Ehemalige verharmloste DDR, ostdeutscher Zoo, Podcasts, Einheit ohne Ostdeutsche

„Ehemalige“ DDR?

Beim Deutschlandfunk kritisiert Henry Bernhard die Formulierung „ehemalig“. Sie werde in den Medien oft falsch verwendet, insbesondere aber in Bezug auf die DDR:

Im Bezug auf die DDR ist die falsche Formulierung besonders häufig. Niemand spricht dagegen vom „ehemaligen Dritten Reich“, vom „ehemaligen Kaiserreich“ oder vom „ehemaligen Römischen Reich“.

Zum Thema „ehemalige DDR“ hatten wir hier bereits 2011 geschrieben.

DDR-Verklärung beenden

Beim Deutschlandfunk ruft Christoph Richter dazu auf, kritisch auf die DDR-Geschichte zu schauen — und das vor allem als Generationengespräch. Er beobachtet eine Verharmlosung der damaligen repressiv-autoritären Zustände:

Und es ist schon einigermaßen verwunderlich, dass unter Ostdeutschen Bücher Konjunktur haben, die die DDR verklären. Wie eine Decke, unter der man behaglich kuscheln kann. Und das ist bizarr – gerade vor dem Hintergrund, dass nach einer aktuellen Studie sich zwei Drittel der Ostdeutschen nach autoritären Strukturen wie in der DDR sehnen, mit der Demokratie fremdeln, sich eine „völkische Gemeinschaft“ wünschen.

Um zu verstehen, wie das repressive staatliche SED-Regime bis heute nachwirkt, muss das Schweigen über das alltägliche Leben in der DDR gebrochen werden. Und das können die Ostdeutschen nur selbst tun. Spätestens jetzt: 33 Jahre nach der Wiedervereinigung.

Ostdeutschland als Zoo

In der Berliner Zeitung schreibt Anja Reich darüber, wie sie aktuelle Debatten zwischen Ostdeutschen wahrnimmt. Und auch einen westdeutschen Blick beschreibt sie:

Ich wurde das Gefühl nicht los, das ich oft bei Reportagen über den Osten bekomme: Ich nehme an einer Zooführung teil. Dem westdeutschen Publikum wird erklärt, was mit den Ostdeutschen nicht stimmt. Warum sie zwar die gleiche Sprache sprechen, aber seltsame Dinge sagen. Wie eine Spezies, die es zu erforschen, aber auch zu zähmen gilt, weil sie gefährlich werden könnte.

Ich stelle mir dann manchmal vor, es wäre andersherum: Ein westdeutscher Sportreporter befragt seine Landsleute in Sindelfingen oder Buxtehude, um herauszubekommen, wie sich der Kalte Krieg auf deren Amerika-Bild ausgewirkt hat, warum sie zusehen, wie die USA Kriege führen wie im Irak, die sie „Militäroperationen“ nennen. Aber der Zooblick ist immer nur auf den Osten gerichtet.

Ostdeutschland in den Medien: Zwei Podcasts

Der Medienpodcast quoted (von CIVIS und der Süddeutschen Zeitung) spricht mit der Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger darüber, wie ostdeutsche Bundesländer medial dargestellt werden und was sie dabei vom Saarland unterscheidet.

„SWR aktuell“ spricht im Podcast mit der eigenen Chefin: Marieke Reimann ist Zweite Multimediale Chefredakteurin beim SWR und stammt aus Rostock. Sie meint: „Wir Medien sollten anders über Ostdeutschland berichten“.

Der Wessi der Woche

Der Wessi in dieser Woche ist gleich eine ganze Feier. Denn: Wer hat da denn nicht aufgepasst? Die Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit fanden in diesem Jahr in Hamburg statt. Politik, Prominenz und Party, alle da. Falle alle außer: Ostdeutsche. Ulrike Nimz legt bei der Süddeutschen Zeitung den Finger in die Wunde.

Diskursindustrie, ostdeutsche Stimmen und der Wessi der Woche

Diskursindustrie, ostdeutsche Stimmen und der Wessi der Woche

Frisch aus den Medien: Aktuelle Beiträge zur Darstellung und Wahrnehmung Ostdeutschlands in der Öffentlichkeit. Und ein Spiegel-Redakteur lässt voll den Wessi raushängen.

Diskursindustrie

Die Historikerin Christina Morina sagt im Interview mit dem Spiegel, warum sie die AfD-Ergebnisse in ostdeutschen Bundesländern nicht nur mit Rassismus, Trotz und Frust erklärt. Sie bezieht sich auf die Forderungen der oppositionellen Gruppen 1989 — diese gingen für Basisdemokratie und echte Bürgerbeteiligung auf die Straße. Dies sei aber nie eingelöst worden:

Die repräsentative Parteiendemokratie der Bundesrepublik steht sowohl im Widerspruch zum autoritären »Volksdemokratie«-Postulat der SED als auch zur Basisdemokratie, von der 1989 viele träumten. Die AfD ist die derzeit einzige größere Partei, die sich als Anwältin des Volkes und mehr direkter Demokratie inszeniert, auch wenn sie in Wahrheit eine autoritär-völkische Ordnung anstrebt.

Auch kritisiert Morina, wie in den Medien mit der Ost-West-Debatte umgehen und spricht von einer „Diskursindustrie“:

Problematisch sind die Pauschalisierungen und die abgrenzende Art, in der seit Jahren diskutiert wird — zuletzt etwa die Thesen des Leipziger Germanisten Dirk Oschmann, der den Osten für eine Erfindung des Westens hält. Es gibt inzwischen eine Diskursindustrie, die von der Ossi-Wessi-Zuspitzung sehr gut lebt. Die Realität ist vielfältiger: Die Perspektive auf Ostdeutschland ist nicht mehr so dominant westdeutsch wie noch vor einigen Jahren, und gerade in den Institutionen der Bundespolitik sind Ostdeutsche leicht überrepräsentiert. Wir sollten endlich andere Fragen stellen — etwa, welche Verantwortung auch den Ostdeutschen zufällt, insbesondere denen in Führungspositionen. … Es ist erklärungsbedürftig, dass die neuen Bundesländer ausgerechnet in jenen Jahren zum demokratischen Problemfall wurden, in denen mit Angela Merkel und Joachim Gauck zwei Ostdeutsche an der Spitze des Staates standen. Wieso ist es der AfD in dieser Zeit gelungen, sich zu etablieren? Und warum hat die Kanzlerin erst zum Ende ihrer Amtszeit ihre Herkunft und die besondere demokratiepolitische Aufgabe im Osten öffentlich thematisiert?

