Die DDR im Roman „Gittersee“: Innere Wahrheit oder Verfügungsmasse?

Es gibt aktuell eine Debatte im Literaturbetrieb um „Gittersee“, den Debütroman von Charlotte Gneuß. Die Handlung spielt im Jahr 1976 in Dresden, die Autorin wurde 1992 im westdeutschen Ludwigsburg geboren. Der S. Fischer Verlag hat dem DDR-stämmigen Autoren Ingo Schulze das Manuskript vor Erscheinen zugeschickt. Er hatte anschließend eine Liste an Korrekturvorschlägen erstellt. Von den 24 Punkten hat Gneuß zehn übernommen, andere bewusst nicht. Diese interne Liste ist auf nicht nachvollziehbaren Wegen an die Jury des Deutschen Buchpreises gelangt, für den „Gittersee“ nominiert ist.

Damit ist die Liste nicht mehr intern und das Feuilleton diskutiert die Frage: Was darf Literatur? Hier sind einige der Argumente:

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) schreibt Sandra Kegel unter der Überschrift „Die Akte Gneuß“:

„Glittersee“ wurde bislang wohlwollend rezensiert, auch in der F.A.Z.: … [auch] dafür, dass es gut recherchiert sei und die DDR-Lebenswelt glaubwürdig darstelle.

Die Beanstandungen … werfen die Frage auf, ob sie überhaupt den Goldstandard eines Romans treffen. Ob also die Frage „War das damals in der DDR nun genauso, oder war es das nicht?“ die richtige ist, um die Qualität von Literatur zu beurteilen. Und ob ein Roman, der in den Siebzigerjahren in Dresden spielt, zwangsläufig ein DDR-Roman ist, wo doch der Fokus womöglich auf ganz anderen Themen liegt, auf Jugend und Liebe, Geheimnis, Verrat.

Spielfilme wie Romane … sind Werke der Fiktion. Sie müssen dramaturgisch verdichten, um ihre innere Wahrheit zu intensivieren. Daran sind sie zu messen, das ist der Goldstandard.

Beim Deutschlandfunk kommentiert Christoph Schröder:

[Charlotte Gneuß ist] Vertreterin einer jungen Generation von Autoren, die die DDR nicht mehr aus eigener Anschauung kennen und darum eine weitaus größere Distanz zu ihrem Material haben als noch die Generation eines Ingo Schulze oder beispielsweise auch einer Katja Lange-Müller. Anders gesagt: Der fiktionale Raum im Hinblick auf die erzählte DDR weitet sich derzeit, und „Gittersee“ ist ein besonders gelungenes Beispiel dafür.

Es geht also auch darum, wer die Deutungshoheit über Geschichte und Geschichten hat, und inwieweit die präzise Darstellung der äußeren Umstände automatisch auf die innere Wahrheit eines Kunstwerks ausstrahlt. Provokant gefragt: Wen interessiert es, ob Tolstois Beschreibungen der Uniformen des napoleonischen Heers in „Krieg und Frieden“ bis ins Detail korrekt sind?

Die Süddeutsche Zeitung interviewt Ingo Schulze, den Verfasser der Korrekturvorschläge. Er meint:

„Wenn eine bestimmte Zeit und ein bestimmter Ort beschrieben werden, sollte das möglichst stimmen, vor allem auch der Sprachgebrauch. … Oder man weicht ganz bewusst ab, das geht ja auch. 

Dass so etwas wie meine Anmerkungen, die jedem Leser meines Alters aus dem Osten auffallen könnten, überhaupt den Anschein erweckt, etwas substanziell Anstößiges zu markieren oder selbst anstößig zu sein, ist vielleicht auch ein Indiz für eine gewisse Schieflage. … Auch der Literaturbetrieb [ist] westdeutsch geprägt.

Ich würde immer dafür eintreten, dass jede und jeder jederzeit und überall über alles schreiben darf. Deshalb gibt es ja Literatur. Andererseits ist der Osten oft eine Verfügungsmasse, derer man sich für die eigenen Geschichten bedient, was in aller Regel klischeehaft wird.“

Was wäre, wenn‘s West-Wahlen wären?

Da es hier in letzter Zeit etwas ruhiger geworden ist, begeben wir uns auf die Reise in eine Parallelwelt – und das gleich doppelt!

Zum einen ist einwende auf Twitter etwas aktiver, und deshalb gibt es hier unsere Tweets zum heutigen Wahlsonntag im Überblick. Zum anderen sind diese Tweets aus einer alternativen Perspektive geschrieben: Was wäre, wenn über Wahlen in Westdeutschland in der gleichen Logik berichtet würde wie über Wahlen in Ostdeutschland?

Und als Bonus gibt es ein paar Hintergründe zu den Tweets gleich dazu. Denn wir wissen ja: Lustiges wird noch erheiternder, wenn es erklärt wird!


