Aktuelle DDR-Vergleiche #13 — Queer Cinema

Anlässlich des Filmstarts von „Liberace — Zu viel des Guten ist wundervoll“ führte die Wochenzeitung „der Freitag“ ein Interview mit Jan Künemund. Mit dem Redakteur von Sissy („Magazin für den nicht-heterosexuellen Film“) sprach man über den Film von Steven Soderbergh und queere Filme allgemein. Ganz unerwartet kam da ein Einwurf von Matthias Dell, der das Interview führte:

Jan Künemund: Das Queer Cinema war immer auf eigene Vertriebswege angewiesen, auf eine eigene Art der Produktion, eigene Abspielorte. Ich weiß aber, dass es eine große Sehnsucht von Leuten gibt nach Partizipation. Die wollen ihre Schnitte abhaben: den schwulen James Bond. Das Mainstream-Narrativ ist so verwurzelt, dass Leute denken, solange es keine queere Geschichte in dieser Narration gibt, solange ist man gesamtgesellschaftlich nicht akzeptiert.

Der Freitag (Matthias Dell): Das ist wie der Minderwertigkeitskomplex der DDR, die sich gegen die BRD entworfen hat und trotzdem nach Anerkennung und Weltniveau gierte.

Die Argumentation ist sehr aufschlussreich: Die DDR wollte anders sein als die BRD und trotzdem anerkannt werden. Was bedeuten muss: Eine Abweichung von der BRD bringt prinzipiell eine Nicht-Anerkennung mit sich.

Erst wollt ihr anders sein und jetzt auch noch die gleichen Rechte? Pardon, ähnliche Argumente werden auch gegen die Gleichstellung der Homo-Ehe ins Feld geführt. Sie sind hier wie dort äußerst abstrus, weil sie die Verantwortung der Ungleichbehandlung an jene abschiebt, denen sie widerfährt. Mit dem Vorwurf des „Minderwertigkeitskomplex“, der beide Bereiche umklammert, wird es zudem aus der Welt des Faktischen ausgeschlossen: Ihr fühlt euch doch nur minderwertig, habt euch mal nicht so.

Dell entlarvt demnach nicht die Position des Queer Cinema oder der DDR-Führung (wie er es anscheinend gerne möchte), sondern die Haltung der Mehrheitsgesellschaft und wie sie mit diesen Standpunkten umgeht.

Selbstbilder in Zeiten von Doping und NSA

Dieser Sommer 2013 wird später einmal als der Sommer gelten, in dem westdeutsche Gewissheiten flöten gingen.

Beispiel Doping: Jahrzehntelang inszenierte sich die BRD als Land des sauberen Sports, indem sie mit dem Finger auf den Osten zeigte und dessen Sportler_innen mit sexistischen Vergleichen belegte.

Die anhaltende Diskussion um einen Forschungsbericht zu westdeutschem Doping belegt da eindrücklich, wie schwierig es ist, das eigene Weltbild an abweichende Erkenntnisse anzupassen. Immer wieder kommen Fragen auf: War es so schlimm wie in der DDR, hat man vielleicht nur anders gedopt — ja, ist es überhaupt vergleichbar? Dass man 2 deutsche Staaten miteinander vergleichen könne — diese Vorstellung bereit offenbar Angst. Wenn die eigene moralische Position davon bedroht wird.

Beipiel NSA: Jahrzehntelang inszenierte sich die BRD als ein freies Land, indem sie mit dem Finger auf den Osten zeigte und das Vorgehen der Stasi genüsslich ausweidete.

Jetzt ist nicht nur die Stasi seit 20 Jahren fort, unbemerkt von manch treuen BRD-Anhänger_innen. Nun steht auch die Erkenntnis ins Haus, dass im Westen ebenfalls umfassend Daten gesammelt werden. Auch bei diesem Thema wendet man sich gerne der Frage zu, ob dies denn mit der DDR vergleichbar wäre. Und auch hier wird abgewiegelt. Was zum einen erstaunt, sind doch bislang kaum ausreichend Erkenntnisse vorhanden. Zum anderen erfolgt es auf Basis gewagter Behauptungen: Das Abschöpfen von Metadaten ist etwa keineswegs datenschutzfreundlich — in Zeiten von Big Data reicht dieses Vorgehen vollkommen aus, um alle Informationen zu erhalten, die man als Geheimdienst so braucht bzw. haben möchte.

