Ehemalige verharmloste DDR, ostdeutscher Zoo, Podcasts, Einheit ohne Ostdeutsche

„Ehemalige“ DDR?

Beim Deutschlandfunk kritisiert Henry Bernhard die Formulierung „ehemalig“. Sie werde in den Medien oft falsch verwendet, insbesondere aber in Bezug auf die DDR:

Im Bezug auf die DDR ist die falsche Formulierung besonders häufig. Niemand spricht dagegen vom „ehemaligen Dritten Reich“, vom „ehemaligen Kaiserreich“ oder vom „ehemaligen Römischen Reich“.

Zum Thema „ehemalige DDR“ hatten wir hier bereits 2011 geschrieben.

DDR-Verklärung beenden

Beim Deutschlandfunk ruft Christoph Richter dazu auf, kritisch auf die DDR-Geschichte zu schauen — und das vor allem als Generationengespräch. Er beobachtet eine Verharmlosung der damaligen repressiv-autoritären Zustände:

Und es ist schon einigermaßen verwunderlich, dass unter Ostdeutschen Bücher Konjunktur haben, die die DDR verklären. Wie eine Decke, unter der man behaglich kuscheln kann. Und das ist bizarr – gerade vor dem Hintergrund, dass nach einer aktuellen Studie sich zwei Drittel der Ostdeutschen nach autoritären Strukturen wie in der DDR sehnen, mit der Demokratie fremdeln, sich eine „völkische Gemeinschaft“ wünschen.

Um zu verstehen, wie das repressive staatliche SED-Regime bis heute nachwirkt, muss das Schweigen über das alltägliche Leben in der DDR gebrochen werden. Und das können die Ostdeutschen nur selbst tun. Spätestens jetzt: 33 Jahre nach der Wiedervereinigung.

Ostdeutschland als Zoo

In der Berliner Zeitung schreibt Anja Reich darüber, wie sie aktuelle Debatten zwischen Ostdeutschen wahrnimmt. Und auch einen westdeutschen Blick beschreibt sie:

Ich wurde das Gefühl nicht los, das ich oft bei Reportagen über den Osten bekomme: Ich nehme an einer Zooführung teil. Dem westdeutschen Publikum wird erklärt, was mit den Ostdeutschen nicht stimmt. Warum sie zwar die gleiche Sprache sprechen, aber seltsame Dinge sagen. Wie eine Spezies, die es zu erforschen, aber auch zu zähmen gilt, weil sie gefährlich werden könnte.

Ich stelle mir dann manchmal vor, es wäre andersherum: Ein westdeutscher Sportreporter befragt seine Landsleute in Sindelfingen oder Buxtehude, um herauszubekommen, wie sich der Kalte Krieg auf deren Amerika-Bild ausgewirkt hat, warum sie zusehen, wie die USA Kriege führen wie im Irak, die sie „Militäroperationen“ nennen. Aber der Zooblick ist immer nur auf den Osten gerichtet.

Ostdeutschland in den Medien: Zwei Podcasts

Der Medienpodcast quoted (von CIVIS und der Süddeutschen Zeitung) spricht mit der Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger darüber, wie ostdeutsche Bundesländer medial dargestellt werden und was sie dabei vom Saarland unterscheidet.

„SWR aktuell“ spricht im Podcast mit der eigenen Chefin: Marieke Reimann ist Zweite Multimediale Chefredakteurin beim SWR und stammt aus Rostock. Sie meint: „Wir Medien sollten anders über Ostdeutschland berichten“.

Der Wessi der Woche

Der Wessi in dieser Woche ist gleich eine ganze Feier. Denn: Wer hat da denn nicht aufgepasst? Die Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit fanden in diesem Jahr in Hamburg statt. Politik, Prominenz und Party, alle da. Falle alle außer: Ostdeutsche. Ulrike Nimz legt bei der Süddeutschen Zeitung den Finger in die Wunde.

Die DDR im Roman „Gittersee“: Innere Wahrheit oder Verfügungsmasse?