Wenn in Ostdeutschland in mehr als einem Bundesland gewählt wird, sind es „Ost-Wahlen“ (beispielhaft: Berliner Morgenpost) Auch die „ostdeutsche Seele“ ist zu einem geflügelten Erkläransatz geworden (beispielhaft: Die Zeit). Die Darstellung des ostdeutschen Mannes war bei uns bereits Thema.


Die Partei „Die Linke“ wird die Frage nicht los, wieviel SED noch in ihr stecke (beispielhaft: Deutsche Welle).


Unerwartete Interviewgäste wissen immer wieder schlaue Dinge über Ostdeutschland zu sagen. Beispielhaft: Wolfgang Bosbach (Ex-Politiker), Günther Jauch (Moderator) und Christian Rach (Sternekoch).


Warum Ostdeutschland „anders“ wählt oder mehr Menschen hier rechts denken: Da gibt es viele mehr oder minder plausible Erkläransätze. Legendär ist etwa das gemeinsame Auf-die-Toilette gehen in den Kindergärten der DDR. Oder das fehlende Westfernsehen im „Tal der Ahnungslosen“.


Berichte über Ostdeutschland haben bisweilen den Charakter einer Auslandsreportage. So war der Deutschlandfunk etwa fassungslos in Halle an der Saale.


Auf Spiegel Online hat Jan Fleischhauer 2015 herausfordernd gefragt: „War die Wiedervereinigung ein Fehler?“


Die Initiative „Wir sind der Osten“ zeigt Menschen, die positiv für Deutschland stehen sollen.


Einen Riss zwischen Ost und West muss es geben, schließlich tragen ihn gleich zwei Bücher im Namen (Der Riss und Die Reise zum Riss). Und die Lebensleistung der Ostdeutschen ist immer wieder mal Thema (beispielhaft: Die Ost-Länderchefs fordern ebendiese Lebensleistungen zusammen mit mehr Respekt.)


Für Ostdeutsche werden immer wieder „Demokratiedefizite“ festgestellt (beispielhaft: RND). Dass Ostdeutsche Demokratie gut finden, aber Kritik an der bestehenden Form der Demokratie, wird allerdings nicht immer differenziert getrennt.


„So isser der Ossi“ war ein umstrittenes Titelbind des Spiegel. Und Bananen gab es natürlich nur im Westen.


Die Initiative „3te Generation Ost“ verweist auf die Umbrucherfahrung bzw. Transformationskompetenz der Ostdeutschen als Ressource.


Doch.

Vice weiß, warum Westdeutschland wichtiger ist

Was passiert, wenn man das Sommerloch, die Vice (Slogan: „Unbequemer Journalismus“) und ihr Deutschlandbild in einen Raum sperrt?

Zugegeben, darauf muss man erst einmal kommen: Kurt Beck schlägt vor, dass es weniger Bundesländer geben sollte und die Vice-Redaktion reagiert mit „Wir haben deutsche Bundesländer nach Nutzlosigkeit sortiert“. Klingt lustig. Wir schauen uns das aber mal ganz spaßbefreit an und fragen: Welches Bild von Deutschland hat die Vice da eigentlich?

Eigentlich reicht ein Blick auf die Bebilderung des Artikels: Eine Schere schneidet ein Stück aus Deutschland heraus. Der ausgeschnittene Teil zeigt den Osten des Landes und verweist damit auf die Grundaussage des Artikels. Das ist etwas verwunderlich, geht es Kurt Beck bei seinem Vorschlag ja um die Fusion von Bundesländern, nicht um deren Herauslösung. Aber warum eine adäquate Bebilderung finden, wenn man auch was mit den guten alten DDR-Grenzen machen kann?

Der Artikel selbst beginnt mit einer launigen Einleitung (ist schließlich ein lustiger Text!), die eines deutlich machen möchte: Hier bekommen alle was auf den Deckel. Das stimmt auch. Auffällig ist aber: Im Artikel gibt es zwei Herangehensweisen an die Verulkung von Bundesländern. Schauen wir sie uns einmal an:

Bundesland-Verhohnepiepelung, Variante 1

Bei dieser Argumentationsstrategie werden kleine und große Eigenheiten eines Bundeslandes genutzt, um für oder gegen dieses Land zu argumentieren. Teilweise kommt auch zur Sprache, wie sehr dieses Bundesland dafür steht, was der Artikel als allgemeindeutsch annimmt.

