Aktuelle DDR-Vergleiche #6 — Rundfunkgebühr

Das Verfahren kennt man aus der DDR, die „Solidarbeiträge“ zu erheben pflegte, wie es ihr passte. Damals wie heute hatte man keine Möglichkeit, auf die Verwendung des „Solidarbeitrags“ Einfluss zu nehmen. In einer Diktatur ist das evident, in einer Demokratie sollte das anders sein.

Vera Lengsfeld, ehemals DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordnete, regt sich im Handelsblatt über den neuen Rundfunkbeitrag auf. Vor 25 Jahren wurde sie aus der DDR abgeschoben, nachdem sie für mehr Meinungsfreiheit demonstriert hatte.

Update

Stefan Niggemeier nimmt die Argumentation von Lengsfeld auseinander und titelt: „Rundfunkbeitrag bald fast so schlimm wie Hitler“. Es stehen uns also noch viele lustige Vergleiche bevor.

„Bürgerrechtler“ 2

Mit das Schlimmste, was einer sozialen Bewegung passieren kann, ist es, wenn ihr die Selbstbezeichnung aberkannt wird und sie so von außen benannt und instrumentalisiert wird. So ist es mit den Protagonistinnen und Protagonisten der Bürgerrechtsbewegung der DDR im vereinten Deutschland geschehen.

Quatsch? Doch: Diejenigen, die Kritik an der Herrschaft in der Deutschen Demokratischen Republik übten, verstanden sich nämlich nicht als Bürgerrechtler — sie bezeichneten sich selbst als Opposition. Hans-Jochen Tschiche sagt dazu im Interview mit dem Freitag:

Ich bin kein Bürgerrechtler. Diesen Namen haben sie uns im Westen gegeben, das Wort kannte ich zu DDR-Zeiten gar nicht. […]

Durch die Kandidatur von Joachim Gauck höre ich es nun immerzu. Aber „Bürgerrechtler“ klingt für mich so, als hätten wir damals gewollt, dass alles so wird wie heute. […] Wir sind aber damals nicht nur für die Freiheitsrechte angetreten, sondern es ging uns um drei Dinge: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und wir vertraten eine grundsätzliche Kritik der modernen Industriegesellschaft.

Woher die neue Bezeichnung kam, kann ich nur vermuten: Sicherlich ist sie beeinflusst von den bekannten Bürgerrechtsbewegungen, vor allem dem civil rights movement in den USA unter Martin Luther King. Wahrscheinlich steckt auch die Vorstellung dahinter, dass nur Bürger für die eigenen Rechte auf die Straße gehen würden, nicht aber Arbeiter und Bauern — man beachte die doppelte Bedeutung von „Staatsbürgertum“ (alle Angehörigen eines Staates) und „Bürgertum“, das vor allem auf die Mittelschicht abhebt.

Unterschlagen wird dabei, dass es der Opposition in der DDR um Menschenrechte ging — es ging ihnen also nicht nur um eine Verbesserung der Zustände in der DDR allein. Man kann dies utopisch finden oder aber leugnen, dass dies notwendig gewesen wäre. Dies ist geschehen, indem sie als „Bürgerrechtler“ auf ihr eigenes Land beschränkt werden. Mit dieser Bezeichnung sieht es nun also so aus, als hätte die DDR-Opposition die BRD-Zustände haben wollen — und die Bundesrepublik kann sich so als das gelobte Land des Widerstandes inszenieren.

Das ist das vielleicht bitterste Ergebnis der oppositionellen Bewegung der DDR: Sie bekamen im Westen ein neues Label, mit dem sie sich überhaupt nicht identifizieren können und das ihre Ziele fehldeutet. Und das, was sie tatsächlich erreichte, wurde ebenfalls fremdbenannt und fremdgedeutet: Der Begriff „Wende“ stammt von Egon Krenz, erwähnt er ihn in seiner Antrittsrede am 18. Oktober 1989. (Update: Hier die vollständige Rede von Krenz mit dem entsprechenden Wortlaut als PDF. Zuvor habe ich auf diesen Text verwiesen. Dessen Autor Eckhard Jesse sollte allerdings mit Vorsicht gelesen werden, da er die in Politologenkreisen umstrittene Extremismustheorie mitbegründet hat und auch für eher rechtslastige Positionen bekannt ist.)