Es gibt aktuell eine Debatte im Literaturbetrieb um „Gittersee“, den Debütroman von Charlotte Gneuß. Die Handlung spielt im Jahr 1976 in Dresden, die Autorin wurde 1992 im westdeutschen Ludwigsburg geboren. Der S. Fischer Verlag hat dem DDR-stämmigen Autoren Ingo Schulze das Manuskript vor Erscheinen zugeschickt. Er hatte anschließend eine Liste an Korrekturvorschlägen erstellt. Von den 24 Punkten hat Gneuß zehn übernommen, andere bewusst nicht. Diese interne Liste ist auf nicht nachvollziehbaren Wegen an die Jury des Deutschen Buchpreises gelangt, für den „Gittersee“ nominiert ist.

Damit ist die Liste nicht mehr intern und das Feuilleton diskutiert die Frage: Was darf Literatur? Hier sind einige der Argumente:

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) schreibt Sandra Kegel unter der Überschrift „Die Akte Gneuß“:

„Glittersee“ wurde bislang wohlwollend rezensiert, auch in der F.A.Z.: … [auch] dafür, dass es gut recherchiert sei und die DDR-Lebenswelt glaubwürdig darstelle.

Die Beanstandungen … werfen die Frage auf, ob sie überhaupt den Goldstandard eines Romans treffen. Ob also die Frage „War das damals in der DDR nun genauso, oder war es das nicht?“ die richtige ist, um die Qualität von Literatur zu beurteilen. Und ob ein Roman, der in den Siebzigerjahren in Dresden spielt, zwangsläufig ein DDR-Roman ist, wo doch der Fokus womöglich auf ganz anderen Themen liegt, auf Jugend und Liebe, Geheimnis, Verrat.

Spielfilme wie Romane … sind Werke der Fiktion. Sie müssen dramaturgisch verdichten, um ihre innere Wahrheit zu intensivieren. Daran sind sie zu messen, das ist der Goldstandard.

Beim Deutschlandfunk kommentiert Christoph Schröder:

[Charlotte Gneuß ist] Vertreterin einer jungen Generation von Autoren, die die DDR nicht mehr aus eigener Anschauung kennen und darum eine weitaus größere Distanz zu ihrem Material haben als noch die Generation eines Ingo Schulze oder beispielsweise auch einer Katja Lange-Müller. Anders gesagt: Der fiktionale Raum im Hinblick auf die erzählte DDR weitet sich derzeit, und „Gittersee“ ist ein besonders gelungenes Beispiel dafür.

Es geht also auch darum, wer die Deutungshoheit über Geschichte und Geschichten hat, und inwieweit die präzise Darstellung der äußeren Umstände automatisch auf die innere Wahrheit eines Kunstwerks ausstrahlt. Provokant gefragt: Wen interessiert es, ob Tolstois Beschreibungen der Uniformen des napoleonischen Heers in „Krieg und Frieden“ bis ins Detail korrekt sind?

Die Süddeutsche Zeitung interviewt Ingo Schulze, den Verfasser der Korrekturvorschläge. Er meint:

„Wenn eine bestimmte Zeit und ein bestimmter Ort beschrieben werden, sollte das möglichst stimmen, vor allem auch der Sprachgebrauch. … Oder man weicht ganz bewusst ab, das geht ja auch. 

Dass so etwas wie meine Anmerkungen, die jedem Leser meines Alters aus dem Osten auffallen könnten, überhaupt den Anschein erweckt, etwas substanziell Anstößiges zu markieren oder selbst anstößig zu sein, ist vielleicht auch ein Indiz für eine gewisse Schieflage. … Auch der Literaturbetrieb [ist] westdeutsch geprägt.

Ich würde immer dafür eintreten, dass jede und jeder jederzeit und überall über alles schreiben darf. Deshalb gibt es ja Literatur. Andererseits ist der Osten oft eine Verfügungsmasse, derer man sich für die eigenen Geschichten bedient, was in aller Regel klischeehaft wird.“

Die DDR als reale Fiktion — Christoph Hein und die Ohnmacht seiner Erinnerung

Christoph Hein hat „Das Leben der Anderen“ kritisiert. In der öffentlichen Debatte dazu weicht man aber einer entscheidenden Frage aus: Wie authentisch kann die DDR noch sein, wenn die Fiktion überzeugender wirkt?

