„Eines empört mich: Dass in der Euro-Krise noch keiner gefragt hat, was man vom Osten lernen kann.“
Antje Hermenau, Fraktionsvorsitzende der Grünen im sächsischen Landtag, im Gespräch mit der ZEIT
Ganz so ist es nicht: Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, hat im Juni 2011 in der Financial Times auf die Ähnlichkeit zwischen der aktuellen Situation Griechenlands und der Situation der DDR Anfang 1990 hingewiesen. Seine Schlussfolgerung: „Griechenland heute fallen zu lassen birgt ähnliche Risiken, wie seinerzeit die DDR in den Staatskonkurs zu treiben.“
Und im Mai 2011 sagte Jean-Claude Juncker, Chef der Euro-Gruppe, dem Spiegel: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn unsere griechischen Freunde nach dem Vorbild der deutschen Treuhandanstalt eine regierungsunabhängige Privatisierungsagentur gründen würden.“ Allerdings kann man nicht oft genug darauf hinweisen, dass die Treuhandanstalt keineswegs das Ideal war, zu dem man streben sollte.
Offenbar ist es bei diesen Vorschlägen geblieben. Und überhaupt ist es schwierig mit historischen Vergleichen: Die DDR war nicht Griechenland, die Drachme ist nicht die Ostmark und die politischen wie wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich seit 1990 sowieso umfassend geändert. Politik sollte keine geschichtliche Rückschau bieten, sondern aktuelle Lösungen für aktuelle Probleme.
Was läge also näher, als auf westeuropäische Erfahrungen von 1948 zurück zu greifen? Der Marshallplan schien plötzlich die einzige Möglichkeit, die wirtschaftliche Situation zu fassen:
- Ein Marshallplan für Griechenland (Focus, 22.05.2011)
- Marshall-Plan für ein marodes Land (Süddeutsche, 21.05.2011)
- „Wo ist der Marshallplan für Griechenland?“ (Spiegel, 26.01.2012)
- Ein Marshallplan ist mühsame Kleinarbeit (WDR, 15.02.2012)
- „Griechenland braucht einen Marshall-Plan“ (Handelsblatt, 21.02.2012)
- Bloß keinen Marshallplan für Griechenland! (Zeit, 06.03.2012)
- Griechenland braucht einen Marshallplan (FAZ, 12.03.2012)
- Hans-Werner Sinn: „Tatsächlich hat Griechenland 116 Marshallpläne erhalten.“ (FAZ, 12.06.2012)
Manchmal möchte ich die politisch Verantwortlichen und die Medien bei ihrer Einfallslosigkeit einfach nur bedauern …
Immer wieder meine volle Zustimmung zu euren Artikeln. Euer Blog gibt mir Halt, denn selten sind die geworden, die selbstständig denken, die nachfragen… Jeder, der eure Artikel nicht verfolgt, hat sie nicht alle beisammen! ;)
Zur Treuhand habe ich etwas zu sagen:
http://antilobby.wordpress.com/2012/06/29/die-annexion-der-ddr-fust-auf-in-50ern-ausgearbeiteten-plan/
Möchte noch etwas dazu sagen. Obwohl ich wirtschaftliche Themen eigentlich nicht mag, weil diese heutige deutsche Gesellschaft keine anderen Maßstäbe außer wirtschaftliche zu kennen scheint.
Die DDR war nicht bankrott. 1999 gab die Deutsche Bundesbank einen Bericht über die Zahlungsbilanz der DDR heraus. Es ergibt sich aus dem Bericht auch, dass sie weitaus besser gestellt war als es alle führenden kapitalistischen Staaten heute sind. Die DDR hatte Probleme, aber sie war weit entfernt von Zahlungsunfähigkeit, sowohl im In- als auch im Ausland. http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Statistiken/Aussenwirtschaft/Zahlungsbilanz/zahlungsbilanz_ddr.pdf?__blob=publicationFile
Jetzt folgt ein ignoranter, unwissenschaftlicher Absatz, den ich dennoch loswerden möchte.
