Aktuelle DDR-Vergleiche #25 — Deutschland

Schon gemerkt? Wir leben in einem Land, dass der DDR durchaus ebenbürtig ist. Nein, es geht nicht um die umfassende Überwachung durch Geheimdienste, mit solchen Kleinigkeiten gibt sich ein Horst Seehofer schließlich nicht ab. Er setzt gleich auf das große Kaliber und nutzt die DDR-Keule schlechthin:

„Es ist eine Herrschaft des Unrechts“

sagte Seehofer in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse am 10. Februar — und meint damit die Einreise von Menschen, die nach Deutschland flüchten. Bislang war diese Wendung der CSU-Name für die DDR, die ja bekanntermaßen ein Unrechtsstaat war, in der halt das Unrecht herrschte.

Sapperlot! Und jetzt auch in Deutschland! „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung“, schluchzt der Bayer.

Stimmt das? Ich habe heute den Selbstversuch unternommen. Und bin enttäuscht! Gleich zweimal bin ich in der Bahn kontrolliert worden! Wo ist der Unrechtsstaat, wenn man ihn mal braucht?

Differenzierte Wahrnehmung vs globale Abqualifizierung

Die globale Kennzeichnung der DDR als Unrechtsstaat schießt deshalb über die Anerkennung von Unrecht und Freiheitsverletzung, die es in der DDR vielfach gab, weit hinaus. Sie will umfassend delegitimieren und desavouieren. Sie lässt der Normalität, die es vielfach gab, keinen Eigenstand. Sie ist eine Verzerrung der Wirklichkeit in politischer Absicht. Vielleicht sogar in guter Absicht – das Zerrbild des Unrechtsstaates mag gegen eine ihrerseits verzerrende DDR-Nostalgie gerichtet sein. Aber indem der ideologische Schlagabtausch des Kalten Krieges fortgeführt wird, wird der DDR-Nostalgie nicht entgegengewirkt, sondern sie wird provoziert und verstärkt.

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Richter des Bundesverfassungsgerichts (1983 – 1996) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12.05.2015

Staatsbürgerkunde und Neusprech machen „DDR-Sprech“

Zwei tolle Webprojekte haben sich (wieder einmal) zu einem Crossover zusammengefunden: Der Staatsbürgerkunde-Podcast und neusprech.org. Ersterer schaut in Gesprächen auf das Leben in der DDR, letzteres zeigt, wie mit Wörtern aktuell Politik betrieben wird.

Die Schnittmenge findet sich beim Podcast DDR-Sprech (2): Wie werden Begriffe mit DDR-Bezug heute genutzt? Zur Sprache kommen: Lichtgrenze („westdeutsche Sicht“), Stasi 2.0, Montagsdemonstration („feindliche Übernahme“) und Unrechtsstaat. Eine sehr erhellende und vergnügliche Stunde! Aufgenommen beim 31. Chaos Communication Congress.

Die erste Folge „DDR-Sprech (1)“ gibt es übrigens hier.