Zu dieser Kategorie gehören:

  • Bayern (groß, reich, Quelle vieler deutscher Klischees, Oktoberfest, Weißwurst, FC Bayern, Markus Söder)
  • Baden-Württemberg (fleißig, sauber, tolles Wetter, toller Wein, technische Innovationen, knuffeliger Dialekt)
  • Berlin (Kampf um WG-Zimmer, BER, schafft nichts, gelebte Internationalität, Offenheit, Laissez-faire, Ausnahme in Deutschland)
  • Nordrhein-Westfalen (allerdeutschestes Bundesland, Kohlegrube, Beton, Karstadt, Kölner Dom, Rocker, ThyssenKrupp, Schokoladen-Brunnen, Teutoburger Wald, Neonazis vs Salafisten, Karneval)
  • Hessen (prollig, protzig, elegant, großartig im Fußball, offene Crack-Szene in Frankfurt a. Main, reichste Gegenden in Deutschland)
  • Rheinland-Pfalz (exzellente Weine, V2-Raketen, romantische Burgen, Worms, Speyer Koblenz, Mainz, Trier, „die gesamte moderne deutsche Zivilisation wurde hier geprägt“)
  • Schleswig-Holstein (Marzipan, Wendy, beliebtes Urlaubsziel, landschaftlich schön, wichtiger Standort für deutsche Sportpferdezucht)
  • Niedersachsen (absolut durchschnittlich, absolut unauffällig, absolut vergessbar, VW-Werk)
  • Hamburg (Reeperbahn, Fischbrötchen, Jan Delay)
  • Saarland (kleinstes Flächenland, Heiko Maas, Inzest-Witze, absurdester deutscher Dialekt, Lyoner Ringwurst, hat sich 1955 für Bundesrepublik entschieden)
  • Bremen (bestimmt ganz nett, Hafen, Fische, ehrwürdige Geschichte)

Bundesland-Verhohnepiepelung, Variante 2

Ganz anders funktioniert es bei den übrigen Bundesländern. Um Eigenheiten geht es hier auch, allerdings sind es deutlich weniger. Auffällig betont wird, dass das Fehlen dieser Bundesländer nicht auffallen würde. Ein Standpunkt, der bei den Bundesländern der Variante 1 nicht zur Sprache kommt. Der Aspekt des „allgemeindeutschen“ kommt hingegen nicht zur Sprache. Und ja: Der Beitrag zu Thüringen ist fast vollständig zitiert, im Vice-Artikel ist noch ein schlechtes Schlagervideo zu Thüringer Klößen dabei.

  • Sachsen (Pegida, AfD, schöne Städte in schöner Landschaft, schnellstes Wirtschaftswachstum, Eastclub in Bischofswerda, „Würde das vielleicht sogar alle Probleme lösen, wenn man das ganze Ding zum Beispiel im ‚Sachsen‘-Teil von Sachsen-Anhalt verschwinden ließe? Außerhalb würde es keiner merken, und für die Einheimischen wäre es auch keine wirklich große Umstellung“)
  • Thüringen (Klöße, „Tja, Thüringen… Thüüüü-ringen. Thü ringen. Thü-rin- gennnnn. Ha, ist das nicht komisch, wie einem ein Wort immer fremder wird, je öfter man es ausspricht? OK, aber zu dem Bundesland, als o… mmmmh. […] Ob Thüringen jetzt eine Daseinsberechtigung hat oder nicht? Mir egal, soll es machen, was es will. Echt mal.“)
  • Sachsen-Anhalt (AfD, das älteste erhaltene Naturalienkabinett Deutschlands, Tokio Hotel, „Warum also nicht noch mal ganz von vorne anfangen, sich mit dem Nachbarbundesland Sachsen zusammentun?“)
  • Brandenburg (Leere, Weite, „Wenn wir ehrlich sind, gibt es keinen logischen Grund für Brandenburg. […] Brandenburg ließe sich ohne Weiteres in eine Metropolregion Berlin integrieren, und es würde in Gesamtdeutschland wahrscheinlich nicht einmal auffallen.“
  • Mecklenburg-Vorpommern (Wildnis, „Was hält uns davon ab, das Bundesland komplett zu räumen und in einen weitläufigen Wildpark zu verwandeln? Nichts, absolut gar nichts.“)

Das heißt?

Auch wenn die Begriffe „Ostdeutschland“ oder „DDR“ nicht erwähnt werden, prägt diese Einteilung immer noch das Denken. Wie sonst ist zu erklären, dass ausschließlich westdeutsche Bundesländer mit dem Begriffen „allgemeindeutsch“ oder „durchschnittlich“ in Verbindung gebracht werden? Das ist umso bemerkenswerter, da die Vice-Redaktion ein junges Durchschnittsalter hat, 2014 lag es bei 28 Jahren. Die Mauer in den Köpfen gibt es also immer noch: Die hippe junge Vice hat sie mit ihrem eigenen Text dokumentiert.

 

Danke an Josa Mania-Schlegel für den Hinweis!

Aktuelle DDR-Vergleiche #31 – Regulierte Managergehälter

Könnte ein Manager damit leben, wenn sein Gehalt eine politisch gesetzte Obergrenze von fünf Millionen Euro hätte? Diese Frage hat der Spiegel Matthias Müller gestellt, Vorstandsvorsitzender von Volkswagen. Anstelle von „Nein“ fällt seine Antwort etwas ausführlicher aus:

In Deutschland besteht der Drang, alles politisch regeln zu wollen. Aber wo soll das enden? Wir hatten so was bereits einmal in Form der DDR. Da ist auch alles geregelt worden. Alles, was die Bürger frei aussuchen konnten, war die Brotsorte beim Bäcker — und selbst da war die Auswahl begrenzt. Jede Innovation wurde kaputtgemacht. In eine solche Situation dürfen wir nicht kommen.