Schließlich wirbt sie dafür, auch die Erfahrungen in Westdeutschland ab 1990 explizit in den Blick zu nehmen:

Die Westdeutschen mussten sich von der alten Bundesrepublik verabschieden, sie erlebten 1989/90 auch einen tiefen Einschnitt, was noch viel zu wenig betrachtet wird. Der Verlust von Bonn als Hauptstadt etwa hat viele Menschen beschäftigt, das ist gut belegt. Auch die Belastung des Sozialstaats infolge der Einheit oder die neue Rolle Deutschlands in der Welt waren riesige Herausforderungen, haben viele Gewissheiten erschüttert. … Natürlich konnte der Westen all das besser verarbeiten, das war eine andere Dimension als die massive Transformation im Osten. Aber wer Anerkennung für die ostdeutschen Perspektiven und Probleme fordert, muss auch die Herausforderungen auf der anderen Seite wahrnehmen.

Das hatten wir hier bereits im letzten Jahr als WestdeutschAwareness angesprochen.

Ostdeutsche blicken auf Ostdeutschland

Zwei Beiträge machen durch ihre unterschiedlichen Ansätze und Beurteilungen deutlich, wie gewinnbringend es ist, wenn sich verschiedene Stimmen aus dem Osten Deutschlands in die Debatten über Ostdeutschland einbringen:

Im radioeins- und Freitag-Salon kann man ein einstündiges Gespräch mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk nachhören. Er streift viele Aspekte über Ostdeutschland, kritisiert die Bücher von Katja Hoyer und Dirk Oschmann und verteidigt den Wert der Freiheit.

Auf der ARD läuft heute die Dokumentation „Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen“ von Jessy Wellmer und Dominic Egizzi. Der Film bringt viele verschiedene Stimmen, statistische Daten und Umfrageergebnisse zusammen und zeichnet so ein durchaus komplexes Bild. Die Dokumentation ist bereits in der ARD-Mediathek verfügbar.

In beiden Fällen fehlen aber wichtige Aspekte: Die ostdeutsche Gesellschaft wird nur als weiße Mehrheitsgesellschaft sichtbar, Ostdeutsche of Color sind hier beispielsweise unsichtbar.

Der Wessi der Woche

Begleitet wird die ARD-Dokumentation von einer breiten Aufmerksamkeit anderer Medien. Die Dokumentation wird dabei insgesamt wohlwollend besprochen, den Vogel schießt aber der Spiegel-Beitrag von Christian Buß ab. Bereits Überschrift und Teaser zeigen die von Christina Morina kritisierte „Diskursindustrie“ in Reinform. Spoiler: Im Text selbst wird es nicht besser.

Hör mal, wer da jammert!

Für »Hört uns zu!« kabbelt sich Jessy Wellmer mit Ossis, die sich von Wessis gedemütigt fühlen. Eine ARD-Reportage, in der sich die Recherche im Osten mal nicht wie eine Strafexpedition anfühlt – klasse.

Also lieber Christian Buß, nochmal zum mitschreiben:

  • „Jammer-Ossi“, echt? Sie empfinden die Hinweise eines Berufstätigen als Jammerei, wenn er auf das Lohngefälle zwischen West und Ost aufmerksam macht? Apropos Gefälle: In Ostdeutschland verkauft der Spiegel nur 4% seiner Gesamtauflage. Könnte da nicht auch ein Verlag ins jammern kommen?
  • Jessy Wellmer „kabbelt“ sich? Ich kann mir nicht erschließen, warum Gespräche auf Augenhöhe derart verniedlicht werden. Wäre es erst durch die Teilnahme Westdeutscher keine lustige Kabbelei mehr?
  • Ach ja, die „Strafexpedition“ im Osten. Leider war das zu lange gängige Praxis: Bei Ereignissen in ostdeutschen Bundesländern schickten westdeutsche Medien ihre Journalist*innen schnell dorthin, sie berichteten und zogen wieder ab. Der Begriff weckt aber auch Erinnerungen an die sogenannte „Buschzulage“, die westdeutsche Beamte in Ostdeutschland erhielten. Alles irgendwie Zwang im Ausland, oder?

Jammer-Ossis, die sich kabbeln und die man meist per Strafexpedition beobachten müsse. So schaut also 2023 ein westdeutscher Journalist auf eine gesellschaftliche Debatte. So isser, der Wessi.

DDR-Frauen, Missbrauch, Verunsicherung

Frisch aus den Medien: Drei aktuelle Beiträge zur Darstellung und Wahrnehmung Ostdeutschlands in der Öffentlichkeit.

Kaum sichtbar: Die Erfahrungen von Frauen aus der DDR

In ihrem aktuellen Film porträtiert Sabine Michel aus Dresden die Politikerinnen Manuela Schwesig, Yvonne Magwas, Anke Domscheit-Berg und Frauke Petry. Bei saechsische.de sagt sie im Interview:

In der DDR sozialisierte Frauen haben natürlich andere Erfahrungen gemacht, und ich würde mir wünschen, dass eben diese Erfahrungen stärkere Bestandteile im gesellschaftlichen Diskurs wäre. Und das es tiefer im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert wäre, dass die DDR ein Gleichstellungsexperiment durchgeführt hat, in der vieles für Frauen nachweislich besser funktioniert hat, anderes aber auch nicht. Zum Beispiel gab es in der DDR dadurch, dass die allermeisten Frauen in Vollzeit gearbeitet und sich zusätzlich um die Erziehung gekümmert haben, eine Mehrfachbelastung. Das Problem hat auch unsere heutige Gesellschaft nicht gelöst: Menschen mit Kindern sind strukturell benachteiligt, finanziell, zeitlich und karrieremäßig.

Tabu-Thema: Sexueller Missbrauch in Kliniken der DDR

Unter dem Vorwand, sie litten unter sexuell übertragen Krankheiten wurden in der DDR tausende Frauen in Kliniken eingewiesen — und misshandelt. Die Deutsche Welle nimmt sich des Themas an:

Es ist schwierig, genau zu beziffern, wie viele Frauen und Mädchen solche Torturen erlitten. Die Zahl geht in die Tausende — bis zu 5.000 allein in der Stadt Halle. Während die weit verbreiteten Misshandlungen in den Kinderheimen und so genannten Jugendwerkhöfen der DDR gut erforscht und dokumentiert sind, ist über die Vorgänge in den „Venerologischen Stationen“ nur wenig bekannt.

