Farbfilm vergessen (Merkels Medienkritik Mashup)

Zu ihrem Zapfenstreich als Bundeskanzlerin wünschte sich Angela Merkel den Titel „Du hast den Farbfilm vergessen“, im Original 1974 von Nina Hagen gesungen. Nina Hagen, die spätere „Godmother of Punk“? Wie passt das mit Angela Merkel zusammen?

Ich vermute: Das war ein subversiver Akt! Nach ihrer Rede zum Festakt am Tag der Deutschen Einheit 2021 zeichnet sich immer mehr ab, dass Merkel ihre ostdeutsche Seite nicht mehr versteckt. Nein, sie verbindet sie auch mit Kritik am westdeutschen Blick auf sie als Ostdeutsche. Das haben wir 2013 getan zur medialen Wahrnehmung einer Merkel-Biografie. Und 2012 konnten wir sehen, wie explizit westdeutsche Befürchtungen noch formuliert wurden.

In diesem Jahr also die Abrechnung von Angela Merkel selbst:

Merkel kritisierte einen Artikel in einer Publikation der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort wurde der „Ballast ihrer DDR-Biographie“ angesprochen. Autor Thomas Brechenmacher fühlte sich von der Kanzlerin falsch verstanden, wie er der Berliner Zeitung sagte: Es sei ihm um das gegangen, was sie für den neuen Weg abwerfen wollte.

Außerdem sprach sie über einen Artikel in der Welt am Sonntag vom Ende 2020. Hier bezeichnete sie Herausgeber Thomas Schmid als „angelernte Bundesdeutsche“. Christian Bangel schrieb dazu in der Zeit:

Merkel sprach in dieser Rede etwas aus, das wohl viele Ostdeutsche lange von ihr erwartet hatten: nämlich das Erleben einer subtilen Form der Diskriminierung.

Und nun ließ sie diese Kritik auch noch musikalisch erklingen. Subversiv.

Berichtenswert: Heinz Rudolf Kunze war als Kind in der DDR!

Egon Krenz und Heinz Rudolf Kunze sprechen miteinander, herausgekommen ist das Buch „Ich will hier nicht das letzte Wort“. So langweilig wie es klingt, ist es auch. Aber weil die zwei ja nicht unbekannt sind: Was schreibt man da als Presseagentur in eine Meldung?

Wer in die Leseprobe schaut, findet etwa folgende Erkenntnisse:

  • Das Politbüro hat die Rockkonzerte 1988 in der DDR unterstützt.
  • Heinz Rudolf Kunze meint, dass sich heute mehr Musiker für den Frieden einsetzen sollten.
  • Aus der Sicht von Egon Krenz ist der Kalte Krieg noch nicht vorbei.

Es geht also durchaus politisch und aktuell zu in dem Buch. Was macht also die Deutsche Presse-Agentur daraus? Sie zitiert Heinz Rudolf Kunze, der darüber spricht, wie er als Kind die DDR wahrgenommen hat:

Bei seinen DDR-Besuchen habe er im Umfeld von Omas und Opas, Tanten und Onkeln, nicht einen getroffen, der mit dem System zufrieden gewesen sei.

Egon Krenz darf da nur ergänzen, was man sowieso von ihm erwartet: Es müsse aber auch Leute gegeben haben, die hinter der DDR standen.

In der Presseinformation der Eulenspiegel-Verlagsgruppe heißt es übrigens zur Veröffentlichung:

Das Buch ist allerdings mehr als nur ein Gedankenaustausch zweier interessanter Persönlichkeiten über Vergangenes und Gemeinsames. Es ist auch eine Art Bestandsaufnahme, wie weit wir in Deutschland im mittlerweile ein Vierteljahrhundert währenden Vereinigungsprozess gekommen sind.

So weit dann offenbar noch nicht: Westdeutsche, die über Ostdeutsche reden, die nicht selbst zu Wort kommen. Schon wieder. Oder: Immer noch.