Mit Verweis auf die DDR entzieht man sich so der aktuellen Verantwortung und führt Alibi-Diskussionen. „Man kann es nicht vergleichen, dort war es aber schlimmer“ — mit dieser Haltung zeigt der Finger also weiterhin auf das vermeintlich Andere, anstatt an die eigene Nase zu fassen.

Passend dazu: Die aktuelle Kolumne „Schnauze Wessi“.

Aktuelle DDR-Vergleiche #12 — Bayreuth

Der in Ost-Berlin geborene Frank Castorf inszeniert in Bayreuth den „Ring des Nibelungen“ als 17-stündige Großproduktion. Und zugleich kritisiert er im Spiegel das Leitungsteam der Festspiele:

„Jeder von außen ist der Feind. Das ist pure DDR.“

Außerdem verglich er die Arbeit an der Aufführung mit „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Ob damit aber auch die TV-Soap und die DDR gleichgesetzt werden können, wurde nicht geklärt.

Aktuelle DDR-Vergleiche # 11 — Die Zonen-Bären 1

Im Berliner Stadtbezirk Mitte gibt es einen Bärenzwinger. Dort leben die Braunbärinnen Maxi und Schnute unter nicht ganz so „artgerechten“ Bedingungen, was auch schon länger kritisiert wird. Die taz hat nun erneute Bemühungen die Bärinnen umzusiedeln zum Anlass genommen, einen DDR-Vergleich anzubringen, der irgendwo zwischen lahm und dämlich angesiedelt ist:

Im Artikel Zonen-Bären hoffen auf Reisefreiheit ist zu lesen

„Seit ihrer Geburt in der DDR leben die beiden Bärinnen hinter einer Mauer in einem 480 Quadratmeter großen Zwinger…“

Ich habe ein wenig gerechnet. Seit 1990 gibt es bekanntermaßen die DDR nicht mehr. Die Zonen-Bärin Schnute ist jetzt 31 Jahre alt und lebt seit 23 in der BRD. Sie hat also acht Jahre ihres Lebens in der DDR verbracht. Die Zonen-Bärin Maxi ist 27 Jahre alt und hat damit ganze vier Jahre in der DDR und 23 Jahre in der BRD gelebt. In diesen 23 Jahren BRD hat sich für die beiden nicht viel geändert.

Die Verweise auf die Zone, die DDR, die Mauer und die Reisefreiheit erscheinen mit da sehr angemessen, lustig und geradezu sensationell-originell.
Ich hätte aber trotzdem einen Vorschlag für einen tagesaktuelleren Vergleich: BeBerlin-Bären hoffen auf Abschaffung der Residenzpflicht.

Aktuelle DDR-Vergleiche #10 — Mehmet Scholls Jacke

Jetzt wird es doch ein wenig absurd: Mehmet Scholl soll eine „Erich-Hoenecker-Gedächtnisjacke“ getragen haben. Das hat zumindest das Fußball-Magazin „11Freunde“ beobachtet und deshalb die Pressesprecherin des Berliner DDR-Museums interviewt.

Aber bevor die Enttäuschung groß ist: Die „Erich-Hoenecker-Gedächtnisjacke“ ist einfach nur eine Jacke, wie sie der Staatsratsvorsitzende getragen haben sollen könnte. Sagt „11Freunde“, das Fachmagazin für DDR-Mode.