„Es ist ein besonders dunkles Kapitel der Geschichte. Niemand will wirklich davon hören“, sagt Christine Bergmann, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und die einzige Person in der Kommission, die in der DDR geboren und aufgewachsen ist.

Verunsicherungen im Osten – jetzt auch im Westen

Die Überschrift des Artikels auf 24rhein hat einen reinen Ost-Fokus („Warum viele Ostdeutsche so verunsichert sind – und damit anfällig für Extremismus“) — macht dann aber einen überraschenden Schwenk auf Westdeutschland: 

Man hat sich dran gewöhnt: Der Westen Deutschlands ist der Motor von Entwicklungen, hier spielt die Musik, wird Wohlstand generiert, Zukunft gestaltet. Der Osten? Na ja, hinkt halt hinterher, immer davon bedroht, abgehängt zu werden. Doch in einem Bereich verzeichnen wir seit Jahren eine Schubumkehr, hier geht der Osten voran, setzt den Trend:

Mit dem wachsenden Erfolg der AfD haben die sogenannten Neuen Länder eine Lokomotivfunktion, dort ist die selbsternannte Alternative für Deutschland über weite Strecken schon Volkspartei.

„Vor 33 Jahren sind die damaligen DDR-Bürger in einen Zug nach Deutschland eingestiegen, aber viele sind da nie angekommen“, beschreibt Sergej Lochthofen die Entwicklung mit einem Bild. … Die veränderte Wirklichkeit habe diejenigen Teile der Bevölkerung überfordert, für die Sicherheit und Überschaubarkeit vor Freiheit rangierten, die in Demokratie und offener Gesellschaft eher eine Bedrohung sähen. Ihre Prägung durch den DDR-Staat habe sie zudem anfällig für autoritäre Muster gemacht, für rechtspopulistisches und rechtsextremes Gedankengut.

Möglicherweise erleben wir im Westen gerade – zeitverzögert – auch eine große Verunsicherung. Die Welt, wie wir sie vielleicht in der Kindheit wahrgenommen haben, löst sich auf. … Da kommt ein politisches Angebot wie das der AfD gerade recht, verspricht es doch, eine unrealistisch verklärte Vergangenheit wieder herzustellen: Ohne Globalisierung und Migration, hierarchisch geordnet, sozial gesichert. Schon ein flüchtiger Blick in Archive zeigt, dass es eine solche Vergangenheit nie gab – außer in Bullerbü.

Farbfilm vergessen (Merkels Medienkritik Mashup)

Zu ihrem Zapfenstreich als Bundeskanzlerin wünschte sich Angela Merkel den Titel „Du hast den Farbfilm vergessen“, im Original 1974 von Nina Hagen gesungen. Nina Hagen, die spätere „Godmother of Punk“? Wie passt das mit Angela Merkel zusammen?

Ich vermute: Das war ein subversiver Akt! Nach ihrer Rede zum Festakt am Tag der Deutschen Einheit 2021 zeichnet sich immer mehr ab, dass Merkel ihre ostdeutsche Seite nicht mehr versteckt. Nein, sie verbindet sie auch mit Kritik am westdeutschen Blick auf sie als Ostdeutsche. Das haben wir 2013 getan zur medialen Wahrnehmung einer Merkel-Biografie. Und 2012 konnten wir sehen, wie explizit westdeutsche Befürchtungen noch formuliert wurden.

In diesem Jahr also die Abrechnung von Angela Merkel selbst:

Merkel kritisierte einen Artikel in einer Publikation der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort wurde der „Ballast ihrer DDR-Biographie“ angesprochen. Autor Thomas Brechenmacher fühlte sich von der Kanzlerin falsch verstanden, wie er der Berliner Zeitung sagte: Es sei ihm um das gegangen, was sie für den neuen Weg abwerfen wollte.

Außerdem sprach sie über einen Artikel in der Welt am Sonntag vom Ende 2020. Hier bezeichnete sie Herausgeber Thomas Schmid als „angelernte Bundesdeutsche“. Christian Bangel schrieb dazu in der Zeit:

Merkel sprach in dieser Rede etwas aus, das wohl viele Ostdeutsche lange von ihr erwartet hatten: nämlich das Erleben einer subtilen Form der Diskriminierung.

Und nun ließ sie diese Kritik auch noch musikalisch erklingen. Subversiv.

Der Spiegel der Wessis: Eine Geschichte in Titelbildern 1

Der Spiegel der Wessis: Eine Geschichte in Titelbildern

Reden wir einmal über Bilder. Denn Bilder bilden Wahrnehmungen ab, und sie prägen ein öffentliches Bewusstsein. Gerade Titelbilder von Zeitungen und Zeitschriften sind dabei ein wichtiges Feld – sollen sie doch aufmerksam machen und damit zum Kauf anregen. Das Wochenmagazin „Spiegel“ schafft das immer wieder. Mal trifft es den Nerv der Zeit, mal provoziert es – manchmal beides.

Seit 24. August 2019 liegt der Spiegel mit einem Titelbild in den Regalen, das endlich Erklärung verspricht: „So isser, der Ossi.“ Bebildert ist es mit einem Anglerhut in schwarz-rot-gold. 

Spiegel 35 / 2019

Vor ziemlich genau einem Jahr erlangte ein Pegida-Demonstrant mit einem solchen Kleidungsstück unfreiwillige Berühmtheit. Er kritisierte ein Kamerateam weil er nicht gefilmt werden wollte und ließ das Filmteam von der Polizei kontrollieren. Der – natürlich – gut dokumentierte Vorfall bestach durch die polterige Impertinenz des Betroffenen und wurde von klassischen Medien und in Social Media bereitwillig aufgenommen. Die taz hatte etwa am 24. August 2018 – also exakt ein Jahr vor dem aktuellen Spiegel-Titel – ein recht ähnliches Titelbild mit der Fokussierung auf den Anglerhut:

taz 24.08.2018

Der Anglerhut mit markanter Farbgebung ist also im wahrsten Sinne ein Symbol-Bild für Ostdeutschland geworden. Genauer gesagt: Für Ostdeutsche mit rechter Einstellung einerseits und mit wenig Intelligenz andererseits. Also genauso, wie man sich in Westdeutschland Ostdeutsche gerne vorstellt.