In der Süddeutschen Zeitung erschien am 24. Januar 2019 ein Auszug aus Christoph Heins Buch „Gegenlauschangriff — Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“. Er schildert darin, wie Florian Henckel von Donnersmarck im Jahr 2002 von ihm das „typische Leben eines typischen Dramatikers der DDR“ wissen wollte. Das Gespräch schildert Hein als Vorbereitung für „Das Leben der Anderen“. Der Film kam 2005 in die Kinos kam und Henckel von Donnersmarck führte Regie. Ausgezeichnet wurde der Film unter anderem mit dem Oscar.

In seinem Text kritisiert Hein verschiedene Aspekte des Films, dramaturgisch begründete Verkürzungen und Zuspitzungen. Er meint schließlich:

„Das Leben der Anderen“ beschreibt nicht die Achtzigerjahre in der DDR

Die anschließende Diskussion dreht sich vor allem darum, welche Deutungshoheit Christoph Hein über seine eigene Erinnerung haben kann. Eine „Selbstverleugnung des Wissens um die eigenen tristen Lebensumstände“, wirft ihm Andreas Platthaus in der FAZ vor. Thorsten Arend, ehemaliger Lektor von Hein, hielt bei Deutschlandfunk Kultur dagegen: „Es muss natürlich möglich sein, auf seinen Erfahrungen zu beharren und sie ernstgenommen zu sehen. Wenn dann gleich der Vorwurf kommt, na ja, wir wissen es besser, und deine Erinnerungen sind falsch, dann tut man sie so beiseite, wie das eigentlich überhaupt nicht sein dürfte. Das scheint mir schon ein Ost-West-Problem zu sein“.

„Möglichst große Authentizität“

Dabei sind Erinnerungen und die Frage nach authentischer Darstellung entscheidend, gerade bei diesem Film. Denn: Im damaligen Presseheft wird auf Seite 14 unterstrichen, dass „der Film bis ins kleinste Detail authentisch wurde“, man wollte „möglichst große Authentizität“ gewährleisten“. Dieser Anstrich des Authentischen wurde aufgenommen. Die Bundeszentrale hat 2006 ein Filmheft zu „Das Leben der Anderen“ veröffentlicht, gedacht zur Verwendung im Schulunterricht.

Die Authentizität war auch ein wichtiger Aspekt bei Veröffentlichung des Films. „Ja, sage ich, so war es“, urteilte Joachim Gauck 2006 im Stern. Werner Schulz hingegen meinte 2007 in der Welt, dass Donnersmarck das System Stasi nicht verstanden hätte. Einen Offizier wie im Film habe es entsprechend nicht geben können. Er stellte schon damals fest:

„Mit der DDR-Geschichte kann man offenbar losgelöst von historischer Authentizität frei und phantasievoll umgehen.“ 

Daran hat sich seitdem nichts geändert: Am 11. März 2019 bespricht Susanne Lenz in der Frankfurter Rundschau Dirk Brauns‘ „Die Unscheinbaren“. Der Roman ist an die Familiengeschichte des Autors angelehnt. Im letzten Absatz vergleicht die Rezensentin Fiktion und Realität: „Der Sohn, der in der DDR bei der Großmutter blieb, hatte anders als im Buch beschrieben, keine Nachteile oder Anfeindungen zu ertragen, wie der Buch-Sohn nach der Verhaftung der Eltern. Sogar studieren konnte er.“

„Westdeutsche Fantasie“

Ein Detail, mag man meinen. Doch auch fiktionale Stoffe prägen den Blick auf Vergangenheit. Vielmehr noch: Durch ihren emotionale Inszenierung, ihre Zuspitzung und ihren breite Öffentlichkeit sind sie oft weit prägender als klassische Dokumentationen – siehe etwa das Filmheft zu „Das Leben der Anderen“. Und wenn sich eine Darstellung explizit authentisch nennt, auf historische Berater_innen zurückgreift, die eigene Geschichte in den Fokus setzt, dann muss sie sich auch daran messen lassen. Dann kann und darf sie sich nicht mehr auf dramaturgische Ausreden zurückziehen. Mit jeder Fiktionalisierung wird ein Geschichtsbild, ein Bild, eine Sicht geprägt und immer mehr muss man fragen, wie sehr dieses Bild der realen Geschichte der DDR entspricht – oder dem Bild, wie das wir in der Rückschau sehen. Sehen möchten. Mit Bezug auf die Hein-Debatte meint etwa Adam Soboczynsk in der Zeit: „Wir hätten die DDR in der Rückschau gerne als Räuberpistole, sie war aber vor allem eine Qual.“

Warum hier nicht genug aufgehorcht werden kann, zeigt eine Episode, die Christoph Hein in seinem Auszug schildert und in der Debatte um die Verlässlichkeit seiner Erinnerung eher untergegangen ist. In einem Universitätsseminar habe ein Professor erklärt, dass Jakob Hein als Autor seiner Anti-Zensur-Rede von 1987 nicht ins Gefängnis gekommen sei.

