Schlangen bei Apple regelmäßig zur Verkaufsstrategie. Und Äpfel und Bananen kann man ja dann doch irgendwie vergleichen. Vielleicht.

Zähne-Zahlen in Ost und West

Nein, sowas: Da sind die Ostdeutschen doch tatsächlich einmal den Westdeutschen voraus. Denn die Krankenkasse Barmer GEK hat den „Zahnreport“ vorgestellt. Ganz neue Erkenntnis: Die Menschen im Osten gehen häufiger zu Zahnärztinnen und Zahnärzten. Eine Erklärung gibt es natürlich auch gleich dazu:

Menschen aus der ehemaligen DDR kümmerten sich mehr um ihre Zähne, weil dort in Kindertagesstätten und Horten viel Wert auf Zahnpflege gelegt worden sei, vermutet der Vizechef der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker.

Das ist natürlich schön. Denn das ist nicht nur besser für die Gesundheit, sondern auch für den Geldbeutel:

Tatsächlich sind die Gesamtausgaben der Krankenkassen für Kronen und anderen Zahnersatz in den neuen Ländern deutlich niedriger als im Westen. Zudem zeigen die Zahlen der Barmer GEK, dass die Ostdeutschen im Fall der Fälle weniger aus der eigenen Tasche zuzahlen.

Äh, Moment: Wenn den zahnbewussten Ossis ihre Gesundheit dermaßen wichtig ist, sollten die doch bei der Behandlung nicht sparen. Vielleicht gibt es doch noch einen ganz einfachen Grund dafür?

Die Ostdeutschen wählen lediglich den preiswerten Standard, weil sie sich nicht mehr leisten wollen oder können. Kassen-Vorstand Schlenker tippt auf Letzteres: „Hier zeigt sich ein Wohlstandsgefälle.“

Tja, da kann man noch so viel Prägung und Erfahrung aus Kindertagesstätten und Horten mitbringen: Mehr Geld gibt’s dadurch auch nicht. Oder vielleicht ist ein häufiger Zahnarztbesuch einfach die bessere Methode, noch mehr Kosten zu vermeiden? Ich kann mich gerade nicht entscheiden, ob eine 25 Jahre alte Prägung oder aktuelle finanzielle Sorgen wichtiger sind …

Gute Vorsätze für Ostdeutsche 2014

Beginnen wir das neue Jahr doch mit Fragen. Oder nein — schauen wir uns doch einfach die Fragen an, die Christian Bangel auf Zeit Online zu einem Artikel gebastelt hat:

Warum gibt es kein relevantes ostdeutsches Medium?

Was heißt schon relevant? Geht man nach den Verkaufszahlen, befindet sich die Super Illu auf dem 7. Platz der Zeitschriften und Magazine, im Osten ist sie nach eigenen Angaben sogar die meistgelesene Kaufzeitschrift. Damit ist die Super Illu hochgradig relevant für die Menschen dort — auch wenn die mediale Allgegenwärtigkeit von Spiegel, Stern & Co anderes vermuten lassen. Bei den meistzitierten Medien taucht die Zeitschrift hingegen nicht auf: Relevant für die sonstigen Medien in Deutschland ist die Super Illu also nicht. Relevant ist schließlich, was man relevant macht.

Wieso spricht niemand über ein Bundesland Ostdeutschland? Die Probleme der Länder ähneln sich und der Bevölkerungsschwund hat bereits ungezählte Gebietsreformen nötig gemacht.

Dann müsste aber auch mindestens das Ruhrgebiet, wenn nicht gleich ganz Nordrhein-Westfalen mitmachen. Dort gibt es schließlich ganz ähnliche Probleme. Zumal solch ein Vorgehen nur an alte Muster anknüpfen würde: Der vielfältige Westen hier, dessen ganz verschiedene Bundesländer sich gar nicht auf einen Nenner bringen lassen. Und der Osten dort, ein eindeutig als DDR definierbares Bundesland. Aber all das passt zur Forderung von Christian Bangel:

Es wird Zeit für die Ostdeutschen, sich großzumachen. Nicht als Gesamtdeutsche, sondern als Ostdeutsche, deren Einfluss erkennbar werden muss.

