Die Banalität der Kunst

In Weimar, Erfurt und Gera eröffnen Ausstellungen, die Kunst aus der DDR präsentieren. Wie brisant dies ist, zeigt allein die Überschrift der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Thema: „Auch östlich der Grenze gab es Künstler“. Titel in Zeitungsartikel müssen die Aufmerksamkeit auf sich lenken, zum Lesen anregen. Und offenbar kann eine solche banale Feststellung dies 2012 noch erreichen, nach 22 Jahren in einem vereinten Deutschland. Es ist beunruhigend, wie wenig man offenbar voneinander weiß. Anders ist eine solche Überschrift nicht zu erklären in der FAZ, deren Überschriften vielleicht vieles sind, aber nicht banal.

Julia Voss verweist in ihrem Artikel auf die aktuelle Problematik der DDR-Kunstwerke wie etwa die Depot-Frage. Auch verweist sie auf die vielfältigen Erkenntnisse, die über diese Objekte möglich sind. Schließlich zieht sie einige erhellende Vergleiche zwischen Kunst in Ost und West. Und sie resümiert:

Im Osten stellt man sich den unbequemen Fragen, im Westen steht die Aufarbeitung des bundesdeutschen Kunstsystems im Kalten Krieg noch aus.

Mauerblicke

Mauerblicke

„Die Sicht auf die Grenzmauer ist die Sicht des West-Bürgers“, schreiben die Bauhistoriker Johannes Cramer und Tobias Rütenik in der Zeitung der Technischen Universität Berlin. Und tatsächlich ist auf den immer wiederkehrenden Bilder die Berliner Mauer farbig besprüht und Menschen stehen direkt davor. So sah die Mauer im Ostteil der Stadt nicht aus.

Wie sie aussah, das war für Cramer und sein Team nicht leicht nachzuvollziehen. Denn die Mauer ist bis zum Herbst 1990 abgetragen worden, wenig ist erhalten geblieben. So musste auf die gleiche Weise geforscht werden, wie es für antike oder mittelalterliche Stadtmauern üblich ist. Dabei wurde festgestellt, dass aus DDR-Sicht bis zu 15 Hindernisse an der Grenzanlage überwunden werden mussten, um bis nach West-Berlin zu gelangen. Weitere Erkenntnisse zu den Entscheidungsprozessen und zur Umsetzung legen die Wissenschaftler_innen nun vor:

Johannes Cramer, Tobias Rütenik, Philipp Speiser, Gabri van Tussenbroek, Peter Boeger:
Die Baugeschichte der Berliner Mauer
447 Seiten, Petersberg (Michael Imhof Verlag) 2011
69 Euro

Doch wie sah er nun aus, dieser östliche Blick auf die Mauer? Bislang waren kaum Aufnahmen bekannt, denn das Fotografieren der Anlage war verboten. Umso erstaunlicher nun eine Ausstellung in Berlin: 1500 protokollarische Fotos von DDR-Soldaten aus den Jahren 1966 – 76 wurden vom Fotografen Arwed Messmer zu 340 Panoramen zusammengefügt. Die Literatin Annett Gröschner hat Protokollausschnitte von den jeweiligen Wachposten als Bildunterschrift hinzugefügt.

Die entstandenen Aufnahmen zeigen ein Bild der Mauer, das dem westlichen Blick bislang verschlossen war — eine weite Grenzanlage, an deren Ende erst die kahle Mauer zu sehen ist. Allerdings ist es absurd, dies als „andere Sicht“ zu bezeichnen — immerhin ist dies die Sicht des Landes, das die Mauer aufgestellt hatte. Bislang war lediglich die westliche Sicht medial präsent, nun also die eigentliche Sicht:

Aus anderer Sicht. Die frühe Berliner Mauer.
Unter den Linden 40, 6.8. — 3.10, täglich 10 — 20 Uhr.

(via Berliner Zeitung)

Doch: „noch nie gesehen“ und „bislang unbekannt“ ist dieser Blick auf die Mauer keinesfalls, auch wenn damit die wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeiten beworben werden. Die Menschen in Ost-Berlin hatten ihn tagtäglich vor sich.