Gerade der „dumme Ostdeutsche“ hat in der bildlichen Darstellung Tradition. Die bekannteste Darstellung dürfte das Titelbild der Titanic vom November 1989 sein:

Titanic November 1989

„Meine erste Banane“ heißt es hier – eine geschälte Gurke lässt auch bei „Zonen-Gaby“ wenig Auffassungsgabe vermuten. Und auch dort spielte Kleidung eine Rolle in der öffentlichen Darstellung eines „Ossi“: Was heute der Anglerhut ist, war damals die Jeansjacke. Wie etwa das Neue Deutschland 2015 im Interview mit dem Covermodell feststellt:

Das Bild ging später um die ganze Welt. Auch weil mit ihm die Ostdeutschen als einfältige, konsumgeile Trottel in hässlichen Stonewashed-Jeansjacken abgestempelt werden konnten.

Neues Deutschland, 03.01.2015

Auch beim Spiegel landete Ende 1989 eine Kopfbedeckung auf dem Titelbild. Es gibt aber zwei Unterschiede zum aktuellen Cover: Es handelt sich um die klassische Zipfelmütze des „deutschen Michel“, also eine Darstellung des Deutschen an sich. Und unter dieser Mütze stecken zwei Deutsche, Ost und West.

Spiegel 51/1989

Unter diesem Hut blieben die Deutschen laut Spiegel nicht lange: Mitte 1990 sind sie immerhin noch durch die verknoteten Krawatten verbunden. Der Texttext verweist aber bereits darauf, dass man „vereint aber fremd“ sei:

SPIEGEL 39/1990

Mitte 1992 spricht man aber bereits von einer „neuen Teilung“ – „Deutsche gegen Deutsche“. Entsprechend blicken Ost und West übel gelaunt in unterschiedliche Richtungen, Zusammenhalt gibt nur ein Strick, der sie aneinander kettet.

SPIEGEL 34/1992

Über die Jahre scheint sich der Abstand noch weiter vergrößert zu haben: 1999 stehen Menschen aus Ost und West weit entfernt auf einer durchbrochenen Brücke. Um die Lücke zu füllen, wird ein Handschlag herangehoben – hier wird wieder der Strick verwendet, der aber bereits eine bedenklich empfindliche Stelle besitzt

SPIEGEL 10/1999

Diese Entwicklung geschieht parallel zu einer weiteren Titelbild-Erzählung des Spiegel: Der Osten kostet. Anfang 1990 etwa fragte man aufgrund einer „Massenflucht“ aus der DDR: „Gefahr für den Wohlstand?“

SPIEGEL 4/1990

Und Mitte 1991 lautete die Frage aufgrund von „Steuer-Opfern für den Osten“: „Wieviel noch?“ Hier wird ein Westdeutscher von riesigen Händen ausgewrungen:

SPIEGEL 27/1991

Beide Titelbilder zeigen also einen klar westdeutschen Blick, der den Osten wahlweise als Belastung oder als Bedrohung wahrnimmt. Die Angst vor der „Gefahr aus dem Osten“ ist übrigens schon deutlich älter: Bereits im Alten Griechenland fürchtete man sich auf diese Weise vor dem Perserreich.

Aber zurück in die 1990er Jahre aus Sicht des Spiegel. Der war sich nämlich offenbar nicht einig, ob Ostdeutschland denn nun eine Erfolgsgeschichte ist oder nicht. So hieß es 1994: „Der Osten is‘ stark“, 

SPIEGEL 33/1994

Anfang 1995 aber hieß es „Milliardengrab ‚Aufschwung Ost‘“. Wobei auch der westdeutsche Blick zählt: Ahnen die Spiegel-Lesenden im Westen jetzt wohl, dass ihr Solidarbeitrag wohl doch nicht gut angelegt sein dürfte.

SPIEGEL 7/1995

„Der neue Osten“ heißt es wiederum 1996 – bei der bunten Comicgrafik muss man vermuten: Neu gleich gut.

SPIEGEL 41/1996

Das ist recht interessant, hat der Spiegel bei Titelseiten 1995 und 1996 den Erfolg der „Blühenden Landschaften“ in Frage gestellt. In beiden Fällen liegt das DDR-Staatswappen halb verrottet in einer Wiese.

SPIEGEL 36/1995
SPIEGEL 25/1996

Was auffällt: Diese Titelbilder besitzen bislang recht wenig „typische“ Ost-Symbolik. Das sollte sich ändern. Denn ebenfalls 1995 findet der Spiegel erste Symbol-Bilder für die Ostdeutschen. Da man in einer Umfrage ein „Heimweh nach der alten Ordnung“ gefunden habe, trägt eine Frau stolz eine DDR-Flagge und erotisch eine FDJ-Bluse.

SPIEGEL 27/1995

Die Hemden von FDJ und Pionieren hatten es dann eine Zeitlang tatsächlich ins öffentliche Bewusstsein als DDR-Symbole geschafft. In der „DDR-Show“ von RTL trug etwa Kati Witt ein Pionierhemd, was ihr auch Kritik einbrachte.

Kati Witt in der „DDR-Show“ 2003

Ach, die Symbole, endlich, mag man beim Spiegel frohlockt haben! 2004 hatte das Magazin mit dem Ampelmännchen ein anderes ostdeutsches Symbol gefunden und eine griffige Zeile gleich dazu: „Jammertal“ hieß es zu 15 Jahren Deutsche Einheit.

SPIEGEL 39/2004

Damit war der Spiegel nah am „Jammerossi“ — und bereits recht nah am aktuellen Spiegelbild: Ein klares bildliches Symbol gepaart mit einem klaren Urteil über den Osten. Der jammernde Ossi halt, entweder über die wirtschaftliche Situation oder weil er bei einer Demonstration gefilmt wird. 

Was im Jahr 2004 aber noch fehlt, das ist der Verweis auf den rechten Osten. Das lieferte der Spiegel dann im Jahr 2018:

SPIEGEL 36/2018

Ein ganzes Bundesland wird rechts, sagt uns die Illustration ganz zugespitzt. Bei einer anderen Titelseite aus dem gleichen Jahr ist der Spiegel etwas ausführlicher: „Revolution“ heißt es da und „Warum die Deutschen so oft scheitern“. 1989 steht in der Auflistung, auch wenn das entsprechende Foto hinter dem westdeutschen Symbol Rudi Dutschke recht versteckt abgebildet ist.

