zahlen vergleichen 2

mir begegnen gelegentlich statistiken; zahlen von diesem und jenem im vergleich zu zahlen von diesem und anderem. sowas zum beispiel:

Die Zahl der Verkehrstoten ist nach einer aktuellen Prognose des ADAC im Jahr 2013 auf einen historischen Tiefststand gesunken. … Die höchsten Zahlen gab es laut ADAC-Sprecher Andreas Hölzel Anfang der 70er Jahre. «Da hatten wir rund 20 000 Verkehrstote im Jahr.» … Es werde voraussichtlich auch weniger Verletzte geben. Zu erwarten sei ein Rückgang um fast fünf Prozent auf 366 000 verletzte Verkehrsteilnehmer. Dies wäre der niedrigste Stand seit 1954.

oder auch sowas in einem artikel aus dem Jahr 2008:

Die Zahl der Neugeborenentötungen ist in den letzten 30 Jahren etwa gleich geblieben.

na? wem fällt was auf? 

ich würde die journalist_innen, adac-sprechenden und wissenschaftler_innen gerne fragen in welchem land sie leben und und welcher Alten-Neuen-BRD sie ihre verkehrstoten und ‑verletzten und ihre neugeborenentötungen gezählt haben und was sie da eigentlich vergleichen.

wenn die zahl der neugeborenentötungen zwischen 1978 und 2008 in etwa gleich geblieben ist, dann hat sie sich verändert!

Der NS/BRD/DDR-Vergleich ist heiß

25 Jahre Mauerfall werfen ihre Schatten voraus: Die Stasi-Unterlagenbehörde steht zur Debatte. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sieht die Zukunft der Stasi-Akten im Bundesarchiv, denn:

Die DDR ist auch Teil der westdeutschen Geschichte.

Er spiele damit auf einen wunden Punkt an: Die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik interessiert im Westen nicht. So weit, so gut. Seine weitergehende Forderung hat mit dieser Feststellung aber nicht mehr viel gemein:

[M]an sollte etwa Nationalsozialismus und DDR gemeinsam betrachten, um vergleichend zu arbeiten.

Nazis sind wie Zombies: Ebenso unerwartet wie untot entern sie jede Debatte und sabbern alle guten Argumente weg.

Jetzt aber mal bitte die ernsthaften Buzzwords sammeln: DDR, westdeutsch, vergleichend. Also, warum denn nicht die zweifache deutsche Nachkriegsgeschichte nebeneinander stellen? Wie haben sie die unmittelbare Vergangenheit verarbeitet, wie gingen sie die Zukunft an, wie war der Umgang mit den jeweiligen Bündnispartnern, etcetera pp.? Ist das so abwegig oder liegt der Vergleich mit dem Zombie-Regime wirklich so verdammt nahe?

Wobei: Wenn die DDR Teil der westdeutschen Geschichte ist, vergleicht man diese dann nicht auch automatisch mit dem Nationalsozialismus? Ein Kollateralvergleich, sozusagen.

Wo Zombies auftauchen, passieren eben unerwartete Dinge.

Aktuelle DDR-Vergleiche #13 — Queer Cinema

Anlässlich des Filmstarts von „Liberace — Zu viel des Guten ist wundervoll“ führte die Wochenzeitung „der Freitag“ ein Interview mit Jan Künemund. Mit dem Redakteur von Sissy („Magazin für den nicht-heterosexuellen Film“) sprach man über den Film von Steven Soderbergh und queere Filme allgemein. Ganz unerwartet kam da ein Einwurf von Matthias Dell, der das Interview führte:

Jan Künemund: Das Queer Cinema war immer auf eigene Vertriebswege angewiesen, auf eine eigene Art der Produktion, eigene Abspielorte. Ich weiß aber, dass es eine große Sehnsucht von Leuten gibt nach Partizipation. Die wollen ihre Schnitte abhaben: den schwulen James Bond. Das Mainstream-Narrativ ist so verwurzelt, dass Leute denken, solange es keine queere Geschichte in dieser Narration gibt, solange ist man gesamtgesellschaftlich nicht akzeptiert.

Der Freitag (Matthias Dell): Das ist wie der Minderwertigkeitskomplex der DDR, die sich gegen die BRD entworfen hat und trotzdem nach Anerkennung und Weltniveau gierte.

Die Argumentation ist sehr aufschlussreich: Die DDR wollte anders sein als die BRD und trotzdem anerkannt werden. Was bedeuten muss: Eine Abweichung von der BRD bringt prinzipiell eine Nicht-Anerkennung mit sich.

Erst wollt ihr anders sein und jetzt auch noch die gleichen Rechte? Pardon, ähnliche Argumente werden auch gegen die Gleichstellung der Homo-Ehe ins Feld geführt. Sie sind hier wie dort äußerst abstrus, weil sie die Verantwortung der Ungleichbehandlung an jene abschiebt, denen sie widerfährt. Mit dem Vorwurf des „Minderwertigkeitskomplex“, der beide Bereiche umklammert, wird es zudem aus der Welt des Faktischen ausgeschlossen: Ihr fühlt euch doch nur minderwertig, habt euch mal nicht so.

Dell entlarvt demnach nicht die Position des Queer Cinema oder der DDR-Führung (wie er es anscheinend gerne möchte), sondern die Haltung der Mehrheitsgesellschaft und wie sie mit diesen Standpunkten umgeht.

Go West

Wir schreiben hier nicht nur für gescheiterte Ossis, die freie Wahlen und Marktwirtschaft nicht begriffen haben, am liebsten ihren Führer Staatsratsvorsitzenden wiederhaben wollen und jetzt mit Hartz4 ihre private DDR finanzieren.

Nein, wir schreiben hier für alle, die die Zeit vor 1989 viel besser fanden und die Mauer am liebsten gleich wieder aufbauen würden.

Richtig: Wir schreiben vor allem für Menschen aus dem Westen, für Menschen aus der ehemaligen BRD.