„Das sei unmöglich, beharrten die Studenten, so könne es nicht gewesen sein, sie wüssten das ganz genau, weil sie ja den Film ‚Das Leben der Anderen‘ gesehen hätten.“ 

Hein resümiert:

„Der Film wurde ein Welterfolg. Es ist aussichtslos für mich, meine Lebensgeschichte dagegensetzen zu wollen. Ich werde meine Erinnerungen dem Kino anpassen müssen.“ 

Die DDR, so muss festgehalten werden, existiert offenbar inzwischen vor allem als Fiktion, als ein Leben der Anderen in einer anderen Welt. Und an dieser Fiktion sind die Menschen, die die Realität dieses Landes kannten, kaum mehr beteiligt. So schreibt Adam Soboczynsk in seinem Artikel: „Auf dem 10. Schriftstellerkongress der DDR mit einer aufsehenerregenden Rede die Abschaffung der Zensur zu verlangen, dafür brauchte man mehr Rückgrat, als die westdeutsche Fantasie heute hergibt.“

Doch Geschichte ist komplexer als die Fantasie einer einzelnen Gruppe. Wie jüngst erst Historikerin Mary Fulbrook feststellt, gibt es nur dämonisierende oder verharmlosende Darstellungen der DDR. Es wird Zeit, dass die DDR-Darstellungen vielfältiger werden. Wie wäre es zur Abwechslung mit der Realität — und ostdeutschen Erinnerungen und Fantasien?

Hünfeld: Schrecknisse der alternativen Geschichte

Was hat der Wiener Kongress von 1815 mit der DDR zu tun? Und welche Schlüsselrolle spielt Hünfeld dabei? Die Fuldaer Zeitung versucht sich an einer überraschenden Argumentationskette. Also aufgepasst!

  1. Preußen sollte dem Herzogtum Sachsen-Weimar 27.00 Einwohner aus dem neu übernommenen Territorium von Fulda überlassen.
  2. Das Kurfürstentum Hessen-Kassel tritt daher die Stadt Vacha und ihr Umland an das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach ab.
  3. Ab 1949 sind die Städte Vacha und Geisa DDR-Grenzstädte an der innerdeutschen Grenze.

Jetzt kommt allerdings die eigentliche Meldung. Festhalten!

Es hätte auch ganz anders kommen können! 1815 hätten nämlich anstatt Vacha und Geisa die Ämter Haselstein, Eiterfeld und Hünfeld an Sachsen-Weimar gehen können. Die Fuldaer Zeitung demonstriert die dramatischen Folgen für die Geschichte: Den US-Stützpunkt „Point Black“ hätte es woanders gegeben! Menschen aus Hünfeld wären nach der Grenzöffnung mit dem Trabi nach Fulda gekommen! Oder vielleicht am wichtigsten:

[Der Kasseler Kurfürst ersparte] so dem Hünfelder Land unter anderem die „Segnungen“ des Sozialismus.

Diese Lehren aus der Geschichte sollten wir niemals vergessen. Danke, Fuldaer Zeitung!

Das Jahrhunderthaus mit DDR und Problemen

Eigentlich hat das ZDF mit dem „Jahrhunderthaus“ vieles richtig gemacht. In dieser Dokumentation erlebt eine Durchschnittsfamilie die deutsche Alltagsgeschichte der letzten 100 Jahre. Im Zentrum des Mehrteilers stehen dabei die 20er, 50er und 70er Jahre. Und im Gegensatz zu anderen Beiträgen kommt auch die DDR-Geschichte vor. Doch da fangen die Probleme an.

