DDR-Frauen, Missbrauch, Verunsicherung

Frisch aus den Medien: Drei aktuelle Beiträge zur Darstellung und Wahrnehmung Ostdeutschlands in der Öffentlichkeit.

Kaum sichtbar: Die Erfahrungen von Frauen aus der DDR

In ihrem aktuellen Film porträtiert Sabine Michel aus Dresden die Politikerinnen Manuela Schwesig, Yvonne Magwas, Anke Domscheit-Berg und Frauke Petry. Bei saechsische.de sagt sie im Interview:

In der DDR sozialisierte Frauen haben natürlich andere Erfahrungen gemacht, und ich würde mir wünschen, dass eben diese Erfahrungen stärkere Bestandteile im gesellschaftlichen Diskurs wäre. Und das es tiefer im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert wäre, dass die DDR ein Gleichstellungsexperiment durchgeführt hat, in der vieles für Frauen nachweislich besser funktioniert hat, anderes aber auch nicht. Zum Beispiel gab es in der DDR dadurch, dass die allermeisten Frauen in Vollzeit gearbeitet und sich zusätzlich um die Erziehung gekümmert haben, eine Mehrfachbelastung. Das Problem hat auch unsere heutige Gesellschaft nicht gelöst: Menschen mit Kindern sind strukturell benachteiligt, finanziell, zeitlich und karrieremäßig.

Tabu-Thema: Sexueller Missbrauch in Kliniken der DDR

Unter dem Vorwand, sie litten unter sexuell übertragen Krankheiten wurden in der DDR tausende Frauen in Kliniken eingewiesen — und misshandelt. Die Deutsche Welle nimmt sich des Themas an:

Es ist schwierig, genau zu beziffern, wie viele Frauen und Mädchen solche Torturen erlitten. Die Zahl geht in die Tausende — bis zu 5.000 allein in der Stadt Halle. Während die weit verbreiteten Misshandlungen in den Kinderheimen und so genannten Jugendwerkhöfen der DDR gut erforscht und dokumentiert sind, ist über die Vorgänge in den „Venerologischen Stationen“ nur wenig bekannt.

„Es ist ein besonders dunkles Kapitel der Geschichte. Niemand will wirklich davon hören“, sagt Christine Bergmann, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und die einzige Person in der Kommission, die in der DDR geboren und aufgewachsen ist.

Verunsicherungen im Osten – jetzt auch im Westen

Die Überschrift des Artikels auf 24rhein hat einen reinen Ost-Fokus („Warum viele Ostdeutsche so verunsichert sind – und damit anfällig für Extremismus“) — macht dann aber einen überraschenden Schwenk auf Westdeutschland: 

Man hat sich dran gewöhnt: Der Westen Deutschlands ist der Motor von Entwicklungen, hier spielt die Musik, wird Wohlstand generiert, Zukunft gestaltet. Der Osten? Na ja, hinkt halt hinterher, immer davon bedroht, abgehängt zu werden. Doch in einem Bereich verzeichnen wir seit Jahren eine Schubumkehr, hier geht der Osten voran, setzt den Trend:

Mit dem wachsenden Erfolg der AfD haben die sogenannten Neuen Länder eine Lokomotivfunktion, dort ist die selbsternannte Alternative für Deutschland über weite Strecken schon Volkspartei.

„Vor 33 Jahren sind die damaligen DDR-Bürger in einen Zug nach Deutschland eingestiegen, aber viele sind da nie angekommen“, beschreibt Sergej Lochthofen die Entwicklung mit einem Bild. … Die veränderte Wirklichkeit habe diejenigen Teile der Bevölkerung überfordert, für die Sicherheit und Überschaubarkeit vor Freiheit rangierten, die in Demokratie und offener Gesellschaft eher eine Bedrohung sähen. Ihre Prägung durch den DDR-Staat habe sie zudem anfällig für autoritäre Muster gemacht, für rechtspopulistisches und rechtsextremes Gedankengut.

