Der Deutschlandfunk auf Entdeckungsreise in Halle (Saale)

Der Deutschlandfunk (DLF) hatte am 16. Mai zu einer Diskussion zum Solidarpakt Ost nach Halle (Saale) geladen. Es ging um politische und wirtschaftliche Fragen: Ist das nur ein Wahlkampfthema? Benötigen auch Gebiete im Westen Unterstützung? Der DLF schaffte es, diese Themen mit den Methoden einer Auslandskorrespondenz zu vermitteln.

Wie Berichterstattung aus einem anderen Land hört es sich nämlich an, wenn die Reporterin in Live-Schaltungen sinngemäß berichten darf: „Nein, noch keine goldenen Bürgersteige gefunden. Aber wir bleiben dran.“ Die Gespräche mit der einheimischen Bevölkerung wirken wie eine Reise in eine fremde Welt: Irgendwie ist alles anders hier.

Aufschlussreich auch der Blick von Jutta Günther vom Institut für Wirtschaftsforschung, die ihren zehnjährigen Aufenthalt in Halle resümiert:

Mir fällt auf, dass in Halle die Menschen anders gekleidet sind als in Braunschweig. Mir fällt auf, dass die Autos anders aussehen. Aber mir fällt auch auf, dass die Menschen sowohl in Halle als auch in Braunschweig glücklich sind. Vielleicht sogar etwas glücklicher in Halle.

Insgesamt waren es überwiegend Menschen westdeutscher Herkunft, die als Experten auftreten durften — der Blick von außen dominierte also. In der Diskussionsrunde selbst gab es mit Dagmar Szabados, der Oberbürgermeisterin der Stadt, zumindest eine ostdeutsche Stimme.

Die Sendung „Wo sind die ‚goldenen Bürgersteige‘? Der Streit um den Solidarpakt“ zum Nachhören.

Die Medien und der Soli

Auf einwende haben wir ja die ganze leidige Soli-Debatte außen vorgelassen. Die heute-show kann das mediale Brimbamborium sowieso viel treffender aufzeigen.

Beiträge über klamme westdeutsche Kommunen werden jetzt immer mit extrem trauriger Musik unterlegt. Und wenn es um Kommunen im Osten geht, werden grundsätzlich nur die goldenen Dächer von Dresden gezeigt.

Was soll man auch sonst zu einem Thema sagen, dass zum Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen aufkommt und vor allem von Unwissen geprägt ist?

Die subversive Schnauze

Wer als ostdeutsch sozialisierter Mensch darüber schreibt, wie westdeutsch sozialisierte Menschen den ostdeutschen Osten sehen, der braucht oft einiges an subversivem Potenzial; vor allem, wenn diese ostdeutsche Sicht auf die westdeutsche Sicht westdeutsch herausgegeben wird.

Holger Witzel tut dies seit 2009 in seiner Glosse „Schnauze, Wessi“ auf stern.de. Nun sind diese Glossen in Buchform erschienen — und darüber, wie dieses Buch zustande gekommen ist, gibt es eine eigene Glosse. Wie schwierig es dabei ist, nicht bei DDR-Nostalgie oder Humorbüchern zu landen und dabei all die Stereotypen fortbestehen, wird hier besonders auffällig — denn genau darum geht es in „Schnauze, Wessi“:

So kann ich nur hoffen, dass die eigentlichen Adressaten ordentlich dafür blechen, sich beschimpfen zu lassen: Wie bei einer Domina sollen sie dafür nicht etwa Schmerzensgeld bekommen, sondern für alles bezahlen. Sind sie ja gewohnt aus dem Osten, werden sie denken. Aber das ist genauso ein Irrtum, wie sich die überraschend freundlichen — das kann man ruhig auch mal zugeben — Verlagsleute vielleicht einen anderen Selbstvermarktungs-Text zum Verkaufsstart ihres Buches vorgestellt haben.

Parodie und Wirklichkeit

„Cui bono, Chemnitz?“, ein ironischer Text auf den Satire-Seiten der taz hat für eine hohe Resonanz von über 700 Kommentaren gesorgt. Kein Wunder, wird die Stadt doch mit Tschernobyl, Nordkorea und Stalingrad im Winter verglichen. Auch wird mit den Worten „kackbraun“ und „aschgrau“ kein schönes Farbklima angesprochen.

Dabei legt der Text wunderbar offen, wie Berichterstattung über den Osten in vielen Fällen funktioniert — das frischgebackene Blog „Negativpresse Ost“ hat die parodierten Denkmuster auseinander genommen. Ich freue mich auf weitere Beiträge!