Aktuelle DDR-Vergleiche #9 — SPD (Unternehmensberatung, CSU) 1

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat eine Parallele zwischen dem Wahlkampfmotto der SPD „Das Wir entscheidet“ und einer SED-Losung gezogen. In einer dpa-Meldung wird er folgendermaßen zitiert:

Unter dem Motto ‚Vom Ich zum Wir‘ verloren bis 1960 in der damaligen DDR 400 000 Bauern ihre Eigenständigkeit, 15 000 Bauern flohen in den Westen, 200 wählten den Freitod.  […] Es besorgt mich dieses Maß an mangelndem Geschichtsbewusstsein, dass wir schon vergessen haben, was passiert, wenn das Kollektiv Vorrang hat vor der einzelnen Persönlichkeit.

Doch warum in die Vergangenheit schweifen? „Vom ‚Ich‘ zum ‚Wir‘ “ wird auch in der Unternehmensberatung als Schlagwort genutzt. Schließlich sollen ja alle an einem Strang ziehen. Das weiß auch die CSU und hat das Wertebündnis Bayern vor einem Monat unter das Motto „Vom Ich zum Wir“ gestellt.

Das heißt also: Die CSU ist wie die SED. Sapperlot!

Aktuelle DDR-Vergleiche #8 — Philipp Rösler

„Was Rösler versucht, hat schon bei Honecker nicht geklappt. […] Wer ein Wunschbild von der Gesellschaft entwirft, das mit der Realität der Leute nichts zu tun hat, scheitert.“

So Monika Heinold, grüne Finanzministerin von Schleswig-Holstein.

Langweilig. Denn der HonRösler-Vergleich wurde bereits 2011 von der FDP-Basis gezogen. Und im vergangenen November kam die Reihe Armutsbericht/FDP/Honecker auch schon in der heute-Show vor. Aber was soll man machen: Honecker und Realitätsverlust sind ja quasi synonyme Begriffe.

Aktuelle DDR-Vergleiche #5 — Angela Merkel 1

Ich als Ossi darf so was sagen: Das Wahlergebnis [von Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag] war ja fast so wie bei Erich Honecker, fast 100%. Und dass die beide Ossis sind, will ich jetzt gar nicht als Vergleich heranziehen. Sondern: Was man bei der Regierung Merkel sieht, was man bei dieser Bundeskanzlerin sieht: Sie hat genau wie Erich Honecker den Kontakt zum Alltag der Leute, den Kontakt zur wirklichen Realität verloren.

Katrin Göring-Eckardt auf dem Landesparteitag der Grünen NRW zur Bundestagswahl 2013 am 7.12.2012 (im Video ab Minute 2:33)

Merke:

  1. Nur Ossis dürfen Ossis mit Ossis vergleichen Oder Staatsratsvorsitzende mit Bundeskanzlern. Oder Saarländer mit Hamburgerinnen. Oder Äpfel mit Birnen.
  2. Herkunft schlägt Parteizugehörigkeit, denn: Ein Vergleich von Merkel mit Helmut Kohl wäre vielleicht ähnlich (un)sinnig gewesen. Aber: Der ist als Rheinland-Pfälzer nun mal definitiv kein Ossi.
  3. So ein Vergleich wäre bei den Grünen gar nicht möglich. Na ja, vielleicht doch. Claudia Roth kann schließlich alles.

Aktuelle DDR-Vergleiche #4 — Europäische Union

Die DDR war ein zentralistisches System […] und wir erleben derzeit eine Europäische Union, die sich in vergleichbare Richtungen entwickelt.

Das meint Holger Krahmer und versteht es als Kritik an der Regulierungswut der EU. Krahmer ist FDP-Mitglied des Europäischen Parlaments und wurde in Leipzig geboren. Das Zitat stammt aus der ersten Folge von Entweder Broder — Die Europa-Safari, Minute 17:20.

Relative Unterschiede auf deutschen Ämtern

„Meine erste Station in Westdeutschland war Hamburg, das Thalia Theater. Das war eine schöne Zeit. Aber ich habe mich mitunter an den Osten erinnert gefühlt. Gehen Sie mal aufs Einwohnermeldeamt und füllen Sie das falsche Formular aus! So verschieden sind die Deutschen gar nicht.“

Jan-Josef Liefers im Interview mit der Zeitschrift „Für Sie“.