Das Jahrhunderthaus mit DDR und Problemen

Eigentlich hat das ZDF mit dem „Jahrhunderthaus“ vieles richtig gemacht. In dieser Dokumentation erlebt eine Durchschnittsfamilie die deutsche Alltagsgeschichte der letzten 100 Jahre. Im Zentrum des Mehrteilers stehen dabei die 20er, 50er und 70er Jahre. Und im Gegensatz zu anderen Beiträgen kommt auch die DDR-Geschichte vor. Doch da fangen die Probleme an.

Das „Auch“-Problem

In der Geschichte und im Alltag von Ost und West gab es viele Gemeinsamkeiten. Da sich das „Jahrhunderthaus“ vor allem an der westdeutschen Geschichte orientiert, folgt oft eine Ergänzung in der Form von „auch in der DDR …“. Dass dies zwangsläufig zu kuriosen Ergebnissen führt, zeigt dieser Zusammenschnitt:

Das Fakten-Problem

Ein Stilmittel dieser Dokumentation sind Zwischensequenzen, in denen die Jahrzehnte anhand von Zahlen verglichen werden. Das Durchschnittsgewicht kommt hier ebenso vor wie durchschnittliche Kosten und Löhne. Dabei handelt es sich in den 50er und 70er Jahren ausschließlich um Angaben aus der Bundesrepublik — klar erkennbar an der Deutschen Mark. Bei allen anderen Werten ist hingegen nie ersichtlich, ob sie sich auf Ost‑, West- oder Gesamtdeutschland beziehen.

Doch halt, eine Ausnahme gibt es: Beim Thema Alkohol werden die DDR-Bergarbeiter statistisch dargestellt. Und während die Beispiel-Person im Statistik-Teil stets stumm bleibt, ist sie hier überraschenderweise zu hören. Natürlich auf sächsisch, also in DDR-Sprache. Damit es auch alle verstehen.

Das Interview-Problem

Bei den Zeitzeugen ist die Dokumentation überraschend akkurat: 17 Westdeutsche und 5 Ostdeutsche entsprechen ziemlich genau dem Bevölkerungsverhältnis.

Schwieriger sind die Interviews mit den Expert_innen. Hier verzichtet das „Jahrhunderthaus“ im Gegensatz zu den Zeitzeugen auf eine Herkunftsangabe. Ganz so, als stünden sie außerhalb von Ost und West. Das ist besonders auffällig in einer Dokumentation, die durchaus Wert auf dieses Thema legt. Bei einem genaueren Blick wird aber klar: Keine dieser Personen stammt aus Ostdeutschland. Damit reproduziert der Film leider ein altes Muster: Expertise zu deutschen Themen wird wieder einmal nur Personen aus Westdeutschland zugesprochen.

Besonders kurios ist die von Michael Kessler gespielte Hauptrolle, die auch als Off-Kommentar zu hören ist: In einigen Spielszenen der ersten Staffel bekommt die Figur eine ostdeutsche Vergangenheit. Das wird aber nicht konsequent durchgehalten und in der zweiten Staffel völlig verworfen.

„Das Jahrhunderthaus“ — alle Folgen

IMfiziert #4: Amadeu-Antonio-Stiftung

Was kann man heute eigentlich richtig machen, wenn man inoffiziell mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet hat? Offenbar nicht viel. Anetta Kahane war 1974 bis 1982 IM, hat später gegen die DDR protestiert, ist ausgereist und hat 2004 offen über ihre Vergangenheit gesprochen. 1998 gründete sie die Amadeu-Antonio-Stiftung und gehört bis heute zu ihrem Vorstand. Die Stiftung möchte die Zivilgesellschaft in Deutschland gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus stärken.

Doch all das hilft nichts: 2007 fiel eine Diskussionsrunde der  Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen aus — mutmaßlicher Grund: Kahanes inzwischen 25 Jahre zurückliegende Tätigkeit.

Und heute, noch einmal 10 Jahre später: Rechtsextreme dringen in die Räume der Stiftung ein, sie tragen Stasi-Uniformen. Grund war eine Broschüre zu „Hetze gegen Flüchtlinge in Sozialen Medien“, die die Stiftung herausgebracht hatte. Die Organisation berät inzwischen Facebook, wenn es um rechte „Hasspostings“ geht. Einen direkten Einfluss hat sie nicht. Diese entscheidende Differenzierung wurde in medialen Darstellungen aber nicht vorgenommen, wie derStandard berichtet: Ein ZDF-Beitrag spricht von „Bespitzelung“, auf Twitter wird als Hashtag „SocialMediaStasi“ genutzt und die FAZ schreibt, dass man an Kahanes Stasi-Vergangenheit nicht herumkomme.

Ja, man kann vieles tun: Man kann gegen ein Land protestieren, man kann ausreisen, man kann die eigene Vergangenheit öffentlich kritisieren, eine zivilgesellschaftliche Gesellschaft gründen und sich gegen Hass im Netz engagieren. Aber richtig machen kann man es trotzdem nicht, wenn man als 19-jährige für die Stasi tätig war. Denn Godwin’s Law (Stasi-Edition) schlägt auf jeden Fall zu, wenn die Leute sich nicht inhaltlich mit deiner Position auseinander setzen wollen, sondern persönlich werden möchten.

Update 4.12.2016

Hubertus Knabe bestärkt im Focus die Vorwürfe gegen Anetta Kahane. Dass die Stiftung nur berät und nicht selbst entscheidet, erwähnt er nicht.