Möglicherweise erleben wir im Westen gerade – zeitverzögert – auch eine große Verunsicherung. Die Welt, wie wir sie vielleicht in der Kindheit wahrgenommen haben, löst sich auf. … Da kommt ein politisches Angebot wie das der AfD gerade recht, verspricht es doch, eine unrealistisch verklärte Vergangenheit wieder herzustellen: Ohne Globalisierung und Migration, hierarchisch geordnet, sozial gesichert. Schon ein flüchtiger Blick in Archive zeigt, dass es eine solche Vergangenheit nie gab – außer in Bullerbü.

„Wessi-Brille“

Erst kürzlich schrieb Sophie Passmann über ihre westdeutsche Sicht auf den Osten Deutschlands, nun zieht Agatha Kremplewski in der Huffington Post nach. Sie schreibt über ihre Erlebnisse in Görlitz, denn es war ihr „erster Ausflug in den Osten“. Wie in einem Drehbuch folgt sie dabei den gleichen Schritten wie Passmann:

1. Die gelernten Stereotype wiederholen:

Drüben ist es irgendwie ärmlicher als bei uns. Das wussten wir aus Witzen über “Dunkeldeutschland”, über den sächselnden Ossi, der mit dem Trabbi über die Grenze brettert, von Sprüchen wie: “Wir hatten doch nüscht.” […] Naja, und im Osten sitzen halt die Nazis. Das ist ja klar.

2. Die Klischees entdecken:

Deswegen ist es wohl kein Wunder, dass ich schon beim Eintreffen in Görlitz nach Spuren für oder gegen Rechtsradikale suche und mir, neben den wunderschönen Jugendstil-Gebäuden und nahezu menschenleeren Straßen, als erstes der Stromkasten mit dem Spruch gegen Nazis auffällt.

3. Ganz selbstkritisch mit sich selbst umgehen:

Gleichzeitig stelle ich fest: Ich schaue wieder durch meine Wessi-Brille und suche geradezu nach bedrohlichen Spuren von politischem Radikalismus. […] Dass viel näherliegende Städte wie zum Beispiel Dortmund über eine sehr aktive Neonaziszene verfügen, hatten wir irgendwie nicht so auf dem Schirm, oder vielleicht haben wir uns den Osten nur einfach noch viel schlimmer vorgestellt […].

4. Am Ende einen versöhnlichen Schluss ziehen:

Wie schön ist es doch, sich als Wessi darauf verlassen zu können: Da drüben ist alles kacke. Wie schön ist es doch, sich als Ossi darauf verlassen zu können: Da drüben sind alle Snobs.

Die Wessi-Brille in Journalismus und Politik

Die beiden Autorinnen sind da nicht allein. Bei ze.tt schrieb Seyda Kurt im Oktober 2018 ebenfalls darüber, wie ihr unhinterfragter westdeutscher Blick ganz reale Folgen für ihre journalistische Arbeit hat:

Und ich habe eine westdeutsche Sicht auf diese Gesellschaft angelernt bekommen und als Standard angelegt. (…) Wir Journalist*innen arbeiten uns in Dauerschleife an dem Bild der verkorksten Ossis ab, sodass wir nicht im Ansatz so weit sind, die Vielfalt an Lebensrealitäten sichtbar zu machen, die es dort gab und gibt.

Diese neue Selbstkritik gibt es nicht nur im Journalismus — auch in der Politik fasst sie Fuß. So verweist Claudia Müller auf die West-Brille innerhalb von Bündnis 90 / Die Grünen. Sie koordiniert die Gruppe ostdeutscher Grünen-Bundestagsabgeordneter — sieben von 64 insgesamt — und meint:

Bündnis 90 ist den Grünen nicht beigetreten, wir haben uns vereinigt – das verpflichtet zu einer gemeinsamen Perspektive. […] Wir Grüne dürfen den westdeutschen Blick auf Land und Leute nicht mit einem gesamtdeutschen verwechseln – die ostdeutsche Perspektive fehlt oft.

