Wenn sich Wessis im Osten gruseln: Haus der Statistik 1

Westdeutsche entdecken den Osten: Dieses Genre ist nicht einfach nicht totzukriegen. Aktuell präsentiert der Rundfunk Berlin-Brandenburg ein Beispiel: Unter dem Titel „Mein erster sozialistischer Plattenbau“ berichtet Andrea Marshall, wie sie das Haus der Statistik am Berliner Alexanderplatz in einem Studentenjob erlebt hat.

Haus der statistik. berlin-mitte

Recherche? Nein Danke!

Der Beitrag ist als Kolumne einsortiert. Und wie in dieser Textgattung üblich, verzichtet die Autorin auf sichere Fakten. Angesagt sind stattdessen ungefähre Angaben, diffuse Erinnerungen und Vermutungen. Ein paar Beispiele:

Es muss im Winter 1990/91 oder kurz danach gewesen sein.

[Es war ein sozialistischer Plattenbau], in dem planwirtschaftliche Rechenkunst praktiziert worden war, jedenfalls stellte ich mir das so vor.

[Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut] war nach meiner Erinnerung das erste, das sich auf das Erforschen der Meinung ehemaliger DDR-Bürger spezialisiert hatte.

Nicht erinnern kann ich mich, ob wir Interviewer damals im Stasi-Trakt saßen. Das ist gut möglich.

Dass Marshall dabei gleich alle DDR-Menschen mit Telefonanschluss zur staatstragenden Elite zählt: Geschenkt. Die Pointe hätte eine Recherche ja nur verdorben.

Hauptsache Gefühl

Wie hat sich die Autorin gefühlt? Emotionen sind schließlich essenziell, wenn der Westen ostdeutsche Atmosphäre einfängt. Das funktioniert natürlich am besten, wenn ein Schauer über den westdeutschen Rücken läuft:

Ich persönlich verbinde mit dem Gebäude gruselige Erinnerungen, seitdem ich es zu Wendezeiten selbst erlebt habe.

Schon die Aufgabe, das Büro überhaupt zu finden, erforderte Nervenstärke. Bei Einbruch der Dunkelheit war der Komplex für mich ein einziger, gespenstischer Irrgarten aus kilometerlangen, menschenleeren Gängen und Fluren.

Oder war da doch noch jemand? Seltsame Geräusche, Hirngespinste? Und die Frage: Komme ich jemals wieder lebend aus diesem unentrinnbaren Labyrinth? So fühlte es sich an.

Warum das alles?

Das Haus der Statistik steht seit acht Jahren leer — künftig soll dort ein Ort für Behörden, aber auch für Kultur, Bildung, Soziales und Wohnen enstehen. Auch eine „Akademie der Zusammenkunft“ ist geplant. Warum aber beschäftigt sich der RBB mit 25 Jahre alten Erinnerungen und Gefühlen einer Studentin? Wäre es nicht sinnvoller, Gegenwart und Zukunft des Standortes kritisch zu thematisieren, recherchieren und analysieren? Der Text verrät uns nichts darüber. Aber dann hätten wir ja die Gelegenheit verpasst, den alten westdeutschen Blick auf den Osten zu bestaunen.