Die DDR, Land ohne Literatur

Die Buchhandlungen müssen wohl umsortieren, wenn sich die Ansicht von Werner Fuld durchsetzt. Der Autor und Literaturkritiker spricht den Werken von Christa Wolf, Heiner Müller, Franz Fühmann und anderen nämlich jede ästhetische Qualität ab. Grund sei die Zensur in der DDR gewesen. Die in der DDR publizierte Literatur verdiene daher nicht den Namen Literatur im Sinne westeuropäischer Literatur — es habe sich vielmehr um „Lebenshilfe“ gehandelt.

So behauptet Fuld im Interview mit Deutschlandradio Kultur:

Und ein Buch, das erscheinen durfte, nur weil es vollkommen konform mit den gesellschaftspolitischen und ästhetischen Vorstellungen der herrschenden Klasse ist, das kann keine besonders gute Literatur sein.

Hier ließe sich ähnlich polemisch entgegnen: Schade, dann ist kein einziges Buch auf dem gesamtdeutschen Buchmarkt im fuldschen Sinne als Literatur zu bezeichnen — in der Marktwirtschaft werden nun einmal die Dinge publiziert, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie von vielen Menschen gekauft werden. Heißt: Mit dieser Argumentationslinie kann man sich wohl kaum einem sinnvollen Literaturbegriff nähern.

Ein großes Lob kommt indes Frank Meyer zu, der das Interview mit Fuld führte. Er macht auf dessen westzentrierte Zirkelschlüsse aufmerksam:

Fuld: Im Übrigen ist ein Großteil der DDR-Literatur ja inzwischen verschwunden. Man redet überhaupt nicht mehr davon, und das ist ja auch ein Zeichen, dass es …

Meyer: Das tun Sie vielleicht nicht, Herr Fuld. Ich kenne viele andere Leser, die das genau tun.

Er weist auf die simple Argumentation Fulds hin:

Meyer: Ja, im Bezug auf die sozialistischen Länder schließen Sie ja genau diesen vereinfachten Schluss, dass alles, was verboten wurde, die bessere Literatur ist, und alles, was erscheinen durfte, literarisch nichts wert ist.

Und schließlich zeigt Meyer auf, was Werner Fuld mit diesem Interview unter Beweis gestellt hat — er hat keine Ahnung von dem, was er kritisiert:

Meyer: Ich habe leider den Eindruck, dass Sie keine Kenntnis haben von den Literaturverhältnissen in der DDR. Es gab eine Unmenge von Büchern, die DDR-Leser ermutigt haben, sich gegen dieses System zu stellen.

Christa Wolf, so behauptet Fuld, wäre in Kürze vergessen. Für den Autoren Werner Fuld ist ein ähnliches Schicksal anzunehmen. Bis dahin unbedingt zu empfehlen als Lehrstück deutsch-deutscher Literaturkritik ist das Interview von Frank Meyer mit Werner Fuld.

Die subversive Schnauze

Wer als ostdeutsch sozialisierter Mensch darüber schreibt, wie westdeutsch sozialisierte Menschen den ostdeutschen Osten sehen, der braucht oft einiges an subversivem Potenzial; vor allem, wenn diese ostdeutsche Sicht auf die westdeutsche Sicht westdeutsch herausgegeben wird.

Holger Witzel tut dies seit 2009 in seiner Glosse „Schnauze, Wessi“ auf stern.de. Nun sind diese Glossen in Buchform erschienen — und darüber, wie dieses Buch zustande gekommen ist, gibt es eine eigene Glosse. Wie schwierig es dabei ist, nicht bei DDR-Nostalgie oder Humorbüchern zu landen und dabei all die Stereotypen fortbestehen, wird hier besonders auffällig — denn genau darum geht es in „Schnauze, Wessi“:

So kann ich nur hoffen, dass die eigentlichen Adressaten ordentlich dafür blechen, sich beschimpfen zu lassen: Wie bei einer Domina sollen sie dafür nicht etwa Schmerzensgeld bekommen, sondern für alles bezahlen. Sind sie ja gewohnt aus dem Osten, werden sie denken. Aber das ist genauso ein Irrtum, wie sich die überraschend freundlichen — das kann man ruhig auch mal zugeben — Verlagsleute vielleicht einen anderen Selbstvermarktungs-Text zum Verkaufsstart ihres Buches vorgestellt haben.