Das „Auch“-Problem

In der Geschichte und im Alltag von Ost und West gab es viele Gemeinsamkeiten. Da sich das „Jahrhunderthaus“ vor allem an der westdeutschen Geschichte orientiert, folgt oft eine Ergänzung in der Form von „auch in der DDR …“. Dass dies zwangsläufig zu kuriosen Ergebnissen führt, zeigt dieser Zusammenschnitt:

Das Fakten-Problem

Ein Stilmittel dieser Dokumentation sind Zwischensequenzen, in denen die Jahrzehnte anhand von Zahlen verglichen werden. Das Durchschnittsgewicht kommt hier ebenso vor wie durchschnittliche Kosten und Löhne. Dabei handelt es sich in den 50er und 70er Jahren ausschließlich um Angaben aus der Bundesrepublik — klar erkennbar an der Deutschen Mark. Bei allen anderen Werten ist hingegen nie ersichtlich, ob sie sich auf Ost‑, West- oder Gesamtdeutschland beziehen.

Doch halt, eine Ausnahme gibt es: Beim Thema Alkohol werden die DDR-Bergarbeiter statistisch dargestellt. Und während die Beispiel-Person im Statistik-Teil stets stumm bleibt, ist sie hier überraschenderweise zu hören. Natürlich auf sächsisch, also in DDR-Sprache. Damit es auch alle verstehen.

Das Interview-Problem

Bei den Zeitzeugen ist die Dokumentation überraschend akkurat: 17 Westdeutsche und 5 Ostdeutsche entsprechen ziemlich genau dem Bevölkerungsverhältnis.

Schwieriger sind die Interviews mit den Expert_innen. Hier verzichtet das „Jahrhunderthaus“ im Gegensatz zu den Zeitzeugen auf eine Herkunftsangabe. Ganz so, als stünden sie außerhalb von Ost und West. Das ist besonders auffällig in einer Dokumentation, die durchaus Wert auf dieses Thema legt. Bei einem genaueren Blick wird aber klar: Keine dieser Personen stammt aus Ostdeutschland. Damit reproduziert der Film leider ein altes Muster: Expertise zu deutschen Themen wird wieder einmal nur Personen aus Westdeutschland zugesprochen.

Besonders kurios ist die von Michael Kessler gespielte Hauptrolle, die auch als Off-Kommentar zu hören ist: In einigen Spielszenen der ersten Staffel bekommt die Figur eine ostdeutsche Vergangenheit. Das wird aber nicht konsequent durchgehalten und in der zweiten Staffel völlig verworfen.

„Das Jahrhunderthaus“ — alle Folgen

Berichtenswert: Heinz Rudolf Kunze war als Kind in der DDR!

Egon Krenz und Heinz Rudolf Kunze sprechen miteinander, herausgekommen ist das Buch „Ich will hier nicht das letzte Wort“. So langweilig wie es klingt, ist es auch. Aber weil die zwei ja nicht unbekannt sind: Was schreibt man da als Presseagentur in eine Meldung?

Wer in die Leseprobe schaut, findet etwa folgende Erkenntnisse:

  • Das Politbüro hat die Rockkonzerte 1988 in der DDR unterstützt.
  • Heinz Rudolf Kunze meint, dass sich heute mehr Musiker für den Frieden einsetzen sollten.
  • Aus der Sicht von Egon Krenz ist der Kalte Krieg noch nicht vorbei.

Es geht also durchaus politisch und aktuell zu in dem Buch. Was macht also die Deutsche Presse-Agentur daraus? Sie zitiert Heinz Rudolf Kunze, der darüber spricht, wie er als Kind die DDR wahrgenommen hat:

Bei seinen DDR-Besuchen habe er im Umfeld von Omas und Opas, Tanten und Onkeln, nicht einen getroffen, der mit dem System zufrieden gewesen sei.

Egon Krenz darf da nur ergänzen, was man sowieso von ihm erwartet: Es müsse aber auch Leute gegeben haben, die hinter der DDR standen.

In der Presseinformation der Eulenspiegel-Verlagsgruppe heißt es übrigens zur Veröffentlichung:

Das Buch ist allerdings mehr als nur ein Gedankenaustausch zweier interessanter Persönlichkeiten über Vergangenes und Gemeinsames. Es ist auch eine Art Bestandsaufnahme, wie weit wir in Deutschland im mittlerweile ein Vierteljahrhundert währenden Vereinigungsprozess gekommen sind.