SPIEGEL 42/2018

Aber: Ist 1989 denn tatsächlich gescheitert? Aus Sicht des Spiegel und der Geschichte seiner Titelseiten ist die Antwort wahrscheinlich klar: Ja. Denn die Ostdeutschen sind dumm, sie kosten und rechts sind sie jetzt auch noch geworden.

Die Titelseiten des Spiegel dürften aber auch eine Antwort darauf geben, warum das Magazin im Osten Deutschlands vergleichsweise wenig gelesen wird, weniger als die „SuperIllu“ etwa. Aber wer möchte denn auch eine Zeitschrift kaufen, auf der man als jammernd, als dumm oder als rechts dargestellt wird? Und versteht der Spiegel seine potenziellen Käuferinnen und Käufer tatsächlich so?

Die DDR als reale Fiktion — Christoph Hein und die Ohnmacht seiner Erinnerung

Christoph Hein hat „Das Leben der Anderen“ kritisiert. In der öffentlichen Debatte dazu weicht man aber einer entscheidenden Frage aus: Wie authentisch kann die DDR noch sein, wenn die Fiktion überzeugender wirkt?

In der Süddeutschen Zeitung erschien am 24. Januar 2019 ein Auszug aus Christoph Heins Buch „Gegenlauschangriff — Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“. Er schildert darin, wie Florian Henckel von Donnersmarck im Jahr 2002 von ihm das „typische Leben eines typischen Dramatikers der DDR“ wissen wollte. Das Gespräch schildert Hein als Vorbereitung für „Das Leben der Anderen“. Der Film kam 2005 in die Kinos kam und Henckel von Donnersmarck führte Regie. Ausgezeichnet wurde der Film unter anderem mit dem Oscar.

In seinem Text kritisiert Hein verschiedene Aspekte des Films, dramaturgisch begründete Verkürzungen und Zuspitzungen. Er meint schließlich:

„Das Leben der Anderen“ beschreibt nicht die Achtzigerjahre in der DDR

Die anschließende Diskussion dreht sich vor allem darum, welche Deutungshoheit Christoph Hein über seine eigene Erinnerung haben kann. Eine „Selbstverleugnung des Wissens um die eigenen tristen Lebensumstände“, wirft ihm Andreas Platthaus in der FAZ vor. Thorsten Arend, ehemaliger Lektor von Hein, hielt bei Deutschlandfunk Kultur dagegen: „Es muss natürlich möglich sein, auf seinen Erfahrungen zu beharren und sie ernstgenommen zu sehen. Wenn dann gleich der Vorwurf kommt, na ja, wir wissen es besser, und deine Erinnerungen sind falsch, dann tut man sie so beiseite, wie das eigentlich überhaupt nicht sein dürfte. Das scheint mir schon ein Ost-West-Problem zu sein“.

„Möglichst große Authentizität“

Dabei sind Erinnerungen und die Frage nach authentischer Darstellung entscheidend, gerade bei diesem Film. Denn: Im damaligen Presseheft wird auf Seite 14 unterstrichen, dass „der Film bis ins kleinste Detail authentisch wurde“, man wollte „möglichst große Authentizität“ gewährleisten“. Dieser Anstrich des Authentischen wurde aufgenommen. Die Bundeszentrale hat 2006 ein Filmheft zu „Das Leben der Anderen“ veröffentlicht, gedacht zur Verwendung im Schulunterricht.

Die Authentizität war auch ein wichtiger Aspekt bei Veröffentlichung des Films. „Ja, sage ich, so war es“, urteilte Joachim Gauck 2006 im Stern. Werner Schulz hingegen meinte 2007 in der Welt, dass Donnersmarck das System Stasi nicht verstanden hätte. Einen Offizier wie im Film habe es entsprechend nicht geben können. Er stellte schon damals fest:

„Mit der DDR-Geschichte kann man offenbar losgelöst von historischer Authentizität frei und phantasievoll umgehen.“ 

Daran hat sich seitdem nichts geändert: Am 11. März 2019 bespricht Susanne Lenz in der Frankfurter Rundschau Dirk Brauns‘ „Die Unscheinbaren“. Der Roman ist an die Familiengeschichte des Autors angelehnt. Im letzten Absatz vergleicht die Rezensentin Fiktion und Realität: „Der Sohn, der in der DDR bei der Großmutter blieb, hatte anders als im Buch beschrieben, keine Nachteile oder Anfeindungen zu ertragen, wie der Buch-Sohn nach der Verhaftung der Eltern. Sogar studieren konnte er.“

„Westdeutsche Fantasie“

Ein Detail, mag man meinen. Doch auch fiktionale Stoffe prägen den Blick auf Vergangenheit. Vielmehr noch: Durch ihren emotionale Inszenierung, ihre Zuspitzung und ihren breite Öffentlichkeit sind sie oft weit prägender als klassische Dokumentationen – siehe etwa das Filmheft zu „Das Leben der Anderen“. Und wenn sich eine Darstellung explizit authentisch nennt, auf historische Berater_innen zurückgreift, die eigene Geschichte in den Fokus setzt, dann muss sie sich auch daran messen lassen. Dann kann und darf sie sich nicht mehr auf dramaturgische Ausreden zurückziehen. Mit jeder Fiktionalisierung wird ein Geschichtsbild, ein Bild, eine Sicht geprägt und immer mehr muss man fragen, wie sehr dieses Bild der realen Geschichte der DDR entspricht – oder dem Bild, wie das wir in der Rückschau sehen. Sehen möchten. Mit Bezug auf die Hein-Debatte meint etwa Adam Soboczynsk in der Zeit: „Wir hätten die DDR in der Rückschau gerne als Räuberpistole, sie war aber vor allem eine Qual.“

Warum hier nicht genug aufgehorcht werden kann, zeigt eine Episode, die Christoph Hein in seinem Auszug schildert und in der Debatte um die Verlässlichkeit seiner Erinnerung eher untergegangen ist. In einem Universitätsseminar habe ein Professor erklärt, dass Jakob Hein als Autor seiner Anti-Zensur-Rede von 1987 nicht ins Gefängnis gekommen sei.