Später sagt er im gleichen Interview:

Ich bin in der DDR geboren und habe dort später oft Verwandte besucht. Ich weiß, wie überregulierte, autoritäre Systeme aussehen. Es ist für mich ein hohes Gut, selbstbestimmt leben zu können.

So ist das also: Hohe Managergehälter sind Ausdruck von Innovation und selbstbestimmtem Leben. Und damit lernen wir auch, was unser System von autoritären Systemen unterscheidet: In diesem System gibt es mehr Geld für diejenigen, die glauben, es zu verdienen. In der DDR hingegen gab es weniger Freiheit für diejenigen, die glaubten, sie zu verdienen. Mehr ist besser als weniger. So einfach ist das.

Oder mit anderen Worten: Hätte die DDR ihren leitenden Personen mehr Geld gegeben, hätte der Sozialismus besser funktioniert. Weil mehr ist innovativer ist besser.

DDR-Vergleiche erklären die Welt immer wieder vortrefflich.

Nach der Wahl: Wie werden AfD-Erfolge im Westen erklärt? 1

Ja, auch im Westen Deutschlands gibt es Gebiete, in denen die AfD hohe Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl 2017 eingefahren hat. Während sich die Diskussionen im Osten Deutschlands auf den „Ostmann“ konzentrieren, suchen man auch im Westen nach den Ursachen. Aber was finden die Medien vor Ort? Und was unterscheidet das zur Darstellung zur AfD-Wahl im Osten?

Baden-Württemberg

Im Wahlkreis Heilbronn hat die AfD mit 16,4% den höchsten Wert im Südwesten bekommen. In einem Wahlbezirk holte die AfD 36,9%.

Die Südwest-Presse hat nach den Ursachen geforscht:

Für das gute Ergebnis der AfD im Heilbronner Stadtteil Böckingen hat der Schwabe (63) eine einfache Erklärung: „Das ist eine Neidgeschichte unter Aussiedlern und Flüchtlingen.“

Eine schlüssige Erklärung für den Aufschwung der AfD hat OB Harry Mergel (SPD) nicht. Die Motive der Wähler seien zu unterschiedlich. „Da spielen kulturelle, soziologische und sicher auch soziale Gesichtspunkte eine Rolle.“ Auch in zwei weiteren Heilbronner Einzelbezirken, in denen nur wenige Spätaussiedler leben, hat die AfD die sonst dominierende CDU auf Platz zwei verwiesen. „Dass es im wohlhabenden Wirtschaftsraum Heilbronn viele Anhänger der AfD gibt, beweist, dass sich die AfD-Wähler nicht auf die sozial Vernachlässigten reduzieren lassen“, erklärt OB Mergel.

Der Artikel geht hier ähnlich wie auch andere Beiträge vor: Auf die Straße gehen, mit den Leuten sprechen, den Bürgermeister fragen. Und auch das Ergebnis ist ähnlich: Das Flüchtlingsthema auf der einen Seite, Ratlosigkeit im Rathaus auf der anderen Seite. In diesem Fall fällt auf, wie der Bürgermeister auf die Vielfältigkeit der Motivation für eine Wahl der AfD verweist.

Bayern

Im Wahlkreis Deggendorf erhielt die AfD bayernweit die meisten Stimmen. Im Deggendorfer Wahllokal St. Martin überholte die AfD mit 31,5 Prozent die CSU.

In der Welt sieht Deggendorfs Landrat Christian Bernreiter (CSU) in der Ankunft Tausender Flüchtlinge in der Region eine der Ursachen für den AfD-Erfolg.

„Hier haben die Leute hautnah erlebt, wie die Flüchtlinge ankamen.“ Die Ängste seien groß, es gebe viele Menschen mit geringer Rente. „Sie haben wohl den Eindruck: ‚Wir kriegen nix und für die Flüchtlinge ist viel Geld da‘“, mutmaßt Bernreiter.

In der Süddeutschen Zeitung heißt es:

Warum jetzt AfD? Weil die CSU nichts tue gegen Flüchtlinge. […] Es wirkt wie nach einer Party, bei der man mal richtig die Sau rausgelassen hat und jetzt verkatert-beschämt am liebsten nicht darüber reden will.

Und die Passauer Neue Presse erhält von den Bürgermeistern der Gemeinden Mauth (AfD: 28,11%), Prackenbach (26,5%) und Philippsreut (24,6%) jeweils ähnliche Antworten: Sie können sich das Abschneiden der AfD nicht erklären.