Angela Merkel, Beate Zschäpe, Joachim Gauck, Toni Kroos und Maybritt Illner nennt Bangel als Beispiele bekannter Menschen aus dem Osten. Damit belegt er die Vielfältigkeit der Menschen aus dem Osten, was ja bei mehreren Millionen Einwohner_innen auch nicht überraschen dürfte. Und doch fehlt ihm ein eine eindeutige, ostdeutsche Positionierung dieser Menschen: Irgendwas muss diese Personen doch verbinden, und wenn es nur Pragmatismus ist. Oder (Achtung, Zirkelschluss): Ihre Nichterkennbarkeit als Ostdeutsche.

Wo sind eigentlich die Ostdeutschen? Man erkennt sie nicht am Namen und am Beruf, nicht mehr an ihrer Kleidung und an der Frisur.

Dabei könnte Christian Bangel doch selbst den Anfang machen. Auf seinem Porträt auf Zeit Online erfährt man einige Stationen seines Lebens. Ausgespart wird allerdings die Frage seiner Herkunft, auch im Artikel wird sie nicht angesprochen, obwohl er eindeutig eine Positionierung einfordert. Aufschluss gibt dann eine ältere Website des Autors:

Meine Kollegen nannten mich U.D.O., „Unser dummer Ossi“. Ich glaube, ich möchte darüber reden.

Selbstpositionierung ist dann vielleicht doch nicht so einfach, wie es zunächst aussieht.

Auf ein erfolgreiches Jahr 2014!

Aktuelle DDR-Vergleiche #15 — Russland

Die Zeit interviewt Boris Reitschuster, Biograf von Wladimir Putin, und entlockt ihm folgende Feststellung:

Putin hat sich ein Russland gebaut, das sehr an die DDR erinnert – DDR plus Kapitalismus und Reisefreiheit.

Komisch. Und ich dachte immer, die DDR sei definiert durch fehlenden Kapitalismus und Reisefreiheit.

Danke an @SabineRennefanz für den Hinweis

Die real existierende DDR der BILD

„Doch wie sähe es heute östlich der Elbe aus, wenn die Mauer nicht gefallen wäre? BILD skizziert das Leben in einer DDR des Jahres 2013 – mit Handys, maroden Städten und einer immer noch herrschenden SED. Selbstverständlich alles Utopie.“

Die Bild-Zeitung pfeift auf die reale Gegenwart und denkt sich lieber eine andere aus. Das nennt sich kontrafaktische Geschichte und ist das Gegenteil einer Zeitungsmeldung. Aber egal. Natürlich läuft alles schlecht, ein wenig tragikomisch und irgendwie ist das Land im Jahr 1978 hängengeblieben. Aber der Text ist auch ein wenig subversiv und versteckt auch Kritik an der BRD. Nämlich hier:

„Ohne die Wiedervereinigung stürzte die Bundesrepublik in eine tiefe Rezession, viele Betriebe mussten dicht machen.“

Da fragt man sich schon, warum es der DDR da eigentlich nicht besser ginge. Aber das wäre wohl zu viel der Utopie.

Krankheitsgrund: DDR-Vergangenheit

Wann sind Menschen aus Ostdeutschland eigentlich vollwertig in die westliche Demokratie integriert? Sie sind es, wenn sie wieder zwischenmenschliche Bindungen aufbauen können.

Kein Scherz: Der Sachverständige Thomas S. soll mit seinen Gutachten bei gerichtlichen Sorgerechtsentscheidungen helfen. Sieht er Anhaltspunkte für eine Persönlichkeitsstörung bei den Erziehungsberechtigten, begründet er sie in verschiedenen Fällen auf diese Weise:

„die diktatorischen Gesellschaftsverhältnisse der früheren DDR […], in welcher Herr […] etwa vier Jahrzehnte aufwuchs […], dürften vor allem in bindungstechnischer Hinsicht deutliche Spuren bei diesem hinterlassen haben“

zitiert nach MDR exakt

Ein wenig viel Spekulation. Laut Psychologe Werner Leitner ist so eine Schlussfolgerung, aufbauend auf Mutmaßungen, nicht haltbar. Doch Gerichte folgen eben diesen Gedanken. Konsequent heißt das: Das Aufwachsen in der DDR ist ein pathologischer Umstand per se — das Leben in der Diktatur eine Krankheit mit Folgen. Ostdeutsche sind krank, weil sie Ostdeutsche sind.

