Das DDR-Sport-Kausalitätsparadoxon

Das DDR-Sport-Kausalitätsparadoxon geht so:

  1. Die DDR wollte international anerkannt sein. Mittel zum Zweck: In möglichst vielen internationalen Sportverbänden aufgenommen werden und möglichst viele Medaillen gewinnen.
  2. Wie bekommt man möglichst viele Medaillen? Mittel zum Zweck: Harte Selektion, hartes Training und Doping!
  3. Auch die BRD möchte möglichst viele Medaillen. Mittel zum Zweck bei den Olympischen Spielen 1992: Ein Großteil der deutschen Olympiamannschaft stammt aus der DDR und holt 82mal Bronze, Silber und Gold.
  4. 2016 holte Deutschland 44 Medaillen, das muss mehr werden! Aktuelles Mittel zum Zweck: Das Innenministerium möchte die Spitzensportförderung neu ordnen. Der Fokus liegt auf medaillenträchtigen Sportler_innen und Sportarten.
  5. Die Pläne stoßen auf Kritik. Mittel zum Zweck in den Medien: Eine DDR-Turnerin erinnert sich beim Deutschlandfunk an ihre verlorene Kindheit, der Sender erinnert auch des „besonders im Sport inhumanen DDR-Regimes“ und die taz kombiniert Textpassagen aus dem Sportbeschluss der DDR 1969 mit aktuellen Ansätzen. Welche Absätze woher stammen, verrät sie aber nicht.
  6. Das Paradoxon ist komplett: Wir wollen die Sporterfolge der DDR ohne die DDR. Medaillen um jeden Preis (Gauck: „Ich möchte nicht Präsident eines Landes sein, das Medaillen um jeden Preis will“).
  7. Medaillenspiegel sind fragwürdig? Ach was.

Selbstbilder in Zeiten von Doping und NSA

Dieser Sommer 2013 wird später einmal als der Sommer gelten, in dem westdeutsche Gewissheiten flöten gingen.

Beispiel Doping: Jahrzehntelang inszenierte sich die BRD als Land des sauberen Sports, indem sie mit dem Finger auf den Osten zeigte und dessen Sportler_innen mit sexistischen Vergleichen belegte.

Die anhaltende Diskussion um einen Forschungsbericht zu westdeutschem Doping belegt da eindrücklich, wie schwierig es ist, das eigene Weltbild an abweichende Erkenntnisse anzupassen. Immer wieder kommen Fragen auf: War es so schlimm wie in der DDR, hat man vielleicht nur anders gedopt — ja, ist es überhaupt vergleichbar? Dass man 2 deutsche Staaten miteinander vergleichen könne — diese Vorstellung bereit offenbar Angst. Wenn die eigene moralische Position davon bedroht wird.

Beipiel NSA: Jahrzehntelang inszenierte sich die BRD als ein freies Land, indem sie mit dem Finger auf den Osten zeigte und das Vorgehen der Stasi genüsslich ausweidete.

Jetzt ist nicht nur die Stasi seit 20 Jahren fort, unbemerkt von manch treuen BRD-Anhänger_innen. Nun steht auch die Erkenntnis ins Haus, dass im Westen ebenfalls umfassend Daten gesammelt werden. Auch bei diesem Thema wendet man sich gerne der Frage zu, ob dies denn mit der DDR vergleichbar wäre. Und auch hier wird abgewiegelt. Was zum einen erstaunt, sind doch bislang kaum ausreichend Erkenntnisse vorhanden. Zum anderen erfolgt es auf Basis gewagter Behauptungen: Das Abschöpfen von Metadaten ist etwa keineswegs datenschutzfreundlich — in Zeiten von Big Data reicht dieses Vorgehen vollkommen aus, um alle Informationen zu erhalten, die man als Geheimdienst so braucht bzw. haben möchte.

Mit Verweis auf die DDR entzieht man sich so der aktuellen Verantwortung und führt Alibi-Diskussionen. „Man kann es nicht vergleichen, dort war es aber schlimmer“ — mit dieser Haltung zeigt der Finger also weiterhin auf das vermeintlich Andere, anstatt an die eigene Nase zu fassen.

Passend dazu: Die aktuelle Kolumne „Schnauze Wessi“.

Was nützt das Doping in Gedanken?

„Die Polarisierung Ost kontra West ist jetzt beendet. Jetzt zeigt sich deutlich, dass der Sport auf beiden Seiten politisch benutzt wurde.“

Christian Schenk, Olympiasieger im Zehnkampf, im Interview mit der Welt am Sonntag

Am Wochenende hat die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass die BRD in bislang ungekanntem Ausmaße Staats-Doping betrieben gefördert hat. Seit April 2013 wurde die Veröffentlichung der Studie zurückgehalten.