Also auch in Bayern: Das Thema Geflüchtete ist ein zentrales Motiv der Berichterstattung. Und die Süddeutsche bringt eine weitere Facette in die Ursachensuche: Die Wahl war ein Ausrutscher, jetzt fühlt man sich fast verschämt.

Hessen

Bei den Zweitstimmen hat die AfD im Wahlkreis Fulda mit 15,8 Prozent das für sie beste Ergebnis unter allen 22 Wahlkreisen in Hessen eingefahren.

Bei der Frankfurter Neuen Presse finden Angehörige der CDU für das AfD-Ergebnis diese Erklärungen:

Der Fuldaer Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) sieht seinen Heimatwahlkreis trotz des starken Abschneidens der AfD bei der Bundestagswahl nicht als Ausreißer. „Der Bundestrend hat komplett durchgeschlagen”

Ziel müsse es sein, enttäuschte Protestwähler in vier Jahren wieder zurückzuholen, erklärte Brand. Denn die stellen für ihn die Mehrheit unter den AfD-Wählern.

Der Fuldaer CDU-Kreisvorsitzende Walter Arnold wollte den Wahlerfolg der AfD nicht überbewerten.

In Hessen ist ein überdurchschnittliches AfD-Ergebnis also eine Mischung zwischen Bundestrend, Protestwahl und nicht so schlimm. Oder anders gesagt: Eigentlich hat niemand in Fulda ernsthaft AfD gewählt. Und wenn doch, war es nicht ernsthaft.

Nordrhein-Westfalen

In Gelsenkirchen hat die AfD 17% geholt. „In keinem anderen westdeutschen Wahlbezirk holte die AfD mehr Stimmen als in Gelsenkirchen“, heißt es bei Der Westen. Eine Erklärung sucht der Artikel allerdings nicht.

Dafür ging die ARD auf die Straße und hat Passanten und Politiker befragt:

Die zentralen Themen also auch hier: Flüchtlinge, Ausländer. Zur Sprache kommt aber auch, dass sich die Menschen „nicht mitgenommen fühlen“, dass sie „sich Sorgen machen“, dass sie „Protestpotenzial“ haben.

Rheinland-Pfalz

Nahezu sächsische Verhältnisse herrschen allerdings in Germersheim in der Südpfalz: Hier stimmten 22,1 Prozent der Wähler für die neuen Rechten.

So heißt es bei der Wormser Zeitung. Mit Blick auf die Statistik findet sie diese Zusammenhänge:

Auffällig ist zudem, dass die AfD überwiegend dort stark war, wo mehr Protestanten wohnen. Auch Arbeitslosigkeit schien ein Faktor zu sein, AfD zu wählen: In Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit schnitt sie stärker ab als in Gebieten mit einer niedrigeren Quote.

Das Wahlergebnis in Germersheim versucht auch die Allgemeine Zeitung zu erklären:

Der Migrantenanteil liegt bei etwa 22 Prozent. Menschen aus über 100 Nationen leben hier aktuell. So viele wie kaum irgendwo sonst auf so kleiner Fläche. Über 2000 Studenten belegen an der Hochschule, einer Abteilung der Uni Mainz, sprach- und kulturwissenschaftliche Studiengänge.

Einigen Germersheimern wird es aber offenbar zu bunt. Ausländer. Wie aus der Pistole geschossen, kommt die Antwort, wenn man in der Stadt nach den Gründen für das gute AfD-Ergebnis fragt.

Dass die meisten AfD-Wähler die Vielfalt ablehnen, hält hingegen der Germersheimer Bürgermeister Marcus Schaile (CDU) nicht für den Hauptgrund des Wahlergebnisses. Protesthaltung und Uninformiertheit seien vielmehr ausschlaggebend gewesen. „Wir werden uns jetzt im Stadtrat zusammensetzen und danach auf die Leute zugehen.“

Und auch in Germersheim: Ausländer und Protest. Aber auch: Fehlendes Wissen.

Der unvermeidliche West-Ost-Vergleich

Wie im Osten Deutschlands versuchen also auch die Medien in Westdeutschland zu erklären, wie es zu hohen AfD-Ergebnissen kommt. Neben dieser Gemeinsamkeit gibt es aber auch drei grundlegende Unterschiede:

Menschen statt Experten

Die westdeutsche Ursachenforschung findet mit Fragen vor Ort statt. Der kleine Mann auf der Straße und der große Mann im Rathaus kommen zu Wort, am Ende kommt ein Stimmungsbild heraus.

Ganz anders der Osten: Hier wird mit Experten gesprochen. Da zitiert n‑tv die Bundeszentrale für politische Bildung, den Soziologen Raj Kollmorgen und den Forsa-Chef. Die Leipziger Volkszeitung spricht mit Politikwissenschaftler Hendrik Träger. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Im Zweifelsfall finden die Journalist_innen selbst die Ursachen für die Ost-Ergebnisse. Bei der Erklärung der AfD im Westen halten sich die Autor_innen hingegen zurück.