Mythos Gauck: Der Superossi 2

Die Medien überschlagen sich in ihren Beiträgen zu Joachim Gauck geradezu mit Lobeshymnen. Dabei fällt vieles unter den Tisch. Eine kleine Auswahl, wie der Präsidentschaftskandidat zum „Superossi“ (so Anja Meier in der taz),  zum „Heiland der westdeutschen Demokratie“ (Holger Witzel in seiner Glosse beim stern) oder zur „Bundes-Freiheitsstatue“ stilisiert wird — und was tatsächlich dran ist:

Alle wollen Gauck

So der Stimmungseindruck, der oft vermittelt wird — bis auf ein paar Internet-Verschwörungstheoretiker und die Linkspartei wollen ihn einfach alle. Dabei ist das gar nicht so eindeutig, so findet der stern in einer Umfrage heraus: Nur 62% der Ostdeutschen sind für Gauck. Eine Umfrage auf der Website des mdr war noch desaströser. Hier waren 78% gegen Gauck, das mag der Grund sein, warum der Sender plötzlich die Seite entfernt hat. Wie ernst man Umfragen auch nehmen mag: Im Osten ist Gauck offenbar nicht so beliebt, wie in den Medien gerne vermittelt wird.

Gauck litt in der DDR

Während der Spiegel ein Leben im Widerstand zeichnet, lassen sich auch andere Dinge finden. So erhielt Gauck einen VW-Transporter durch das Ministerium für Staatssicherheit gestellt und genoss weitere Privilegien, die für viele Menschen in der DDR nicht selbstverständlich waren. Leiden und Unterdrückung sieht anders aus.

Gauck war Bürgerrechtlicher

„Bürgerrechtlicher“ — das ist wohl das häufigste Stichwort, wenn es um Gauck geht. Und es wird selten geklärt, was damit gemeint ist. Dabei gibt es durchaus eine breite Bedeutung, wie sie der Theologe Friedrich Schorlemmer anbringt: „Bürgerrechtler ist man entweder immer – oder man ist es nie gewesen.“ Oder man kann ganz spezifisch diejenigen meinen, die gegen die Zustände in der DDR gearbeitet haben. Und da sieht es nicht mehr so gut für Joachim Gauck aus. Während viele in den Bürgerrechtsbewegungen verfolgt wurden, wartete der Pfarrer mit seinem Protest bis zur letzten Minute, tatsächlich hat er nie zur DDR-Opposition gehört.

Und es kommt Kritik von denen, die es am besten wissen müssen: Menschen aus der Opposition, die bereits Jahre vor dem Mauerfall auf einen ungewissen Ausgang hin arbeiteten: So findet Hans-Jochen Tschiche: „Gauck ist die falsche Person“. Man mag diese Kritik abtun und als alte Konflikte bezeichnen. Beeindruckend bleibt jedoch ein Offener Brief von 1999, von dem im Moment überhaupt nicht gesprochen wird. Unterzeichnet ist er von Judith Demba, Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Thomas Klein, Silvia Müller, Sebastian Pflugbeil, Christina Schenk, Reinhard Schult und Bettina Wegner und sie fordern:

„Vorerst aber sprechen wir Ihnen das Recht ab, sich auf uns zu berufen, wenn Sie über die Opposition in der DDR sprechen.“

Auch die Begründung für diese Forderung ist unbedingt lesenswert — zeigt sie doch, dass die Angehörigen der ehemaligen Opposition bei ihm nicht sehen, wofür er als Bürgerrechtler einstehen sollte: Bürgerrechte.

„Wir wollten nicht nur mehr Mitbestimmung, wir wollten Teilhabe und Selbstbestimmung. Wir wollten nicht nur die papierne Freiheit, sondern auch soziale Gerechtigkeit. Fragen Sie die vielen Arbeitslosen, fragen sie vor allem auch die Frauen aus der ehemaligen DDR, was sie von der Koexistenz von Meinungsfreiheit und Obdachlosigkeit, von Versammlungsfreiheit und Erwerbslosigkeit, von Reisefreiheit und Sozialhilfebedürftigkeit halten.“

Trotz all der Ungereimtheiten und der Widersprüche bleiben sie wichtige Fixpunkte bei der Mythenbildung um Joachim Gauck als Erlöser: Die Zustimmung im Volk, seine schwierige DDR-Zeit und seine Aktionen als Bürgerrechtler, die das Ende der DDR mit herbei führten.

Die Frage ist nur: Warum diese unkritische Beschäftigung mit dem Kandidaten für das Präsidialamt?

Wahrscheinlich ist: Gauck soll so sein, weil man so im Westen gerne die „guten“ Menschen aus der DDR sehen möchte: Eine schwierige Zeit in der Diktatur gehabt, aber für die Freiheit gekämpft. Und jetzt sollen sie die westlichen Werte von Freiheit und Verantwortung bitte schön lieben. Ganz so wie Joachim Gauck, der Superossi.

Ein paar Links via fefes Blog, ein paar andere von Anna, vielen Dank!