Auch bei den Sozialdemokraten kommen prominente Mitglieder aus dem Osten zu dem Schluss: Zu häufig herrsche auch in der SPD Partei ein „Westblick“. Die Ost-SPD soll „wieder stärker Interessen, Botschaften und Visionen aus ostdeutscher Sicht einbringen“, fordert etwa Manuela Schwesig.

Weg vom Toastbrot-Journalismus!

Ja, die Zeiten sind hoffentlich vorbei, in denen Redaktionen anhand von Toastbrot über Ostdeutschland befinden und das als Journalismus verstehen. Das liegt auch an Chefredaktionen, die nun ostdeutscher werden — und das ganz selbstbewusst. So schrieb ze.tt-Chefin Marieke Reimann unter der Überschrift „Mehr Ossis in die Medien, bitte!“:

Ich arbeite seit 15 Jahren im deutschen Journalismus und war in jeder Redaktion, in der ich schrieb, die einzige oder eine von sehr wenigen Ostdeutschen. […]

Es [sollte] Anspruch und Aufgabe eines gesamtdeutschen Journalismus sein, ein – einheitliches – Bild aller Ecken unseres Landes zu präsentieren und für eine ausgewogene Berichterstattung zu sorgen. Dann bin ich vielleicht in einigen Jahren nicht mehr eine von ganz wenigen ostdeutschen Chefredakteur*innen Deutschlands.

Die ostdeutsche Herkunft der Chefredakteurin ist den Themen des Portals durchaus anzumerken. Ähnliches bei anderen Portalen unter Ost-Leitung: So hatte Juliane Leopold als Chefredakteurin bei BuzzFeed durchaus progressiv Ostthemen platziert, inzwischen ist sie Leiterin von tagesschau.de. Auch das langjährige Engagement der „Zeit im Osten“ lässt die alte Dame Zeit auf dem Ost-Auge wieder besser sehen.

Und weil die ostdeutschen Journalist*innen ja nicht alles selbst machen können: Wie gut, dass im Westen die eigene Sehschwäche gesehen wird. Denn eine neue Brille ist immer eine gute Idee!

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Das DDR-Bild in den Medien

Am 7.6.2016 lud der Berliner Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen zu einer Podiumsdiskussion: Wie wird die DDR medial dargestellt? Die Berliner Zeitung berichtet davon.

Unter anderem kritisierte in der fast ausschließlich westdeutschen Runde Jakob Augstein, Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung Freitag, dass „wir uns im Westen auf ein offizielles Erinnern an die DDR verständigt haben“.

Rechtsextrem! Ostdeutsch! Studie! #3

Erschreckende Zahlen präsentiert die Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic. Lassen wir die Überschriften sprechen:

Nun mag man sich fragen, seit wann Nordrhein-Westfalen zu Ostdeutschland gehört. Die Antwort ist ganz einfach: In der Antwort wird zwischen rassistischen Gewalttaten und rechtsextrem motivierten Gewalttaten unterschieden. Das mag spitzfindig klingen, führt aber zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. 2014 wurden bundesweit 130 rassistische Gewalttaten gezählt, davon 61 in den neuen Bundesländern inklusive Berlin: Also fast die Hälfte im Osten Deutschlands.

Bei den rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten wurden 1029 registriert. Hier führt Nordrhein-Westfalen die Liste mit 370 Vorfällen an, gefolgt von Berlin mit 111, Sachsen mit 86, Brandenburg mit 73, Bayern mit 68, Thüringen mit 57, Niedersachsen mit 54 und Sachsen-Anhalt mit 47. In Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen leben jeweils mehr Menschen als in den ostdeutschen Bundesländern.

Was lässt sich aus den Zahlen also lesen? Nichts? Nun ja: Von Rechten verübte Gewalt ist ein gesamtdeutsches Problem, auch wenn die Schlagzeilen anderes vermuten lassen. Und: Diese Gewalt wird vor allem dort erkannt, wo es dafür ausgelegte Strukturen gibt — es dürfte kein Zufall sein, dass die hohen Zahlen aus eben jenen Bundesländern kommen, in denen es viele Beratungs- und Meldestellen gibt. Dies ist in den Ost-Bundesländern und NRW der Fall, wie die Deutsche Welle meldet. Über die Zahlen in Westdeutschland gibt es also streng genommen keine vergleichbaren Aussagen.