„Das sei unmöglich, beharrten die Studenten, so könne es nicht gewesen sein, sie wüssten das ganz genau, weil sie ja den Film ‚Das Leben der Anderen‘ gesehen hätten.“ 

Hein resümiert:

„Der Film wurde ein Welterfolg. Es ist aussichtslos für mich, meine Lebensgeschichte dagegensetzen zu wollen. Ich werde meine Erinnerungen dem Kino anpassen müssen.“ 

Die DDR, so muss festgehalten werden, existiert offenbar inzwischen vor allem als Fiktion, als ein Leben der Anderen in einer anderen Welt. Und an dieser Fiktion sind die Menschen, die die Realität dieses Landes kannten, kaum mehr beteiligt. So schreibt Adam Soboczynsk in seinem Artikel: „Auf dem 10. Schriftstellerkongress der DDR mit einer aufsehenerregenden Rede die Abschaffung der Zensur zu verlangen, dafür brauchte man mehr Rückgrat, als die westdeutsche Fantasie heute hergibt.“

Doch Geschichte ist komplexer als die Fantasie einer einzelnen Gruppe. Wie jüngst erst Historikerin Mary Fulbrook feststellt, gibt es nur dämonisierende oder verharmlosende Darstellungen der DDR. Es wird Zeit, dass die DDR-Darstellungen vielfältiger werden. Wie wäre es zur Abwechslung mit der Realität — und ostdeutschen Erinnerungen und Fantasien?

Plattenbauten: Immer die gleiche Platte?

Ach ja, es ist eine so einfache Schlussfolgerung: Die Plattenbauten aus der DDR sind nicht lebenswert und ziehen nur sozial schwache Menschen an. Entsprechende Medienberichte gibt es seit Jahren, so auch jetzt wieder. Die Ostsee-Zeitung vom 21. November berichtet über eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB). Die räumliche Trennung von Arm und Reich sei in ostdeutschen Städten historisch beispiellos, beispielsweise in Rostock.

Aus Sicht der Stadtverwaltung ist die Hauptursache für diese Entwicklung der industrielle Wohnungsbau zu DDR-Zeiten. WZB-Studienleiter Helbig bestätigt das: „In Rostock, Erfurt, Potsdam, Weimar oder Halle ergab sich durch die sozialistischen Plattenbauten am Rande der Städte und die Sanierung der Innenstädte nach der Wende eine enorme architektonische Schere.“

Aber was ist das, eine architektonische Schere? Prinzipiell ist das ein Unterschied zwischen sanierten Innenstädten auf der einen Seite und dem Leben in Randgebieten auf der anderen Seite.

Nun müssen unterschiedliche Arten von Wohnhäusern nicht schlimm sein. Das wird es aber, sobald es Konsequenzen für die dort Lebenden hat.

Weil die Plattenbauten weniger begehrt sind, blieben die Mieten hier niedrig. In den Stadtzentren wird’s hingegen immer teurer. „Entsprechend groß ist die soziale Schere: In den Plattenbaugebieten leben vergleichsweise viele Hartz-IV-Empfänger“, sagt Helbig.

Damit kommen wir dem eigentlichen Problem näher: Nicht der Plattenbau ist pervers, sondern die Situation in der er steht. Ein Problem, das die Redaktion der Ostsee-Zeitung hätte sehen können. Denn im gleichen Artikel steht der entsprechende Hinweis. Und auch die Forschenden hätten es sehen können, denn sie haben die Zahlen erhoben:

Zwischen 2005 und 2014 habe die soziale Spaltung in Rostock sogar deutschlandweit am meisten zugenommen.

Plattenbauten und ihr Image

In einer Zeit lange nach der DDR wächst die soziale Spaltung in Rostock. Mit anderen Worten: Nicht die Plattenbauten sind schuld, dass sie als Orte für sozialen Abstieg gelten. Sie wurden dazu gemacht. Von Stadtverwaltungen, die sich nach 1990 nicht um sie gekümmert haben — und von Medien, die eine einfache Erzählform für diese Gebiete hatten. Ebenfalls seit 1990. So schrieb Nikolaus Bernau 2016 in der Berliner Zeitung:

Das Problem sind nicht die Bauten, sondern das negative soziale Image, das mit ihnen inzwischen verbunden ist.

Dieses Image sei oft konstruiert, führt er aus.

Dabei lässt sich auch ein anderes Bild zeichnen. So berichtete der RBB kürzlich über den Bau neuer Typenbauten — und ließ den Architekten ausführlich die Plattenbauten aus der DDR loben:

Es geht — fast im Sinne des gründerzeitlichen Bauens — darum, dass man gute und bewährte Grundrisse zu Modulen zusammenfügt. […] Wir haben uns — durchaus mit Hochachtung — die sehr klugen Grundrisse angeschaut. […] Wir konnten aus der DDR-Platte etwas lernen — klar.

Es wäre gut, wenn diese Sichtweise die heutige Wahrnehmung bereichern könnten — denn noch wird zu einseitig auf das Leben im Plattenbau gesehen. Dass damit auch Vorannahmen einher gehen, war auch schon in den 1970er Jahren der Fall, wie Nikolaus Bernau schreibt:

Zur Überraschung vieler Forscher stellte sich heraus, dass viele Menschen eigentlich gerne in den von der Politik und den Nicht-dort-Wohnenden verachteten Häusern lebten. Aber sie hatten auch das Gefühl, es sei eigentlich sozial nicht akzeptabel, sich hier wohlzufühlen, litten geradezu unter einem kollektiven Minderwertigkeitskomplex.

Ossis für Dorsten

„Osten oder Westen, das spielt doch keine Rolle mehr“, heißt es immer wieder gerne. Für Menschen in Ostdeutschland mag das zutreffen: Sie haben Erfahrungen mit beiden Seiten und kennen sowohl ost- wie westdeutsche Geschichte und Kultur. Was im Osten aber selbstverständlich ist, muss in Westdeutschland erklärt werden. In der Dorstener Zeitung aus Nordrhein-Westfalen erschien nun etwa ein Artikel, der zeigt, was für die Menschen dort offenbar erklärungsbedürftig ist:

Es gibt das Ossi-Ampelmännchen. Ossi – das steht als Abkürzung für Menschen aus Ostdeutschland. Die hatten schon vor dem Fall der Mauer ein putziges, eigenes Ampelmännchen. Das fand auch im Westen Gefallen. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen aus der ehemaligen DDR.

Im Text schließt übrigens direkt ein Verweis an die Mongolei an.

Fragt sich nur: Was sollten die Menschen in Dorsten sonst noch über Ostdeutschland wissen?