So weit dann offenbar noch nicht: Westdeutsche, die über Ostdeutsche reden, die nicht selbst zu Wort kommen. Schon wieder. Oder: Immer noch.

„Arbeiterinnen im Wedding sind nicht in Armani rumgelaufen“

Gab es in der DDR eigentlich schöne Mode? Die Welt zeigt sich innovativ und spricht mit einer Ostdeutschen! Dorothea Melis war Moderedakteurin der Modezeitschrift „Sybille“ und kommt im Interview zu Wort.

Ist dieser Artikel nun fern aller Klischees? Ach i wo! Schließlich lässt sich in die Fragen ja noch viel hinein packen:

Erkennen Sie heute noch an der Kleidung, wer aus dem Osten kommt und wer aus dem Westen?

Graue Kittelschürze, Hemden aus knisternden Synthetikstoffen — alles nur ein Vorurteil?

In der DDR war Moderedakteurin ja sicherlich kein typischer Beruf.

Haben modisch gekleidete Frauen in der DDR Ärger bekommen?

Gibt es heute bei den Ostdeutschen, die es sich leisten können, einen Nachholbedarf in Sachen Luxus — ähnlich wie etwa bei den neureichen Russen?

Das sind also die großen Themen: Die Mode war grau, modisch war sowieso nichts und die Ostdeutschen hatten ganz schön Nachholbedarf. Und unterscheiden kann man Ost und West sowieso.

Auffällig: Üblicherweise wird die Überschrift zu einem Interview aus einer Antwort gebildet. In diesem Fall lautet die Überschrift aber „Wie schick war die DDR?“ Die westdeutsche Frageposition steht also prominent, nicht die ostdeutsche Antwort.

Aber was sagt Dorothea Melis zu solchen Fragen? Sie macht ganz klare Ansagen:

Die Berlinerin ist nicht elegant. Da unterscheiden sich Ost und West heute überhaupt nicht mehr.

Auffällig ist schon, dass kurz nach der Wende die Frauen [aus der DDR] auf einmal so geschmacklos gekleidet waren. Der Westen war offen, nun konnten sie bei Woolworth am Wühltisch das kaufen, was sie die ganze Zeit vermisst haben.

Kittelschürzen haben die Frauen im Westen doch genauso getragen! Es kann mir keiner erzählen, dass die Arbeiterinnen im Wedding oder im Ruhrgebiet in Armani oder Kenzo rumgelaufen sind.

Bei der Kleidung kaufen [die Ostdeutschen] eher die gängige Konfektion. [Sie] sind im Grunde konformistischer geworden als jemals zuvor.

Doch davon lässt sich die Welt natürlich nicht von ihrer Ostsicht abbringen. Immerhin gibt es ja noch Bildunterschriften zu verteilen!

DDR-Damenmode 1970: Das Kostüm sieht aus wie im Westen, die Platte ist typisch Osten.

Ja, das Kostüm stammt tatsächlich aus der DDR. Und Plattenbau gab es auch im Westen. Muss man ja offenbar immer mal wieder sagen.

Der Welt-Artikel stammt von 2007, ist aber gerade wieder im Netz aufgetaucht. Warum auch immer.

Die Studie in den Köpfen — wenn Wirtschaftswissenschaftler Ossi-Psychologie erklären

Alle, die bisher immer geglaubt haben, dass die DDR bis heute in den Köpfen wirkt, dürfen jetzt aufspringen, in die Hände klatschen und jubeln: Eine wissenschaftliche Studie gibt ihnen Recht!

Expertenwissen! Forschung! Objektivität! Danach lechzen wir, also schauen wir uns das doch einmal an:

Wer hat die Studie durchgeführt?

  • Tim Friehe, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Marburg
    Wissenschaftliche Stationen in Philadelphia (USA), Hamburg, Mainz, Tübingen, Konstanz, Bonn.
  • Markus Pannenberg, Wirtschaftswissenschaftler an der Fachhochschule Bielefeld
    Wissenschaftliche Stationen an der TU Berlin, in Frankfurt/Oder und Halle. Abitur in Rüthen (NRW).
  • Michael Wedow, Europäische Zentralbank

Europäische Zentralbank. Aha. (Erklärung folgt unten)

Was will die Studie?