Presseschau: Stirb Stasi, stirb

An gewissen Themen lassen sich immer noch Medien aus Ost und West gut voneinander unterscheiden. In dieser Woche etwa ist die Renovierung der Berliner Stasi-Zentrale abgeschlossen worden.

Die ostdeutschen Presseberichte dazu blicken in erster Linie auf die Geschichte und bautechnischen Einzelheiten der Renovierung:

In der Thüringer Allgemeinen wird vor allem die Innengestaltung beschrieben:

Als die Bürgerrechtler am 15. Januar 1990 Mielkes Büro betraten, waren sie zunächst erschrocken: „Wir hatten modernes Gerät erwartet, doch hier war alles wie in den 50er-Jahren.“

Die Märkische Allgemeine nutzt die Gelegenheit, um deutsch-deutsche Befindlichkeiten zu ergründen:

Es gehört zu den Erfahrungen der Wiedervereinigung, dass westlich sozialisierten Deutschen östlicher Geruch in die Nase steigt, sobald sie östliches Interieur vor sich haben. Ost-Menschen haben diesen Geruchssinn nicht.

In der Berliner Zeitung resümiert der Museumsleiter die Sanierungsarbeiten:

Museumschef Jörg Drieselmann […] ist zufrieden mit der Sanierung – aber nicht nur. „Froh bin ich, weil am Haus erheblicher Reparatur-Bedarf bestand“, sagt er. Nicht ganz glücklich sei er, weil Teile der historischen Substanz der Sanierung zum Opfer fielen.

Westdeutsche Medien hingegen finden starke Worte, um die Stasi zu beschreiben — ganz so, als ob sie eben erst aus dem Haus vertrieben worden wäre. Über eine Sanierung schreiben, das bedeutet hier auch, gegen einen Geheimapparat eines untergegangenen Staates zu schreiben.

Der Tagesspiegel schafft es, aus den friedlichen Revolutionären von 1989 moderne Wutbürger zu machen — die Demos gegen die DDR-Regierung auf einer Ebene mit dem Widerstand gegen Stuttgart21?

Von dieser spießigen Ödnis aus wurde das Stasi-Imperium dirigiert und das DDR-Volk drangsaliert, bis vor 22 Jahren mutige Wutbürger Schild und Schwert der allmächtigen Partei zerbrachen und den riesigen Stasi-Komplex an der Lichtenberger Normannenstraße ins Volkseigentum überführten.

Die FAZ übt scharfe Kritik am „Starrsinn vor allem der ‚Antistalinistischen Aktion‘, die in den Jahren nach 1990 immerhin dafür sorgte, dass das Gebäude nicht für Supermärkte geopfert wurde und damit nicht der Vergessenheit anheim fiel:

[Die Bürgerkomitees] haben unbeirrbar — manche sagen auch unbelehrbar — daran festgehalten, dass die ehemalige Stasi-Zentrale ein exemplarischer deutscher Geschichtsort ist, den zu erhalten sie angetreten sind.

Und die Berliner Morgenpost verweist auf die spießige Einrichtung und feiert einen überraschenden Sieg:

So schick wie jetzt war die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit noch nie. Vor allem nicht zu DDR-Zeiten. […] Als Ausgleich haben die alten und neuen Nutzer die Gewissheit, schöner zu arbeiten als einst selbst die engsten Mitarbeiter des fast allmächtigen Stasi-Chefs. Auch das ist ein Sieg über die DDR.

vom anfang mit jana hensel 1

ich fange mal am anfang an. 

die idee zu diesem blog kam silvio und mir durch einem artikel von jana hensel !

silvio hatte mich auf ihn aufmerksam gemacht und wir sind darüber in’s gespräch gekommen. und abgesehen davon, dass ich jana hensels bücher allesamt schrecklich finde und dann vom artikel doch ganz angetan war, stellten silvio und ich dadurch fest, dass wir uns beide seit längerem mit der re/präsentation von ostdeutsch* (ostdeutschland, ostdeutschen, ossis, dem osten, der ddr) in bundesdeutschen massenmedien beschäftigen. 

der artikel von hensel hieß „wir sind anders“ (was jetzt erst einmal nach typisch-jana-hensel klingt) und sprach aber ganz jana-hensel-untypisch genau dieses (unser) thema kritisch an: die berichterstattung über ostdeutsch* in der gesamtdeutschen medienlandschaft und was diese womöglich mit westdeutschen perspektiven und ausblendungen und deren dominanz zu tun haben könnte. 

und da wir nun wussten, dass wir uns beide für eine kritische auseinandersetzung mit der re/präsentation von ostdeutsch* in den medien interessieren, blieb uns nichts anderes übrig, als dieses blog zu planen. 

so war das also. danke jana hensel.