Die neue Mauer für den Westen: Das Ostthema

Die Journalistin Sabine Rennefanz und der Nazi Uwe Mundlos haben im gleichen Alter den Mauerfall erlebt. Rennefanz vergleicht nun Lebensstationen von Mundlos mit ihrer eigenen Biographie — und kommt zu einigen Erkenntnissen, die von der klassischen „Die DDR-Erziehung ist schuld“-Erklärung abweichen.

Dabei tut sie etwas sehr nahe liegendes: Sie nimmt Erlebnisse nach der Zeit der politischen Wende in den Blick und zeigt auf, wozu Unsicherheiten, fehlende Vorbilder und der Wunsch nach einem klaren Weltbild führen können. Der Text ist unter der Überschrift „Uwe Mundlos und ich“ in der Berliner Zeitung erschienen.

Das Fazit von Rennefanz verweist auf ein weiteres Problem: Der Westen Deutschlands hat bereitwillig Vorfälle in den neuen Ländern aufgegriffen, um verschiedene Probleme — Rechtsextremismus, Kindstötung — als Ostprobleme darzustellen. Für gesamtdeutsche oder gar westspezifische Probleme ist da kein Platz:

Die einzige Partei, die über die Jahre immer wieder wegen der rechten Tötungsverbrechen bei der Bundesregierung nachgehakt hat, war die Linkspartei. SPD und Grüne haben sich wenig für das Thema interessiert. Ist ja auch ein Ost-Thema, das nichts mit dem Westen zu tun hat.

Diese Haltung ist verbreitet und bequem, sie hat den Vorteil, dass man sich selbst nicht hinterfragen, sich nicht ändern muss. Es ist wie eine neue Mauer, die zwanzig Jahre nach der Einheit wieder hochgezogen wird. Eine Mauer, hinter der sich die Westdeutschen verstecken können.

rechter terror als ost-west-thema 1

in den letzten tagen gab es in den medien versuche, den „rechten terror“ als ost-west-thema zu verhandeln. was haben die rassistischen morde und anschläge durch nazis und der skandal um das jahrelange versagen von institutionen durch wegschauen, unfähigkeit oder gar unterstützung mit ostdeutschland (und westdeutschland) zu tun?

hier der erste teil einer kurzen serie von kommentierten artikeln zum thema.

jana hensels artikel Raus aus dem Untergrund auf dem titel des freitag vom 17. november ist mir als erstes ins irritierte auge gefallen.

hensel fordert darin, das gewordensein der mutmaßlichen mörder_innen als teil ihrer post-wende ost-biografie zu betrachten. dabei stellt sie das heranwachsen der nazis (und ihr eigenes) in den 1990er jahren ins zentrum ihrer analyse. dieser biografische und personalisierende fokus erscheint mir jetzt nicht gänzlich unsäglich, blendet aber in erschreckender weise die strukturell politische dimension der ganzen „affäre“ im hier und jetzt (des letzten jahrzehnts) aus. ich frage mich, welche erkenntnis dieser fokus tatsächlich bringen kann, z.b. im hinblick auf den kampf gegen nazis und ihre strukturen oder im kampf gegen rassismus in der gesellschaftlichen mitte und ihren institutionen.

die nazis werden von hensel zudem mehrfach als kinder/jugendliche bezeichnet. ihre gesinnung und mutmaßlichen taten werden als folge eines „abgleitens“ und „verloren gehens“ verharmlost und als extreme variante des angeblich gängigen fahrraddiebstahls hingestellt — sie werden als opfer ihrer generation stilisert.
die eigentlichen opfer der rassistischen mord- und anschlagsserie — als „nicht-zugehörig“ und „ausländisch“ markierte menschen — kommen hingegen nur am rande, nämlich als aufhänger für die ost-west-deabtte, vor.*

spannend finde ich hingegen hensels bemerkung zum begriff „Braune Armee Fraktion“, der ihres erachtens eine „immer gleiche Perspektive“ entlarve:

„Es ist auch diesmal die Geschichte der alten Bundesrepublik, die ins Zentrum der Betrachtung drängt und die Vergleichsmaßstäbe setzt.“

hensel spricht damit deutungshoheiten und normvorstellungen von geschichte und gegenwart im heutigen deutschland an, welche sie als westzentrisch begreift. in diesem punkt stimme ich ihr zu.

teil zwei ist in arbeit.

* auch, dass hensel den begriff rassismus („Herkunftsrassismus“) für dominanzdeutsche verwendet, nicht aber für die rassistischen morde, halte ich für wirklich fehlplatziert.