Sophie Passmann reflektiert ihre Sicht auf den Osten 2

Im Februar 2018 schrieb Sophie Passmann einen Text für den Spiegel. Der Anlass: Sie war zum ersten Mal in Eisenach. Das ist ja immer ein dankbares Thema für die Medien — Westdeutsche landen in der ostdeutschen Provinz, überleben und erzählen danach davon (siehe auch: der Focus in Strausberg, die taz in Berlin-Marzahn, der Deutschlandfunk in HalleMoritz von Uslar in ZehdenickAndrea Marshall im Haus der Statistik). Und wie in solchen Fällen üblich, hat diese Person auch etwas über sich gelernt. Sophie Passmann weiß jetzt: Sie hat Vorurteile und ist in einer privilegierten Position.

Über den Text von Passmann hat sich die Zeit-Redakteurin Valerie Schönian so sehr geärgert, dass sie sich mit Sophie Passmann ein Interview geführt und sie in ihre Heimatstadt Magdeburg eingeladen hat. Sophie Passmann macht dabei deutlich: Sie möchte ihren Blick reflektieren. Aber: Ist es ihr gelungen? Der folgende Text vermischt ihren Spiegel-Artikel und ihre Antworten im Interview.

Welcher Satz gehört wozu? Wie weit ist Sophie Passmann in ihrer Selbstreflektion gediehen?

Für mich erschien das wie die Pointe der Geschichte: Klar, die Passmann kann nicht in irgendeiner RICHTIGEN Stadt stranden, sondern in EISENACH.

Ich war vorher noch nie bewusst im Osten gewesen, außer vielleicht mal kurz in Leipzig und Erfurt. Eine Stadt wie Eisenach kannte ich nicht. Ich hätte mir so gewünscht, dass der Osten mich überrascht. Aber dann war alles so, wie ich es erwartet hatte. Mein Besuch in Eisenach war kurz. Er bestand aus einer Hotelübernachtung in einem beschämend schönen Hotel, einem Abendessen bei der Sandwich-Kette Subway und einem kleinen Spaziergang durch das, was Eisenach „Innenstadt“ nennt.

Ich habe in Eisenach zum ersten Mal gemerkt, dass ich eine eigene westdeutsche Arroganz besitze. Dass ich mich als Wessi fühle, hätte ich nie gedacht. Um mich als das Andere zu empfinden, musste ich erst mal in den Osten. Gleichzeitig fällt mir auf, dass ich nicht einen einzigen Ostdeutschen nennen könnte, mit dem ich befreundet bin. Ich habe bestimmt ostdeutsche Freunde – aber vergesse einfach deren Herkunft. Gerade denke ich zum ersten Mal, wie abgefahren dieses ganze Ost-West-Ding ist! Dass es auch unsere Generation betrifft. Ich dachte immer, das sei vorbei.

Ich habe Vorurteile gegenüber Ostdeutschland. So, jetzt habe ich es gesagt. Diese Vorurteile sind, wie ja immer, völlig unbegründet, sie entbehren jeder Grundlage. Dieser Ort hier wäre überall ein Highlight. Er ist einfach schön. Aber eben nicht typisch ostdeutsch. Ich habe ja nicht bezweifelt, dass es so was im Osten auch gibt. Ich bin Orts-Opportunistin. Mir ist es völlig egal, wenn jemand ein schiefes Bild von Freiburg hat. Was ein schlechter Vergleich ist, weil es an Freiburg wenig auszusetzen gibt. Dich würde es wirklich stören, wenn ich Magdeburg nicht gut finde, oder?

Ich glaube, du bist einfach Patriotin und kannst das nicht zugeben – weil es nicht in dein Weltbild passt. Du verintellektualisierst da aber nur ein Gefühl.

Genauso, wie ich jetzt mir und dem Westen abverlange, dass man mal ein bisschen Empathie haben und Privilegien reflektieren sollte – genauso kann ich das auch von den Ostdeutschen verlangen.

Ich kann mir vorstellen, wie das sein muss, wenn so eine 24-Jährige abends in ein Hotel in Eisenach stapft und mit ihrem Hochdeutsch und ihrem „Bitte“ und „Danke“ deutlich macht, was sie von Eisenach und den Ostdeutschen hält.

Ich wäre auch wortkarg.

Auf die Wiedervereinigung. Haben wir das Problem jetzt gelöst? Pfeffi ist ja schon mal ein guter Beitrag des Ostens zum vereinten Land.

Essen im Osten: Vorurteile gehen durch den Magen

Viele aus dem Westen stammenden Glossenschreiber versuchen den Osten Deutschlands zu verstehen. Unergründlich erscheint er ihnen immer wieder. Umso schöner, dass sie sich nach AfD und Pegida wieder der entscheidenden Seltsamkeit des Ostens zuwenden können: Dem Essen.

Martenstein und Toast (1)

Den Auftakt macht der preisgekrönte Kolumnist Harald Martenstein. Am 9. Oktober 2017 schrieb er die Glosse „Über die politische Botschaft des Toastbrots“.  Sein Problem: Im Osten wird ungetoasteter Toast serviert. Doch das ist nicht alles. Um das allerdings zu verstehen, entrümpeln wir den Text von der satirischen Verfremdung, die eine solche Glosse auszeichnet. Martenstein also in Übersetzung:

Was Martenstein schreibt:

So ein Toastbrot kann natürlich annehmbar schmecken, allerdings nur, nachdem es in einem Toaster getoastet wurde, dazu ist es gemacht, deshalb heißt es „Toastbrot“. Ein ungetoastetes Toastbrot ist nur ein Rohstoff, aus dem durch den Prozess des Toastens etwas Essbares hergestellt wird. Im Osten servieren sie das Toastbrot roh.

Was er damit meint:

Die dummen Ossis haben nicht mal das Feuer erfunden.

Was Martenstein schreibt:

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wäre es jedenfalls kein Problem, essbares Brot zu kaufen, die Grenze ist offen.

Was er damit meint:

Dabei haben wir ihnen diese zivilisatorische Errungenschaft längst gebracht! Dafür sind wir doch 1989 auf die Straße gegangen!

Was Martenstein schreibt:

Das Schlimmste an der DDR-Küche waren allerdings diese Toastscheiben.

Was Martenstein damit meint:

Ich hasse Ossis. Vor allem weil ich sie nicht verstehe. Damit mir das allerdings nicht als Vorurteil gegenüber kulturellen Eigenheiten ausgelegt wird, verpacke ich mein Unverständnis in spitzbübische Bemerkungen zu einem offensichtlich unwichtigen Thema.

