Weniger Gehalt im Osten, keine Meldung für den Osten

Es ist eine simple Meldung: In Deutschland ist das Gehalt unterschiedlich hoch. Je nach Region verdienen Menschen im gleichen Beruf deutlich mehr Geld. Oder deutlich weniger in den neuen Bundesländern: Sie stehen am Ende der Tabelle. Das ist prinzipiell keine neue Erkenntnis, vor genau fünf Jahren hatte eine Studie festgestellt, dass der wirtschaftliche Unterschied zwischen Ost und West noch lange bestehen wird.

Mit welchen Überschriften aber machen Medien diese Meldung auf? So heißt es bei der FAZ:

Ostdeutschland lohnt sich noch immer nicht

Und die Website von n‑tv titelt:

Hier arbeiten Sie besser nicht

Gemeinsam ist diesen Überschriften eine wirtschaftlich-westdeutsche Perspektive: Der Osten lohnt sich erst dann, wenn man dort mehr Gehalt bekommt. Dort also besser nicht arbeiten!

Übersehen hat man beim Texten der Überschriften wohl, dass es bereits Menschen gibt, die in Ostdeutschland arbeiten. Welche Botschaft soll bei ihnen ankommen? Ihre Arbeit lohnt sich nicht? Sie sollten besser nicht arbeiten? Dazu sagen uns die Überschriften nichts, sie wollen es gar nicht. Denn sie sagen uns vor allem: Als Zielgruppe der Beiträge stellt man sich die Menschen im Osten nicht vor.

Gläserne Mauer

Es gibt doch keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West. Warum immer irgendwelche Probleme beschwören, wenn es so viele Erfolge gibt (Lebenserwartung leider geil)? Vielleicht, weil es immer noch  haarsträubende Probleme gibt:

Wenn ich in meine Verwaltung in Erfurt gucke, sind da zwei Drittel Westdeutsche. Auf der Ebene meiner Referatsleiter sprechen mehr Leute bayerisch als sonst wo. […] Jetzt bin ich für die Linke in der Landesregierung. Das hat Folgen. Ich habe mich mal in Bayern beworben. Da haben die gefragt, ob ich noch ganz bei Trost sei und wie ich auf die Idee käme, an einer bayerischen Hochschule anzuheuern. 25 Jahre nach dem Mauerfall gibt es da immer noch eine Grenze. Wenn du meinen politischen Hintergrund hast, dann kannst du im Westen immer noch bestimmte Jobs nicht machen. Das finde ich empörend, auch weil es das Leistungsversprechen der bürgerlichen Gesellschaft infrage stellt.

Das hat der aus Ost-Berlin stammende Sozialwissenschaftler Benjamin-Immanuel Hoff im Gespräch mit Markus Decker gesagt — darin geht es um seine Ost-West-Ehe mit Karin Hoff aus dem Allgäu. Der Auszug aus Deckers Buch „Was ich dir immer schon mal sagen wollte“ ist in der Berliner Zeitung erschienen. Die dortige Überschrift setzt aber lieber einen Schwerpunkt auf ein ganz heißes deutsch-deutsches Eisen: „Ohne meine Westfrau hätte ich nicht sparen gelernt“.

Holla!

Die vergessene Ossi-Fresse

Zu den häufig genannten Klischees über Ostdeutsche gehört, dass sie nicht selbstbewusst genug seien, neulich erst sprach Journalist Michael Jürgs davon. Die Ossis ganz verschüchtert also? In welcher Beziehung Ostdeutsche zum Selbstbewusstsein stehen, dafür hat der Schauspieler Michael Gwisdek einen ganz anderen Ansatz:

Auf den Arbeitgeber durften wir schimpfen, auf die Regierung nicht. Heute ist es andersrum. Wer heute seinen Chef einen Idioten nennt, fliegt aus der Firma. Man muss sich anbiedern und seinen Charakter verleugnen, wenn man nirgends gekündigt werden will. Früher hatten die Leute im Osten mehr Selbstbewusstsein. Wir hatten wirklich alle eine große Fresse.

Bis sie dann gestorben sind: Niemand zuständig für Betriebsrente der DDR

Wer bei der Reichsbahn der DDR gearbeitet hat, hat keinen Anspruch auf eine Betriebsrente von der Deutschen Bahn. Diese Entscheidung hat am 18. Januar das Bundesarbeitsgericht in Erfurt in einem Grundsatzurteil gefällt.

Die Begründung: Da die betriebliche Altersversorgung der Reichsbahner_innen 1974 vom gesetzlichen Rentenversicherungsträger der DDR übernommen worden sei, sei die Bahn die falsche Ansprechpartnerin. Das Problem ist nur: Die Sozialgerichte haben in der Vergangenheit die Ansprüche der Eisenbahner abgelehnt und an die Arbeitsgerichte verwiesen. Diese haben den Ball nun zurück gespielt, die Erfolgsaussicht für das Anliegen der 40.000 bis 80.000 Betroffenen im Rentenalter sieht schlecht aus.

Einen bitteren Beigeschmack erhält das Vorgehen durch eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts: Die Ansprüche der Reichsbahner_innen sind nach der Wende nicht automatisch getilgt worden. Die Zahlungen stehen ihnen also zu, es findet sich nur niemand, der ihnen dieses Geld zahlen will.

Juristisch mag die Entscheidung des Arbeitsgerichts also einwandfrei sein — moralisch sendet sie aber völlig falsche Signale aus: Hier wird auf Zeit gespielt. Und: Selbst vertraglich geregelte Ansprüche aus der DDR-Zeit sind nichts wert, wenn sich niemand zuständig sieht.