Protest und Ausrutscher statt strukturellem Problem

In den Beispielen oben wird immer wieder „Protestwahl“ als Motivation genannt. Manchmal wird das Ergebnis der AfD auch so klein geredet, als hätte es dieses gar nicht gegeben. In jedem Fall suggeriert auch die Form der Straßenumfrage: Das waren einzelne Entscheidungen.

Geht es um die Ost-Ergebnisse, wird allerdings schnell eine strukturelle Ursache gefunden. In der Frankfurter Rundschau etwa erklärt Psychologe Jörg Frommer die AfD-Ergebnisse mit der „Erziehung zur Unselbständigkeit“ in der DDR. Ob eine solche Erklärung für Baden-Württemberg ebenfalls gelten dürfte?

Ignorieren statt thematisieren

Und schließlich: Sehr viel mehr als die oben zitierten Artikel zu westdeutschen AfD-Ergebnissen gibt es nicht. Das Nachdenken über AfD-Wahlergebnisse im Westen findet also nur am Rande statt. Dabei sollte es uns alle interessieren, warum 4 Millionen Menschen die AfD gewählt haben. So viele waren es nämlich in Westdeutschland. In Ostdeutschland waren es 2 Millionen, die nun aber stark im Fokus stehen. Die Suche nach Erklärungen bringt hier hoffentlich ein gutes Ergebnis — den Westen darf man aber darüber nicht vergessen.

Das Jahrhunderthaus mit DDR und Problemen

Eigentlich hat das ZDF mit dem „Jahrhunderthaus“ vieles richtig gemacht. In dieser Dokumentation erlebt eine Durchschnittsfamilie die deutsche Alltagsgeschichte der letzten 100 Jahre. Im Zentrum des Mehrteilers stehen dabei die 20er, 50er und 70er Jahre. Und im Gegensatz zu anderen Beiträgen kommt auch die DDR-Geschichte vor. Doch da fangen die Probleme an.

Das „Auch“-Problem

In der Geschichte und im Alltag von Ost und West gab es viele Gemeinsamkeiten. Da sich das „Jahrhunderthaus“ vor allem an der westdeutschen Geschichte orientiert, folgt oft eine Ergänzung in der Form von „auch in der DDR …“. Dass dies zwangsläufig zu kuriosen Ergebnissen führt, zeigt dieser Zusammenschnitt:

Das Fakten-Problem

Ein Stilmittel dieser Dokumentation sind Zwischensequenzen, in denen die Jahrzehnte anhand von Zahlen verglichen werden. Das Durchschnittsgewicht kommt hier ebenso vor wie durchschnittliche Kosten und Löhne. Dabei handelt es sich in den 50er und 70er Jahren ausschließlich um Angaben aus der Bundesrepublik — klar erkennbar an der Deutschen Mark. Bei allen anderen Werten ist hingegen nie ersichtlich, ob sie sich auf Ost‑, West- oder Gesamtdeutschland beziehen.

Doch halt, eine Ausnahme gibt es: Beim Thema Alkohol werden die DDR-Bergarbeiter statistisch dargestellt. Und während die Beispiel-Person im Statistik-Teil stets stumm bleibt, ist sie hier überraschenderweise zu hören. Natürlich auf sächsisch, also in DDR-Sprache. Damit es auch alle verstehen.

Das Interview-Problem

Bei den Zeitzeugen ist die Dokumentation überraschend akkurat: 17 Westdeutsche und 5 Ostdeutsche entsprechen ziemlich genau dem Bevölkerungsverhältnis.

Schwieriger sind die Interviews mit den Expert_innen. Hier verzichtet das „Jahrhunderthaus“ im Gegensatz zu den Zeitzeugen auf eine Herkunftsangabe. Ganz so, als stünden sie außerhalb von Ost und West. Das ist besonders auffällig in einer Dokumentation, die durchaus Wert auf dieses Thema legt. Bei einem genaueren Blick wird aber klar: Keine dieser Personen stammt aus Ostdeutschland. Damit reproduziert der Film leider ein altes Muster: Expertise zu deutschen Themen wird wieder einmal nur Personen aus Westdeutschland zugesprochen.

Besonders kurios ist die von Michael Kessler gespielte Hauptrolle, die auch als Off-Kommentar zu hören ist: In einigen Spielszenen der ersten Staffel bekommt die Figur eine ostdeutsche Vergangenheit. Das wird aber nicht konsequent durchgehalten und in der zweiten Staffel völlig verworfen.

„Das Jahrhunderthaus“ — alle Folgen

Wir sind Stasi (wenn es uns passt) — Der Fall Andrej Holm

Wir sind Stasi (wenn es uns passt) - Der Fall Andrej Holm

Das Verhältnis zur Staatssicherheit der DDR ist zwiegespalten: Während ihre Vorgehensweise als „Stasi-Methode“ zur Blanko-Kritik geworden ist, werden die Ergebnisse ihrer Arbeit weiterhin gerne genutzt. Das muss Andrej Holm nunmehr erneut erfahren.