Watt’n das? 1

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung gibt es in Europa noch einige unentdeckte Gebiete. Doch Markus Lanz nimmt es auf sich, die weißen Flecke auf der Landkarte zu erforschen. Als investigativer Nahost-Experte fragte er also in der „Wetten dass“-Ausgabe vom 9.11.2013:

Waren Sie schon einmal so weit um Osten?
zitiert nach diepresse.com

Die Sendung fand in Halle (Saale) statt, die Frage ging an Lukas Podolski. Ja, an Lukas Podolski.

Es scheint, die Deutschlandkarte muss ein wenig überarbeitet werden: Irgendwo zwischen Ost- und Westdeutschland muss noch Polen hinein gequetscht werden. Und Halle schien ja bereits für den Deutschlandfunk den östlichsten Zipfel des bekannten Universums darzustellen.

Verdichtete Komplexitätsreduktion im ZDF

Gerade lief im ZDF der erste Teil des Fernsehfilms „Deckname Luna“, ein Film über die 60er Jahre in der DDR. Die Rezension der Berliner Zeitung schreibt dazu:

Die Autoren Monika Peetz und Christian Jeltsch wollten den Kalten Krieg und das Wettrüsten zu einem 60er-Jahre-Panorama zu verdichten.

In der Inszenierung scheint dies zu gelangen: Originalaufnahmen und Spielszenen werden geschickt montiert. Wie aber sind Peetz und Jeltsch zu einem dichten Panaroma gekommen, woher haben sie die Inspiration für das Zusammenspiel von Alltag und Gesellschaft genommen, um der Komplexität eines Landes gerecht zu werden?

Die Autoren Monika Peetz und Christian Jeltsch zählen den Besuch im Stasi-Gefängnis zu den wichtigsten Anregungen für ihr DDR-Bild der 60er Jahre.

Tja.

Die Medien und der Soli

Auf einwende haben wir ja die ganze leidige Soli-Debatte außen vorgelassen. Die heute-show kann das mediale Brimbamborium sowieso viel treffender aufzeigen.

Beiträge über klamme westdeutsche Kommunen werden jetzt immer mit extrem trauriger Musik unterlegt. Und wenn es um Kommunen im Osten geht, werden grundsätzlich nur die goldenen Dächer von Dresden gezeigt.

Was soll man auch sonst zu einem Thema sagen, dass zum Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen aufkommt und vor allem von Unwissen geprägt ist?

Reisen in Dunkeldeutschland 9

Vielleicht ist es einfach nur Zufall: In letzter Zeit werden ostdeutsche Themen oft literarisch verpackt. Ein kurzer Überblick:

Den Deutschen Buchpreis 2011 hat Eugen Ruge für seinen autobiographischen Roman erhalten: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“  schildert das Leben einer Familie in der DDR.

Im Zuge der „Wiederentdeckung“ der rechten Gewalt in Ostdeutschland schickte das ZDF Steven Uhly nach Jena. Uhly ist Schriftsteller und hat einen Roman geschrieben, in dem Neonazis Türken ermorden. Er wohnt in München, „sieht nicht deutsch aus“ (wie er selbst sagt) und hat Angst im Osten Deutschlands. Gegen diesen Beitrag der Kultursendung „kontraste“, in dem von der „ostdeutschen Angstzone“ gesprochen wird, ist bereits Kritik laut geworden. Am Ende des Beitrags hat sich Uhlys Blick auf den Osten Deutschland nicht gewandelt, er steht in der Abenddämmerung.

(Dieses Video wird wahrscheinlich bald aus der ZDF-Mediathek verschwinden — dann bleibt nur noch der Beitrag auf der Website von „kontraste“.)

In der Zeit schließlich gibt es einen Beitrag der Thriller-Autorin Claudia Puhlfürst über den „Horror, der Geschichte schreibt“. Die Schriftstellerin wohnt in Zwickau und fühle sich von der Realität überholt; sie vergleicht ihre Romanfiguren mit der beschaulichen Bürgerlichkeit Zwickaus. Sie stellt aber auch fest:

Die Tatorte aber liegen nicht in Zwickau, nicht mal in der Nähe, am „dichtesten“ dran ist Nürnberg, mehr als 200 Kilometer weit weg. „Zwickauer Zelle“?

Sie hätte schon hier die gesamte Voraussetzung für ihren Artikel überdenken können, aber vielleicht ist es diese Erkenntnis, durch die ihr Beitrag zur Debatte nicht ganz so dunkel erscheint. Vielleicht hilft eine literarische Verpackung bei aktuellen Debatten aber auch nur bedingt weiter.

Nachtrag 30.11.2011: Steven Uhly hat einen ausführlichen Text auf thueringer-allgemeine.de geschrieben — er beschreibt seine Erfahrungen beim Dreh des Beitrags und wie durch Schnitt, Bildersprache und Off-Kommentar Stimmung erzeugt wird. Und wie seine eigenen Erfahrungen mit dem Ostens Deutschlands auf das Gefühl der Angst reduziert worden sind. Ein wichtiger Grund für seine Angst sind Medienberichte über rassistische Vorfälle im Osten — und hier schließt sich der Kreis, wenn (westdeutsche) mediale Berichterstattung ihre eigenen Bilder zu bestätigen sucht und dabei auf Menschen trifft, die vor allem diese Bilder aus den Medien kennen. Nichts anderes hat meiner Ansicht nach der ZDF-Beitrag getan, in dem Uhly auftritt. Damit wird wieder einmal mit einer Außenperspektive auf rassistische Vorgänge im Osten geworfen, die stark homogenisiert und vereinfacht.

Vielen Dank auch an dieser Stelle nochmal an Urmila für die Diskussion zu diesem Beitrag, in der wir einige Punkte, die Steven Uhly in diesem Artikel anspricht, auch schon angerissen hatten.