Ich weiß, was der IS 1950 in Berlin getan hat

Zur Erinnerung: Schon im Mai gab es einen recht verschlungenen Vergleich des Islamischen Staates mit der Stasi. Nun hat es auch die SED erwischt — doch der Reihe nach.

In Berlins Mitte wird eine Schloss-Attrappe gebaut, Bauherrin ist die „Stiftung Berliner Schloss — Humboldtforum“. Zu ihrem Vorstand gehört Manfred Rettig, der zuvor den Umzug der Bundesregierung nach Berlin geleitet hat und auch sonst für Regierungsgebäude zuständig war.

In das Humboldtforum sollen verschiedene Ausstellungen einziehen, so möchte der Berliner Senat die eigene Stadt unter dem Titel „Welt.Stadt.Berlin“ präsentieren. Der dafür zuständige Stadtmuseumsdirektor Paul Spiess wird zwar erst im Februar 2016 seinen Dienst antreten. Aber schon jetzt, am 18.11.2015, trafen sich die beiden Männer fürs Repräsentative und sprachen öffentlich über das weitere Vorgehen. Für den Bauherren heißt das: Bloß nicht mehr Kosten! Und irgendwann sprach Manfred Rettig dann den wundersamen Satz:

„Wir hatten den IS 1950 auch in Berlin, das sollten wir nicht vergessen.“

So ein Satz sitzt, nicht einmal eine Woche nach den Anschlägen in Paris: Wurden die jetzt tatsächlich mit dem Abriss eines hässlichen Schlosses durch die DDR-Regierung gleichgesetzt? Offenbar ja. Nikolaus Bernau von der Berliner Zeitung war dabei und findet Rettigs Taktik recht erfolgreich:

Solch historisch bewusstloser Populismus dient vor allem dazu, ein kritisches Gespräch zu verhindern.

Tatsächlich fragte denn auch keiner nach, ob Rettigs stures Festhalten an einem überholten Ausbauplan sinnvoll ist oder ob man nicht doch den Bundestag um einige Millionen bitten sollte, damit das Humboldtforum auch langfristig gut zu nutzen ist.

Populismus ist das, und vor allem ziemlich verwirrter: Was ist es denn nun, was IS und SED verbindet? Je länger man darüber nachdenkt, desto weniger verständlich ist es und umso plausibler erscheinen andere Vergleiche, dieser etwa: Wir hatten den IS auch 2006 in Berlin.

Prinzipiell könnte man aber auch jedes andere Jahr einsetzen. Und jede andere Stadt. Hauptsache provoziert.

Kommunisten, Geschichtstotalitaristen und Architektur

„Ist einer ein Kommunist, nur weil er nicht jedes Gebäude, welches zur Zeit der DDR errichtet wurde, sofort niederreißen, abbrennen, total vernichten will?“

So beginnt der Artikel „Die letzten Spuren der DDR“ zu architektonischen Veränderungen im Osten Deutschlands nach 1990.  Wer einen Text aus dem Neuen Deutschland erwartet, muss enttäuscht werden: Der Kommentar stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, verfasst von Claudius Seidl, dem verantwortlichen Redakteur des Feuilletons.

Auch das Resümee ist durchaus überraschend für ein eher konservatives westdeutsches Blatt:

„Vermutlich ist es nur der Nebeneffekt dieses pseudobürgerlichen Geschmacks- und Geschichtstotalitarismus: dass die Spuren der DDR aus den Innenstädten verschwinden. […] Was dann aber nichts anderes ist als der brutale Sozialismus, der Schlösser und Kirchen sprengte, zum Zeichen, dass die Herrschaft von Adel und Klerus überwunden sei.“

Wobei sich dies aber auch nicht vorbehaltlos verallgemeinern lässt: So wurde die preußische Architektur in Ost-Berlin in vielen Teilen wiederhergestellt — was heute Unter den Linden fotografiert wird, ist prinzipiell DDR-(Rekonstruktions-)Bau. Und weshalb Seidl diese Bürgerlichkeit als „pseudo“ abwertet, ist mir auch nicht so klar.

Schließlich verweist Seidl auf das Haus der Kunst in München, dessen Standort und Architektur von Adolf Hitler in Auftrag gegeben wurde und zum ersten Monumentalbau der Diktatur wurde — und das weiterhin für Kunstausstellungen genutzt wird.

Ein äußerst bezeichnender Umgang mit deutscher Vergangenheit, bei dem nationalsozialistische Propaganda erhalten bleibt und Nutzbauten der DDR abgerissen werden.

Geschichtspolitik mit Schlössern 1

Ich habe ja immer gedacht, die Vernichtung von DDR-Architektur in der Innenstadt zeigt den Kampf West gegen Ost: Der Palast der Republik musste weg, weil er für das besiegte sozialistische Gesellschaftssystem stand. Dass dort stattdessen das Berliner Stadtschloss wiederaufgebaut werden sollte, hielt ich für ein Feigenblatt, um die Dinge nicht direkt ansprechen zu müssen. So dachte ich. (mehr …)