(Dieser Text wurde bereits vorsorglich relativiert.)

Einseitig gedopt: Eine Doku in der öffentlichen Wahrnehmung

Man stelle sich vor: Da stört sich die Filmemacherin Sandra Kadelka am eindimensionalen Bild, das vom DDR-Sport gezeichnet wird und dreht „Einzelkämpfer“, einen differenzierten Dokumentarfilm über die Menschen und den Sport. Und was dringt von diesem Film an die Öffentlichkeit?

DDR-Olympiasieger gedopt.

„Ach was“, schreibt Claudio Catuogno in der Süddeutschen über diese Reduktion und lobt den Film. Er resümiert: Der DDR-Sport mit seiner Leistungs-Optimierung habe seine Protagonisten ganz gut vorbereitet auf die Leistungs-Optimierung um jeden Preis im Spitzensport West.

„Einzelkämpfer“ feiert seine Premiere am 15.2.2013 auf der Berlinale.

Aktuelle DDR-Vergleiche #7 — Lance Armstrong

Heute lernen wir, wie ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat einen anderen Zusammenhang konstruiert.

Armstrong ist unheimlich strukturiert und hat sehr gut mit Anwälten zusammengearbeitet, vielleicht sogar Sportfunktionäre beeinflusst. Ähnlich strukturiert war das in der DDR, wo alles unter staatlicher Aufsicht gemacht wurde.

So wird Wilhelm Schänzer, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln, in diesen Tagen zitiert. Bei n‑tv, Sport1 und Focus Online wurde die Meldung des Sport-Informations-Dienstes (SID) verbreitet: Armstrong = Staatsdoping = DDR. Wer aber in die Videoaufnahme des SID-Interviews schaut, kann feststellen, dass der Vergleich von der interviewenden Person eingebracht wurde, nicht von Schänzer. Der Professor verweist auf die aktive Rolle des Sportlers, die bislang unterschätzt worden sei. Einen direkten Vergleich zwischen Armstrong und DDR zieht er nicht.

Aber egal. Wenn in den Medien das Wort „Doping“ fällt, ist der Dreiklang mit „Staatsdoping“ und „DDR“ nicht fern. In einem  Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geht es daher nicht nur um das Leben des Radprofis, sondern auch zu großen Teilen um den Sport in der DDR. Dies kulminiert im ultimativen Vergleich:

Die Manipulation der DDR war perfider, mit Kinder-Doping und all den detailliert dokumentierten, schrecklichen Nebenwirkungen in diesem Menschenversuch noch menschenverachtender. Aber nie zuvor hat ein einzelner Sportler den professionellen Zweig einer ganzen Sportart so beherrscht, ja am Leben erhalten.

Da wundert es nicht, dass Armstrong selbst sich zu diesem Vergleich äußert:

Ich habe die Doping-Kultur des Radsports nicht erfunden, aber auch nicht versucht, sie zu beenden. Der Sport zahlt den Preis dafür. Aber zu sagen, unser Programm sei größer gewesen als das der DDR in den 70er- und 80er-Jahren, das ist falsch.

Als einzelne Person einen ganzen Staatsapparat zu übertreffen, das wäre tatsächlich eine große Leistung gewesen. Aber vielleicht wäre es angebracht, über sinnvollere Vergleiche nachzudenken, wenn diese schon notwendig sein müssen. Kleiner Tipp: Doping wurde und wird auch außerhalb der DDR praktiziert. Und die Tour de France wäre in diesem Fall nicht unbedingt an den Haaren herbeigezogen gewesen.

Nicht nur heiße Luft 3

Ach, was wurde über das DDR-Doping gespottet. Über Anabolika, das aus Frauen Männern mache, unnatürliche Muskeln wachsen lasse und überhaupt: Das ganze war ja doch nur Kalter Krieg. Nicht so im sauberen Westen, in dem der Sport noch sportlich genommen wurde. Der Aufruhr um die völlig überraschenden Doping-Fälle bei der Tour de France vor einigen Jahren spricht da Bände.

Aber nun zeigt sich: Auch der Westen hat gedopt — in einer Weise, die in sport- und menschenverachtender Weise kaum hinter den DDR-Maßnahmen zurücksteht: „Aufpumpen“ wurde hier noch ernstgenommen, zumindest wenn man der Süddeutschen Zeitung glauben kann.