Mehrwegtaschen und die DDR

Aldi wird ab Ende des Jahres keine Einwegtaschen mehr verkaufen. Stattdessen wird es Mehrwegtaschen aus Recyclingmaterial geben.

Aber bevor wir uns freuen: Was hat das eigentlich mit der DDR zu tun?

Taschen-Check

Nun, die Welt schüttelt den DDR-Bezug locker aus der Assoziationskette. Und das geht so:

Bei Aldi gibt es in Kürze keine Einwegtüten mehr, weder aus Plastik noch aus Papier. Man sagt, das sei gut für die Umwelt. Man sagt, das sei fortschrittlich. In Wirklichkeit droht jedoch die Rückkehr von DDR-Verhältnissen in deutschen Supermärkten.

Oh Schreck! DDR im Supermarkt! Die Vorstellungen an leere Regale (Bananen!) und Kohl (nicht Helmut!) führen da zuverlässig zu Schnappatmung. Es gibt aber noch Aspekte in diesem Horror-Szenario, die bislang kaum gewürdigt worden sind — und die malt Finanz-Redakteur Frank Stocker in den dunkelsten Farben aus:

Denn entweder kauft man dann jedes Mal einen Jutebeutel oder ähnliche Tragehilfen zu fürstlichen Preisen, oder aber man läuft von morgens bis abends stets mit Beutel umher, eben wie damals in der DDR.

Was könnte schließlich dem Freiheitsversprechen der westlichen Zivilisation stärker zuwiderlaufen als Zwang? Entweder Geld für Umweltschutz ausgeben oder sich ständig mit einen Beutel abschleppen müssen: Was könnte es Schlimmeres geben?

Fakten-Check

Zum Beispiel einen Journalisten, dem es um dumpfe Polemik, nicht aber um Fakten geht. Im Kern plädiert Stocker für eine Beibehaltung der Plastiktüten, weil Mehrwegtaschen die Ökobilanz nicht verbessern würden.

„Dem Fakten-Check hält dieses Argument allerdings nicht stand“, schreibt dazu das Online-Magazin watson aus der Schweiz. Es verweist auf Untersuchungen des Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA. Recycling-Mehrwegtaschen mit dem Label „Blauer Engel“ wiesen demnach eine bessere Ökobilanz auf als alle anderen getesteten Taschen.

Und Frank Stocker selbst weist nicht gerade die beste DDR-Bilanz auf. Oder mit anderen Worten: Er war offenbar kein Opfer der Taschen-Diktatur der DDR. Auch wenn man den Schmerz ob der Plastik-Entsagung in seinem Text förmlich spüren kann. Dafür hat er ein Buch mit dem Titel „Wunderbare Schein-Welt“ geschrieben.

Lesetipps

Danke an Lars für den Hinweis!

Das Hochwasser und die Schuld

Man könnte zynisch sein und sagen: Mit dem Elbe-Hochwasser kommt der Osten Deutschlands mal wieder in die Medien, wenn auch wie üblich als Katastrophengebiet. Aber auf dieses Niveau will ich mich hier gar nicht begeben, sondern belasse es dabei: Mit dem Elbe-Hochwasser kommt die DDR mal wieder in die Medien, wie üblich als Schwarzer Peter.

Ein Scherz? Keineswegs. „Die Welt“ schreibt in ihrem Live-Ticker am 12. Juni von der „Giftmüllangst im Hamburger Hafen“, denn die „Stoffe lagern noch aus DDR-Zeiten in den Böden entlang der Elbe und seien sehr aufwändig zu entsorgen.“ Dass die Elbe die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern sowie Schleswig-Holstein berührt: geschenkt. In der Lesart der „Welt“ grenzt die DDR offenbar direkt an Hamburg. Und hat mit ihren Chemikalien über 20 Jahre gewartet.

Auf derselben Seite stellt die Zeitung fest:

„DDR-Bauwahnsinn trägt Mitschuld“

Dafür wird ein Elbe-Experte des BUND zitiert: Es sei ein Irrsinn gewesen, Halle-Neustadt zu bauen. Der Grundstein der Stadt wurde 1964 gelegt. Dabei bräuchte der BUND gar nicht so weit in die Vergangenheit schauen: Erst vor einem Jahr hatte der Verein darauf hingewiesen, dass dem Hochwasser von 2002 kaum Konsequenzen gefolgt seien. Ein Kritikpunkt: Die Bundesländer hätten ein generelles Bauverbot in Flussauen verhindert. Das bedeutet: Es wurde auch weiterhin direkt an Flüssen gebaut, nach 2002, weit über 40 Jahre nach Halle-Neustadt. Ein Bauwahnsinn.

Da ist der Verweis auf „InderDDRwarallesbesser“ nicht weit — die Stuttgarter Zeitung zitiert Menschen aus Grimma, die diesen Gedanken formulieren: Es hätte damals weniger Bebauung und Landwirtschaft in Flussauen gegeben und es seien Bisamratten gejagt worden, damit sie nicht die Dämme durchlöcherten.

Die Zeitung verweist aber auch darauf, dass die Städte durch Schutzmauern „durchaus wirksam“ hätten geschützt werden können — gegen die sich die Bewohner_innen allerdings gewehrt hätten. Die Zeitung unterstellt dabei den Betroffenen egoistische Beweggründe und konstruiert damit implizit eine persönliche Mitschuld. Eine Auseinandersetzung mit den Vorwürfen gegen die Politik nach 1990/2002 findet hingegen nicht statt.