In die gleiche Kerbe schlägt übrigens auch Psychotherapeut Hans Joachim Maaz, wenn er bei Ostdeutschen unterdrückte Gefühle und charakterliche Deformationen feststellt.

Danke an ШНАУЦЕ ВЕССИ auf Facebook für den Hinweis

Ossi, big in Japan

Verlassen wir doch einmal die heimatlichen Gefilde und schauen, wie im Ausland die Rolle eines Ostdeutschen besetzt wird. So hat die japanische Firma Konami im Februar 2013 das Videospiel „Metal Gear Rising: Revengeance“ für Playstation 3 und Xbox 360 veröffentlicht. Die Handlung ist im Jahr 2018 angesiedelt. Ein Charakter des Spiels ist Doktor Wilhelm Voigt, ein Kybernetik-Experte — der aus der DDR stammt.

Diese Herkunft ist bemerkenswert: Wer hätte damit gerechnet, dass man in Japan auf die DDR Bezug nimmt? Und das in einem Medium, dass stark auf eine junge Zielgruppe fokussiert? Spannend sind auch die Charaktereigenschaften, mit denen diese Figur ausgestattet wurde:

  • dicker Akzent
  • ähnelt allen anderen deutschen Ärzten, die man als Klischee kennt
  • steigert sich in seine Arbeit
  • sympathisch
  • hat Humor
  • ist moralisch einwandfrei
  • riskiert sein Leben
  • maßgeblich daran beteiligt, zahlreiche Unschuldige zu retten

Ein Ossi als Held? Das geht auch nur, wenn man den Begriff „Jammer-Ossi“ nicht kennt.

Ein Kessel bunter Vorurteile

Ach ja: So sicher wie Weihnachten kommt auch jedes Jahr der Tag der deutschen Einheit. Dieses Jahr beschenkt uns das Hohenloher Tagblatt (sic!) mit einer umfassenden Sammlung westdeutscher Klischees über den Osten. Oder um genau zu sein: Jugendliche aus dem Landkreis Hall sagen, was ihnen zu dem Thema einfällt und die Redaktion nickt zustimmend. Das reicht von der sächselnden Überschrift über eine Bildergalerie mit Sand- und Ampelmännchen hin zu Rechtsextremismus und Nacktbaden.

Schauense rein, greifense zu: Soviele Vorurteile gibt’s so bald nicht wieder! Jedenfalls nicht so unreflektiert!

Deshalb nur deren Auflistung und keine unserer üblichen Kommentierungen — es ist einfach zu spät, um anderen Menschen die Arbeit abzunehmen.

  • In den neuen Bundesländern machen weniger Schüler Abitur als in den alten Bundesländern
  • Ostdeutsche sind weniger demokratisiert und beteiligen sich weniger an der Politik
  • In den neuen Bundesländern sind Frauen jünger, wenn sie ihr erstes Kind bekommen
  • Immer mehr junge Menschen wandern aus den neuen in die alten Bundesländer ab
  • Im Osten gibt es viele Rechtsextreme
  • Jeder Zweite im Osten ist arbeitslos
  • In den neuen Bundesländern sprechen alle sächsisch
  • Viele Leute im Osten wohnen in Plattenbauten
  • Im Osten baden alle nackt
  • Viele der damaligen Modetrends werden heute wieder getragen, oft auch kombiniert mit verschiedenen Accessoires, die der heutigen Mode entsprechen
  • Schlager und Stimmungslieder waren den „Ossis“ wichtig. Außerdem Rock -, Jazz — und Blues
  • Berlins Ampelmännchen erobern die Welt

Wobei ich ja immer noch glaube, dass das eine schlecht gekennzeichnet Satire-Seite sein muss.

Übrigens: Wer den 3. Oktober etwas intelligenter angehen möchte, findet im Tagesspiegel immerhin ein ganz neues Wort: Kostalgie! Sehr appetitanregend.