An einer Stelle jedoch versagen wir. Vermutlich liegt es daran, dass Martenstein an dieser Stelle auch tatsächlich meint, was er schreibt:

Ich glaube inzwischen, dass der ungetoastete Osttoast ein Symbol für den DDR-Sozialismus ist und deshalb so tief verankert ist in den Geschmacksnerven der Ostdeutschen. Der Sozialismus hat Wohlstand und Demokratie versprochen, beides ließ auf sich warten, so lange, bis die Menschen die Geduld verloren haben. Der Sozialismus war ein Toast, der wunderbar schmecken würde, wenn er erst mal fertig getoastet ist.

Oder er freut sich einfach nur auf den Moment, in dem Ostdeutsche begreifen, wie das eigentlich mit dem Feuer funktioniert. Damit Harald Martenstein endlich den Toast bekommt, den er verdient.

Martenstein und Toast (2)

Harald Martenstein hat das ungetoastete Toast am 9. November 2017 wieder aufgegriffen. Der Anlass: Die Wut über seinen Toasttext habe alles übertroffen, was er kannte. Für einen selbst-zentrierten-reflektierten Kolumnisten wie ihn ein gefundenes Fressen! Und für uns erst recht:

Was Martenstein schreibt:

Deutsche Einheit, da kenne ich mich aus. Ich bin aus dem Westen, habe aber seit vielen Jahren einen Wohnsitz in Brandenburg.

Was Martenstein damit meint:

Ich bin hierher gezogen und damit automatisch Experte. Was können mir schon dahergelaufene Einheimische sagen, die nicht einmal das Feuer erfunden haben?

Was Martenstein schreibt:

Das einigermaßen belanglose Thema und der eher freundliche Duktus des Textes einerseits und die grundsätzliche Gekränktheit, die aus etlichen Briefen spricht, stehen in einem sonderbaren Missverhältnis.

Was Martenstein damit meint:

Gott, die Ossis sind ja noch dümmer und empfindlicher als ich dachte.

Was Martenstein schreibt:

Viele Briefe kamen aus Thüringen, dort scheinen die Toast-Verhältnisse tatsächlich andere zu sein. Ich war zu wohl zu sehr auf Brandenburg und die Ostsee fokussiert, da bitte ich um Pardon.

Was Martenstein damit meint:

DDR ist DDR ist Ostdeutschland. Sollen sich mal nicht so haben.

Was Martenstein schreibt:

Die Wut sucht geradezu nach Anlässen. Da kann man es als Wessi wohl nur noch dann richtig machen, wenn man gar nichts sagt.

Was Martenstein damit meint:

Und denen wollten wir ernsthaft das mit dem Feuer beibringen?

taz und tote Oma

Doch Harald Martenstein ist nicht der einzige, der das Thema Essen und Osten hochkochen lässt. In der taz hat Micha Brumlik am 6. November die Kolumne „Der Untergang der toten Oma“ verfasst. Der Text ist aus ostdeutscher Perspektive recht drollig, beschreibt er doch, wie ein weltgewandter Westdeutscher im Jahr 2017 erstmals mit einem Gericht namens „Tote Oma“ in Kontakt kommt. Und nicht nur das: Recherchen führen Brumlik zu „einschlägigen Websites zur Küche der DDR“, „Munchies“ und „netmoms“ heißen sie. Und so kann er anhand von zwei Internetseiten die gesamte DDR analysieren. Respekt!

Was Brumlik schreibt:

Somit liebte man in der DDR – womöglich kontraphobisch – das Ekelhafte. „Als ekelhaft“, so der noch immer zu wenig gewürdigte Philosoph Aurel Kolnai, „wird immer ein Ding empfunden, das nicht für voll genommen, nicht für wichtig gehalten wird: etwas, das man weder vernichtet noch flieht, sondern hinwegräumt.“

Was Brumlik damit meint:

Ossis sind echt eklig. Ich nehm die jedenfalls nicht für voll, nicht für wichtig.

Was Brumlik schreibt:

Wir werden bei der Analyse dieser Vorliebe einer nachnationalsozialistischen Gesellschaft an der Lust am Kannibalischen nicht vorbeikommen, ebenso wenig wie an dem in den fünfziger Jahren von ehemaligen FDJ-Mitgliedern geförderten Jugendwahn. Bildet doch eine andere Konserve derselben Produkt­reihe, nämlich „Schulküchentomatensoße“, ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit weißem Hemd und blauem FDJ-Halstuch ab, das mit soßenverschmiertem Mund fröhlich in die Welt schaut.

Was Brumlik damit meint:

Passt auf, im Osten essen sie Menschen! Das ist keine Soße, das ist Soylent Green! Alle in Sicherheit!

Übrigens erkannte die taz schon 2014: „Die DDR ging unter, weil das Essen schlecht war“. Man fragt sich allerdings, was die taz über ein Getränk namens „Tote Tante“ sagen würde. Das stammt immerhin aus Nordfriesland, wie wir auf der einschlägigen Website „herzelieb“ lernen.

Neues Deutschland und Jägerschnitzel

Auch im Neuen Deutschland kommt man am Speisenthema nicht vorbei. Simon Poelchau schreibt am 8. November über das „Jägerschnitzel“:

Besonders hoch ist die Fallhöhe zwischen westdeutschen Erwartungen und ostdeutschen Realitäten, wenn in solchen TINA-Mensen ein Essen angeboten wird, das in Ost wie West gleich beliebt ist: das Jägerschnitzel. Dem Wessi läuft schon beim Gedanken an ein schönes Stück unpaniertes Kalbsfleisch mit Pilzsauce das Wasser im Mund zusammen. Entsprechend muss er erst mal enttäuscht schlucken, wenn ihm ein Jägerschnitzel Ost vorgesetzt wird: ein paniertes Stück Jagdwurst mit Spirelli-Butternudeln und eben jener schweren Verbrauchertäuschung aus Ketchup, Mehlschwitze und ein bisschen abgelaufenem Oregano.

Was er damit meinen könnte:

Ostdeutsches. Essen. Ist. Furchtbar. Oder sind es die westdeutschen Erwartungen? Sieht doch keiner mehr durch. Zumindest nicht aus westdeutscher Perspektive.

Guten Appetit!

Vielen Dank an Anne und Mechthild für die Hinweise!