Gentrifizierung, Verhaftung und Stasiakten 2007

2007 wurde der Stadtsoziologe Holm verhaftet, weil er sich wissenschaftlich mit dem Thema „Gentrifizierung“ beschäftigt hatte. Der Begriff wird heute selbstverständlich gebraucht — vor nicht einmal 10 Jahren reichte er aber aus, um Holm eine Nähe zur „militanten gruppe“ zu unterstellen.

Als die Bundesanwaltschaft gegen diese linksradikale Organisation ermittelte, nutze sie Stasiakten. Also auch bei den Ermittlungen gegen Andrej Holm. Dies hat er Ende 2007 in einem Interview mit der taz thematisiert.

In diesem Interview sprach Andrej Holm auch seine Grundausbildung beim Wachregiment Felix Dzierzynski der Stasi an, die er als 18-jähriger begonnen hatte. Und wie er sie rückblickend beurteilt:

Die Reflexion darüber, was Staatssicherheit tatsächlich war, die begann bei mir erst nach der Wende. Seitdem habe ich da auch einen anderen Blick drauf.

Andrej Holm

Foto: Stephan Röhl (CC BY-SA 2.0), Quelle: Flickr

Diskussion um Andrej Holm als Staatssekretär 2016

Letzte Woche wurde Andrej Holm als Staatssekretär des neuen Rot-Rot-Grünen Senats von Berlin benannt. Seine Stasi-Vergangenheit wurde angesprochen und seitdem gibt es eine Diskussion darüber, was diese Entscheidung bedeutet:

Ich halte das für einen Tabubruch.

Hubertus Knabe, Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

Wir haben alle ein Recht auf Irrtum und Korrektur.

Senatorin Katrin Lompscher

Die Berufung verhöhnt die Opfer des DDR-Regimes.

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja

Ich habe Schlussfolgerungen gezogen, dass ich mit wirklich vollster Überzeugung eine Gesellschaft, in der Freiheit, Demokratie, Mitbestimmung und Meinungsfreiheit herrschen, allen anderen vorziehe.

Andrej Holm

(alle Zitate von Zeit Online)

Es werden also Standpunkte formuliert, bei denen an großen Worten nicht gespart wird. Es wird debattiert, was moralisch heute möglich sein sollte und was nicht. Und über den Wissenschaftler Andrej Holm und welche inhaltliche Bedeutung seine Berufung hat, wird überhaupt nicht mehr gesprochen.

B.Z. denunziert mithilfe der Stasi

Die Berliner Boulevard-Zeitung B.Z. geht nun den nächsten Schritt: Sie veröffentlicht die Stasi-Akte Holms. Und sie tut das nicht nur in einem Artikel auf ihrer Website, sondern stellt das Dokument auch auf Facebook bereit. Kaum geschwärzt und ohne journalistische Einordnung. Die aber wäre nötig, um Sprachgebrauch und Inhalt der Quelle zu verstehen.

Mit anderen Worten: Die B.Z. bedient sich der Methoden der Stasi: Sie pfeift auf Persönlichkeitsrechte und fördert eine öffentliche Denunziation. Und ohne Stasi hätte man keine Unterlagen, die man heute noch nutzen kann.

Im oben genannten taz-Interview von 2007 kam auch die Dissidentin Cornelia Kirchgeorg-Berg zu Wort, die im Neuen Forum aktiv war. Ihre Haltung zu Stasi-Unterlagen ist eindeutig:

Für uns war damals klar, dass das nicht rechtmäßig erworbene Informationen sind, und dass die Staatssicherheit eine kriminelle Vereinigung ist. Und darauf soll man plötzlich Zugriff haben? Eigentlich dachte ich, da müsste ein Aufschrei durch die Reihen der BürgerrechtlerInnen gehen.

Jetzt haben wir offenbar alle Zugriff auf diese Informationen. Und wir haben kein Problem damit, sie zu nutzen.

Das DDR-Sport-Kausalitätsparadoxon

Das DDR-Sport-Kausalitätsparadoxon geht so:

