Mrz
3
2012
Mit das Schlimmste, was einer sozialen Bewegung passieren kann, ist es, wenn ihr die Selbstbezeichnung aberkannt wird und sie so von außen benannt und instrumentalisiert wird. So ist es mit den Protagonistinnen und Protagonisten der Bürgerrechtsbewegung der DDR im vereinten Deutschland geschehen.
Quatsch? Doch: Diejenigen, die Kritik an der Herrschaft in der Deutschen Demokratischen Republik übten, verstanden sich nämlich nicht als Bürgerrechtler — sie bezeichneten sich selbst als Opposition. Hans-Jochen Tschiche sagt dazu im Interview mit dem Freitag:
Ich bin kein Bürgerrechtler. Diesen Namen haben sie uns im Westen gegeben, das Wort kannte ich zu DDR-Zeiten gar nicht. […]
Durch die Kandidatur von Joachim Gauck höre ich es nun immerzu. Aber „Bürgerrechtler“ klingt für mich so, als hätten wir damals gewollt, dass alles so wird wie heute. […] Wir sind aber damals nicht nur für die Freiheitsrechte angetreten, sondern es ging uns um drei Dinge: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und wir vertraten eine grundsätzliche Kritik der modernen Industriegesellschaft.
Woher die neue Bezeichnung kam, kann ich nur vermuten: Sicherlich ist sie beeinflusst von den bekannten Bürgerrechtsbewegungen, vor allem dem civil rights movement in den USA unter Martin Luther King. Wahrscheinlich steckt auch die Vorstellung dahinter, dass nur Bürger für die eigenen Rechte auf die Straße gehen würden, nicht aber Arbeiter und Bauern — man beachte die doppelte Bedeutung von „Staatsbürgertum“ (alle Angehörigen eines Staates) und „Bürgertum“, das vor allem auf die Mittelschicht abhebt.
Unterschlagen wird dabei, dass es der Opposition in der DDR um Menschenrechte ging — es ging ihnen also nicht nur um eine Verbesserung der Zustände in der DDR allein. Man kann dies utopisch finden oder aber leugnen, dass dies notwendig gewesen wäre. Dies ist geschehen, indem sie als „Bürgerrechtler“ auf ihr eigenes Land beschränkt werden. Mit dieser Bezeichnung sieht es nun also so aus, als hätte die DDR-Opposition die BRD-Zustände haben wollen — und die Bundesrepublik kann sich so als das gelobte Land des Widerstandes inszenieren.
Das ist das vielleicht bitterste Ergebnis der oppositionellen Bewegung der DDR: Sie bekamen im Westen ein neues Label, mit dem sie sich überhaupt nicht identifizieren können und das ihre Ziele fehldeutet. Und das, was sie tatsächlich erreichte, wurde ebenfalls fremdbenannt und fremdgedeutet: Der Begriff „Wende“ stammt von Egon Krenz, erwähnt er ihn in seiner Antrittsrede am 18. Oktober 1989. (Update: Hier die vollständige Rede von Krenz mit dem entsprechenden Wortlaut als PDF. Zuvor habe ich auf diesen Text verwiesen. Dessen Autor Eckhard Jesse sollte allerdings mit Vorsicht gelesen werden, da er die in Politologenkreisen umstrittene Extremismustheorie mitbegründet hat und auch für eher rechtslastige Positionen bekannt ist.)