Die Arbeit mit dem lyrischen Titel „Let Bygones Be Bygones?“ („Soll die Vergangenheit ruhen?“) möchte den Einfluss politischer Systeme auf die Persönlichkeit untersuchen. Die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands wird dabei als „natürliches Experiment“ angesehen und genutzt. Die Forscher gehen dabei davon aus, dass die DDR-Regierung einen Einfluss auf die Persönlichkeit gehabt hat.

Alle Angaben zur Studie stammen aus der Untersuchung selbst, die kostenlos zum Download bereit steht.

Wie geht die Studie vor?

Die Studie nutzt Daten des Sozioökomischen Panels SOEP, das seit 1984 Erhebungen in deutschen Haushalten durchführt. Konkret werden Erhebungen aus den Jahren 2005, 2009 und 2010 genutzt — ausschlaggebend: Die Menschen müssen 1989 entweder in der BRD oder DDR gelebt haben und müssen in Deutschland geboren oder vor 1949 immigriert sein. Beim Abgleich der Daten ist dann folgende Sache passiert:

German natives living in East Germany in 1989 constitute the treatment group, while natives living in West Germany in 1989 represent the control group. (Seite 8 der Studie)

Das kennen wir aus Medikamententests: Die Behandlungsgruppe erhält das Medikament, die Kontrollgruppe nicht. Die Kontrollgruppe bleibt normal, die Behandlungsgruppe ist die Abweichung von der Norm.

Was findet die Studie heraus?

Natürlich findet sie Unterschiede:

We find that the GDR’s socialist regime is via its footprint in personalities – more than 25 years after its demolition – still relevant in important ways today and well into the future. […] People who lived in the GDR in 1989 are – when compared to people from the FRG – more neurotic, less open, more conscientious, and have a more external locus of control.

Das DDR-System lebt also fort in den Köpfen von neurotischen, weniger offenen und gewissenhaften Ostdeutschen, die sich niedrige Ziele setzen.

Aber nicht zu vergessen: Die wichtigste Erkenntnis:

[…] the shadows of the past are economically significant.

Damit dürfte auch klar sein, warum hier die Zentralbank an Bord ist.

Und stimmt das auch?

Wer weiß. Möglicherweise. Vielleicht auch nicht. Das liegt an einigen offensichtlichen Schwächen der Studie:

  • Die ausgeblendete Zeit: Wenn Daten aus den Jahren 2005 – 2010 ausgewertet werden, kann keine direkte Linie zu Ursachen von vor 1989 gezogen werden. Die Einflussfaktoren zwischen 1989 und den Jahren der Datenerhebung müssen dabei ebenfalls in Betracht gezogen werden. Das ist nicht geschehen.
  • Die Behauptung einer Normalität: Die Studie trifft ihre Aussage, da sie die Daten aus der Bundesrepublik als Kontrollgruppe neben die DDR-Gruppe legt. Doch wie kann ein dynamisches Gesellschaftssystem neben einem anderen dynamischen Gesellschaftssystem als neutrale Kontrollgruppe gelten? Noch absurder: Die Forscher gehen ausdrücklich davon aus, dass das DDR-System alle Lebensbereiche durchdrungen habe. Wenn es also eine statische monolithische Gesellschaft gegeben hätte, wäre es also eher die DDR-Gruppe gewesen. Dann hätte diese aber zur Norm werden sollen.
  • Der falsche Fachzugang: Wirtschaftswissenschaften können bestimmt viele tolle Dinge. Was sie nicht können: Psychologische Auswirkungen fundiert bewerten. Dafür gibt es andere Fachdisziplinen.

Dass in der Studie die Dichte von Inoffiziellen Mitarbeitern in Beziehung zu den Persönlichkeitsmustern gesetzt und eine Kausalität konstruiert wird, lassen wir mal gleich ganz weg.

Quatsch also — aber warum dann hier so breit thematisieren?

Weil das woanders nicht so gesehen wird: Spiegel Online verbreitet die Ereignisse der Studie, Kritik kommt nur gegen Ende in einem Zitat der Persönlichkeitsforscherin Jule Specht vor:

Es ist gewagt, die Unterschiede, die heute zwischen den Menschen existieren, auf Einflüsse von vor 25 Jahren zurückzuführen.