Es wird behauptet, die wirtschaftliche Situation in den neuen BL hätte sich verbessert. Das stimmt, wenn man sich auf den Zeitraum von der Währungsunion 1990 bis heute, also statistisch 2011 bezieht. Es stimmt nicht, wenn man die heutige Situation der Ostdeutschen (an dieser Stelle meine ich damit die Kultur, also alle vor 1989 in der DDR Geborenen und deren Nachkommen, sofern sie noch auf ostdeutschem Boden leben) mit der Situation der Ostdeutschen vor 1989 vergleicht. Und auch hier muss ich die Kriterien erklären, denn man könnte sagen, im Gegensatz zu durchschnittlich rund 800 Volksmark Monatseinkommen stehen selbst HartzIV-Empfänger heute wie Könige da.
Heute wird den offiziell rund >10% Arbeitslosen vorgeschrieben, wie sie zu leben haben und ihnen ein Taschengeld, so nenne ich es mal, von ~350 Euro ausgezahlt (ist das richtig?). Davon müssen sie Strom, Gas, Nahrungs- und Bedarfsmittel bezahlen. Den weiteren ~35 – 45% Niedriglöhnern wird ein Gehalt von ~600 – 800 Euro ausgezahlt, das sie oft mit HartzIV aufstocken. Dann fehlen mir die Zahlen, wie viele Ostdeutsche in den Gehaltsklassen zwischen 800 und 1.600 oder 1.800 Euro beschäftigt sind. Es kann jedenfalls nur eine sehr kleine Elite in Führungspostionen beschäftigt sein, denn die sind zu 70% von Westdeutschen besetzt. Wie es mit den Renten aussieht, weiß ich nicht.
Von 800 Volksmark hat man höchstens 40M für die Miete ausgegeben, ein Brötchen kostete 5 Pfennige, dafür konnte man für eine Dose Ananas schon mal 12M hinlegen. Schulbücher kosteten 2,20M, ein Aufkleber dagegen 1,60M. Sind das nicht ordentliche Preisverhältnisse? Was man wirklich braucht, kostet wenig, was Genuss bringt, kostet viel. Jedenfalls sind 800 Mark bei solchen Verhältnissen viel Geld, und die durchschnittlichen Ersparnisse der DDR-Bürger lagen bei rund 10.000M. Das finde ich viel, und es ist ganz sicher mehr als die Leute heute haben.
Heute geben die Menschen von, sagen wir 1000 Euro rund 500 für Wohnung, Strom, Gas, Wasser, etc aus. Ein Schulbuch kostet mindestens 25 Euro und ein Brötchen mindestens 15 Cent.
Meine Rechnungen sind natürlich vollkommen ignorant und nicht zu verantworten. Mir geht es auch nicht um wirtschaftlichen Erfolg, sondern ich frage nach dem Glück der Menschen in ihrem Leben. Da ich ja Sozialist bin, bin ich auch parteiisch. Mir ist eine Gesellschaft lieber, in der Gerechtigkeit herrscht und in der auch Gerechtigkeit gelehrt und anerzogen wird. Viel lieber als die heutige Gesellschaft, in der das Weihnachtsgeschenk beinahe als Zeichen von Liebe gilt, nicht etwa die Zuneigung selbst, die Aufmerksamkeit und das Zuhören zum Beispiel.
Ich kann dazu nicht viel sagen, weil ich mich in wirtschaftlichen Dingen nicht gut genug auskenne. Laut der Frontal21-Doku, den ich oben zur Treuhand verlinkt habe, gab es in der DDR ein grundsätzlich anderes System, mit Schulden von Betrieben beim Staat umzugehen. Das war der zentralen Planwirtschaft geschuldet, führte aber dazu, dass die DDR und ihre Betriebe aus der Sicht einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft als pleite gelten mussten. So gesehen fingen hier die Missverständnisse wohl an…
Und um das etwas zurück zum Thema des Beitrags zu bringen: Wie sähen diese Rechnungen für Griechenland aus? Und lässt sich das, was nun als Unterstützung kommt, mit dem Marshallplan oder mit der Treuhand vergleichen — oder ist es völlig unvergleichbar? Werden die Erfahrungen mit jenen Geschehnissen genutzt, um sinnlose oder auch schädliche Aktionen möglichst zu vermeiden?
Wie gesagt, ich kann das absolut nicht einschätzen. Da finde ich es fast schon beruhigend, dass man an den entscheidenden Stellen offenbar auch keine Ahnung hat. ;)