  1. Die DDR wollte international anerkannt sein. Mittel zum Zweck: In möglichst vielen internationalen Sportverbänden aufgenommen werden und möglichst viele Medaillen gewinnen.
  2. Wie bekommt man möglichst viele Medaillen? Mittel zum Zweck: Harte Selektion, hartes Training und Doping!
  3. Auch die BRD möchte möglichst viele Medaillen. Mittel zum Zweck bei den Olympischen Spielen 1992: Ein Großteil der deutschen Olympiamannschaft stammt aus der DDR und holt 82mal Bronze, Silber und Gold.
  4. 2016 holte Deutschland 44 Medaillen, das muss mehr werden! Aktuelles Mittel zum Zweck: Das Innenministerium möchte die Spitzensportförderung neu ordnen. Der Fokus liegt auf medaillenträchtigen Sportler_innen und Sportarten.
  5. Die Pläne stoßen auf Kritik. Mittel zum Zweck in den Medien: Eine DDR-Turnerin erinnert sich beim Deutschlandfunk an ihre verlorene Kindheit, der Sender erinnert auch des „besonders im Sport inhumanen DDR-Regimes“ und die taz kombiniert Textpassagen aus dem Sportbeschluss der DDR 1969 mit aktuellen Ansätzen. Welche Absätze woher stammen, verrät sie aber nicht.
  6. Das Paradoxon ist komplett: Wir wollen die Sporterfolge der DDR ohne die DDR. Medaillen um jeden Preis (Gauck: „Ich möchte nicht Präsident eines Landes sein, das Medaillen um jeden Preis will“).
  7. Medaillenspiegel sind fragwürdig? Ach was.

Straßennamen: Überall unbekannt, im Osten schlimm

Wer war Heinrich Kleyer? Wer Rudolf Lipschitz? Und wer zum Geier war Ludwig Rehn? In Frankfurt am Main gibt es viele Straßen, die nach toten Menschen benannt sind — und die lebenden Menschen wissen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, wer diese Persönlichkeiten waren. Das ist nicht ungewöhnlich.

Ganz anders in Güstrow: Dort sind Straßen nach Hans Beimler, Werner Seelenbinder und Clara Zetkin benannt. Und die dort lebenden Menschen wissen nicht, wer diese Persönlichkeiten waren! In der siebtgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns! Das hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung investigativ und ganz alleine herausgefunden. 

Im Text dokumentiert FAZ-Autor Frank Pergande ausführlich seine Straßenumfrage: Unwissen („War das nicht dieser Sportler?“) steht dort neben Misstrauen („Sind Sie jetzt wirklich von der Zeitung?“). Geflissentlich nennt er alle Straßennamen, die offenbar aus der DDR stammen und weder 1991 noch 1999 umbenannt wurden. Störrische Ureinwohner aber auch!

Was Pergande aber an keiner Stelle sagt: Warum sollten die genannten Straßen umbenannt werden? Was ist kritikwürdig an Wilhelm Külz, warum sind August Bebel und Werner Seelenbinder untragbar? Gegen alle Geehrten lassen sich sicher Argumente finden, doch dann sollten diese auch genannt werden. Dass die Benennung in der DDR-Zeit stattfand, reicht da nicht aus.

Oder vielleicht kann man Unwissen doch einfach so anprangern? Wer waren denn nun Heinrich Kleyer, Rudolf Lipschitz und Ludwig Rehn? Und warum gibt es im tiefsten Westen eigentlich eine Rosa-Luxemburg-Straße? Frankfurter Allgemeine Zeitung, bitte kläre über Frankfurter Straßennamen auf!

Aktuelle DDR-Vergleiche #27 — Open Access

„Als Open Access wird der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und anderen Materialien im Internet bezeichnet“, so heißt es bei Wikipedia. Aber ist das gut? Den Boxring betreten zwei Kontrahenten:

Auf der einen Seite: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verfolgt eine Strategie, um Open Access zu unterstützen — es soll fester Bestandteil jeder Förderung werden. In einem Interview mit der Welt verweist Ministerin Johanna Wanka auf ihre Herkunft aus der DDR:

Sie wissen, wo ich herkomme? Aus dem Osten, also einer unfreien Gesellschaft. Bücher waren für uns das Tor zur Welt. […] Kunst und Kultur haben für die Menschen in einer Diktatur einen hohen Stellenwert, mitunter höher noch als in einer offenen Gesellschaft. Für den wissenschaftlichen Bereich war es nicht einfach, Fachliteratur aus dem nichtsozialistischen Ausland zu bekommen.

Auf der anderen Seite: Der Literaturwissenschaftler Roland Reuß gehört als Mitinitiator des „Heidelberger Appells“ zu den Gegnern von Open Access. In der FAZ kritisiert er die Open-Access-Strategie des BMBF — und verweist ebenfalls auf die DDR:

Die publikationsbegleitende Audienz, die Bildungsministerin Wanka der „Welt“ in Gestalt eines Interviews gab, lässt diesbezüglich tief blicken. Es handelt sich um ein schwer goutierbares Ragout aus krud neoliberalen Vorstellungen von Wissenschaftsmärkten („Monitoring“ darf, natürlich, nicht fehlen), virtueller DDR 5.0 (mit Enteignung der geistigen Produktion) und Staatsautoritarismus wilhelminischer Anmutung.

Es sind Momente wie diese, in denen ich ein wenig verwirrt bin. Ist Open Access nun gut, weil es nicht wie die DDR ist? Oder schlecht, weil es wie die DDR ist?

Oder noch viel wichtiger: Was hat Open Access überhaupt mit der DDR zu tun?