Das hält den Artikel aber nicht davon ab, mit altbekannten Klischeebildern zu beginnen. Und mit dem Fazit der Studie zu schließen. Solange die Wissenschaft den Osten so erklärt, wie wir ihn haben möchten, wollen wir weiterhin aufspringen, in die Hände klatschen und jubeln.

Danke an Sylvia für den Hinweis!

Kurios: Die DDR im Internet

Wir beschäftigen uns hier ja damit, wie der Osten in all seinen Projektionen in den Medien dargestellt wird. Dabei haben wir in der Regel die „klassischen“ Medien im Blick. Doch wie sieht es in diesem krassen neuen Teil, diesem Internet aus? Die Historikerin Irmgard Zündorf hat sich in einem Seminar angeschaut, wie die DDR im Internet dargestellt wird. Ihre Erkenntnis: Es überwiegt deutlich eine kritische Auseinandersetzung. Die Erklärung ist einfach, wie sie im Interview mit der Thüringischen Landeszeitung erläutert:

Eine gute Geschichtsdarstellung kostet Geld. Und für eine ostalgische Seite, die gut gemacht ist, kriegt man keine öffentlichen Gelder. […] Wir haben auch Seiten gefunden von ehemaligen Grenzern oder ein MfS-Forum. Die waren so schlecht gemacht, dass die Studierenden meinten: Das ist zwar ein kurioses Bild der DDR, aber zu den Seiten würde man sich als junger Mensch sowieso nicht verirren.

Ein durchaus überraschender Befund also: Gerade im pluralistisch angelegten Internet werden so die Sicht- und Erzählweisen viel eingeschränkter als es möglich wäre. Gerade in Hinblick auf einen Staat, von dem man sich mit der viel beschworenen Meinungsfreiheit abheben wollte und will, ist dies recht bedenklich. Dass dies auch nicht im Sinne einer kritischen und umfangreichen Geschichtsdarstellung sein kann, zeigt das Resümee der Wissenschaftlerin und ihren Studierenden:

Was den Studierenden wiederum negativ aufgefallen ist: Die DDR wird dort sehr häufig im Spiegel der Bundesrepublik dargestellt. Die Bundesrepublik ist das Positivbeispiel, und die DDR ist das Negativbeispiel. Ihnen war das zu sehr schwarz-weiß. Immer ist die DDR offensichtlich ein Staat, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, wo die Regierung völlig desolat war, die Stasi alles beherrschte und der überwiegende Teil der Bevölkerung in der Opposition war. Gerade der letzte Punkt hat uns irritiert. Wieso konnte dieser Staat überhaupt 40 Jahre lang bestehen, wenn keiner ihn haben wollte und alle dagegen waren? Diese Unklarheit führt dazu, dass für junge Leute, die keinen direkten Bezug zur DDR haben, dieser Staat eine kuriose Geschichte bleibt.

DDR macht Schule in Thüringen und Bayern

Wie sollte angemessen mit der DDR im Schulunterricht umgegangen werden? Zwei aktuelle Beispiele gehen da völlig unterschiedlich heran:

Im ersten Fall lässt eine Lehrerin ein Theaterstück über die DDR aufführen. Das wird in der Welt kritisiert.

Im zweiten Fall wird an mehreren Tagen die DDR in der Schule nachgestellt. Das wird im Bayerischen Rundfunk für gut befunden:

Fall 1 geschah an einem Gymnasium in Suhl unter Anleitung einer Lehrerin mit DDR-Vergangenheit bzw. „DDR-Tick“, wie es im Artikel heißt. Sie hatte sich im Blauhemd der FDJ fotografieren lassen. Fall 2 ereignete sich an einem Gymnasium in Coburg, die Schülerinnen und Schüler hatten dafür mit Zeitzeugen gesprochen. Verkauft wurden Kekse mit Hammer und Sichel.

Aber natürlich bleiben das zwei komplett unterschiedliche Aktionen, die völlig unterschiedlich bewertet werden müssen. Wo kommen wir denn sonst hin, wenn wir plötzlich Ähnlichkeiten zwischen Bayern und Thüringen sehen würden?