Die neue Mauer für den Westen: Das Ostthema

Die Journalistin Sabine Rennefanz und der Nazi Uwe Mundlos haben im gleichen Alter den Mauerfall erlebt. Rennefanz vergleicht nun Lebensstationen von Mundlos mit ihrer eigenen Biographie — und kommt zu einigen Erkenntnissen, die von der klassischen „Die DDR-Erziehung ist schuld“-Erklärung abweichen.

Dabei tut sie etwas sehr nahe liegendes: Sie nimmt Erlebnisse nach der Zeit der politischen Wende in den Blick und zeigt auf, wozu Unsicherheiten, fehlende Vorbilder und der Wunsch nach einem klaren Weltbild führen können. Der Text ist unter der Überschrift „Uwe Mundlos und ich“ in der Berliner Zeitung erschienen.

Das Fazit von Rennefanz verweist auf ein weiteres Problem: Der Westen Deutschlands hat bereitwillig Vorfälle in den neuen Ländern aufgegriffen, um verschiedene Probleme — Rechtsextremismus, Kindstötung — als Ostprobleme darzustellen. Für gesamtdeutsche oder gar westspezifische Probleme ist da kein Platz:

Die einzige Partei, die über die Jahre immer wieder wegen der rechten Tötungsverbrechen bei der Bundesregierung nachgehakt hat, war die Linkspartei. SPD und Grüne haben sich wenig für das Thema interessiert. Ist ja auch ein Ost-Thema, das nichts mit dem Westen zu tun hat.

Diese Haltung ist verbreitet und bequem, sie hat den Vorteil, dass man sich selbst nicht hinterfragen, sich nicht ändern muss. Es ist wie eine neue Mauer, die zwanzig Jahre nach der Einheit wieder hochgezogen wird. Eine Mauer, hinter der sich die Westdeutschen verstecken können.

rechter terror als ost-west-thema 1

in den letzten tagen gab es in den medien versuche, den „rechten terror“ als ost-west-thema zu verhandeln. was haben die rassistischen morde und anschläge durch nazis und der skandal um das jahrelange versagen von institutionen durch wegschauen, unfähigkeit oder gar unterstützung mit ostdeutschland (und westdeutschland) zu tun?

hier der erste teil einer kurzen serie von kommentierten artikeln zum thema.

jana hensels artikel Raus aus dem Untergrund auf dem titel des freitag vom 17. november ist mir als erstes ins irritierte auge gefallen.

hensel fordert darin, das gewordensein der mutmaßlichen mörder_innen als teil ihrer post-wende ost-biografie zu betrachten. dabei stellt sie das heranwachsen der nazis (und ihr eigenes) in den 1990er jahren ins zentrum ihrer analyse. dieser biografische und personalisierende fokus erscheint mir jetzt nicht gänzlich unsäglich, blendet aber in erschreckender weise die strukturell politische dimension der ganzen „affäre“ im hier und jetzt (des letzten jahrzehnts) aus. ich frage mich, welche erkenntnis dieser fokus tatsächlich bringen kann, z.b. im hinblick auf den kampf gegen nazis und ihre strukturen oder im kampf gegen rassismus in der gesellschaftlichen mitte und ihren institutionen.

die nazis werden von hensel zudem mehrfach als kinder/jugendliche bezeichnet. ihre gesinnung und mutmaßlichen taten werden als folge eines „abgleitens“ und „verloren gehens“ verharmlost und als extreme variante des angeblich gängigen fahrraddiebstahls hingestellt — sie werden als opfer ihrer generation stilisert.
die eigentlichen opfer der rassistischen mord- und anschlagsserie — als „nicht-zugehörig“ und „ausländisch“ markierte menschen — kommen hingegen nur am rande, nämlich als aufhänger für die ost-west-deabtte, vor.*

spannend finde ich hingegen hensels bemerkung zum begriff „Braune Armee Fraktion“, der ihres erachtens eine „immer gleiche Perspektive“ entlarve:

„Es ist auch diesmal die Geschichte der alten Bundesrepublik, die ins Zentrum der Betrachtung drängt und die Vergleichsmaßstäbe setzt.“

hensel spricht damit deutungshoheiten und normvorstellungen von geschichte und gegenwart im heutigen deutschland an, welche sie als westzentrisch begreift. in diesem punkt stimme ich ihr zu.

teil zwei ist in arbeit.

* auch, dass hensel den begriff rassismus („Herkunftsrassismus“) für dominanzdeutsche verwendet, nicht aber für die rassistischen morde, halte ich für wirklich fehlplatziert.