Heute lernen wir, wie ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat einen anderen Zusammenhang konstruiert.
Armstrong ist unheimlich strukturiert und hat sehr gut mit Anwälten zusammengearbeitet, vielleicht sogar Sportfunktionäre beeinflusst. Ähnlich strukturiert war das in der DDR, wo alles unter staatlicher Aufsicht gemacht wurde.
So wird Wilhelm Schänzer, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln, in diesen Tagen zitiert. Bei n‑tv, Sport1 und Focus Online wurde die Meldung des Sport-Informations-Dienstes (SID) verbreitet: Armstrong = Staatsdoping = DDR. Wer aber in die Videoaufnahme des SID-Interviews schaut, kann feststellen, dass der Vergleich von der interviewenden Person eingebracht wurde, nicht von Schänzer. Der Professor verweist auf die aktive Rolle des Sportlers, die bislang unterschätzt worden sei. Einen direkten Vergleich zwischen Armstrong und DDR zieht er nicht.
Aber egal. Wenn in den Medien das Wort „Doping“ fällt, ist der Dreiklang mit „Staatsdoping“ und „DDR“ nicht fern. In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geht es daher nicht nur um das Leben des Radprofis, sondern auch zu großen Teilen um den Sport in der DDR. Dies kulminiert im ultimativen Vergleich:
Die Manipulation der DDR war perfider, mit Kinder-Doping und all den detailliert dokumentierten, schrecklichen Nebenwirkungen in diesem Menschenversuch noch menschenverachtender. Aber nie zuvor hat ein einzelner Sportler den professionellen Zweig einer ganzen Sportart so beherrscht, ja am Leben erhalten.
Da wundert es nicht, dass Armstrong selbst sich zu diesem Vergleich äußert:
Ich habe die Doping-Kultur des Radsports nicht erfunden, aber auch nicht versucht, sie zu beenden. Der Sport zahlt den Preis dafür. Aber zu sagen, unser Programm sei größer gewesen als das der DDR in den 70er- und 80er-Jahren, das ist falsch.
Als einzelne Person einen ganzen Staatsapparat zu übertreffen, das wäre tatsächlich eine große Leistung gewesen. Aber vielleicht wäre es angebracht, über sinnvollere Vergleiche nachzudenken, wenn diese schon notwendig sein müssen. Kleiner Tipp: Doping wurde und wird auch außerhalb der DDR praktiziert. Und die Tour de France wäre in diesem Fall nicht unbedingt an den Haaren herbeigezogen gewesen.