So ist es kein Wunder, wenn Irene Mihalic die ihr gemeldeten Zahlen bezweifelt:

„Es gibt Grund zu der Annahme, dass die bisher vorgelegten Fallzahlen nur einen Bruchteil der rechts motivierten Kriminalität in Deutschland widerspiegeln.“

Pegida: Mit Westfernsehen wär das nicht passiert

Wie lässt sich Pegida erklären? Woher kommt diese Bewegung? Dazu ist in den letzten Wochen schon sehr viel gesagt worden. Doch nun hat der Historiker Heinrich August Winkler die wohl nachvollziehbarste Erklärung gefunden: Fehlendes Westfernsehen! Das zumindest sagte er am 17.1. der Wirtschaftswoche:

Das sogenannte „Tal der Ahnungslosen“. Das wirkt bis heute nach.

Bereits zwei Tage zuvor argumentierte der West-Verfechter („Der lange Weg nach Westen“ heißt seine monumentale Darstellung deutscher Geschichte) gegenüber Deutschlandradio Kultur:

Da ist ja das eigentümliche, dass gerade dort in der Region der ehemaligen DDR, wo man jahrzehntelang kein Westfernsehen empfangen konnte, offenbar auch SED-Parolen besonders stark nachwirken im Sinne eines massiven Anti-Klerikalismus nicht nur, sondern im Sinne einer Negation von Religion schlechthin. Insofern ist es eine Perversion, wenn da der Begriff „Abendland“ benutzt wird.

Das ist fürwahr eigentümlich: Da konnte der Westen seit 25 Jahren sein Programm ungehindert in das Tal senden — und kommt trotzdem nicht gegen alte Klassenkampf-Parolen an. Verdammt aber auch. Da ist es wohl nur logisch, dass Pegida — selbsternanntes Bollwerk des sogenannten Abendlandes — als letztlich anti-westlich dasteht. Pegida als westliche Sicht auf die Welt — das darf einfach nicht sein!

Doch halt: Pegida steht Winkler zufolge nicht nur in einer Tradition mit der SED, sondern auch — ja, man ahnt es bereits:

Es sei kein Zufall, dass sich ausgerechnet dort eine zutiefst antiwestliche Bewegung formiert habe. Sie knüpfe an die Ressentiments und Vorbehalte der Deutschen gegenüber der westlichen Demokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts an. Dem Pluralismus der westlichen Zivilisation hielt man damals die Verherrlichung eines starken Staates entgegen. Winklers Fazit: „An diese Denktradition, die ganz wesentlich zur Zerstörung der Weimarer Republik beigetragen hat, knüpfen die Initiatoren der Dresdner Demonstrationen an.“ (Wirtschaftswoche)

Was lernen wir daraus? Hätte es 1933 bereits Westfernsehen gegeben, hätte es keine Nazis gegeben. Und keine SED. Und keine Pegida. Manchmal kann es halt so einfach sein. Wenn man ahnungslos ist.

Presseschau: 9. November 2014

Der 9. November 2014 geht zu Ende — wie wurden die Tageszeitungen zu diesem Termin gestaltet? Hier ein Überblick darüber, wie ein paar ausgewählte Blätter in ihren regulären Samstagsausgaben vom 8. November 2014 mit dem Jahrestag umgegangen sind.

Berliner Zeitung

Titel

Ein großformartiges Foto, mehr nicht. Ein passender Auftakt: Das Thema 25 Jahre Mauerfall hat die Ausgabe auf 72 Seiten völlig in Beschlag genommen – aktuelle Meldungen haben nur auf 8 Seiten Platz gefunden.

Die beste Idee

Eine Zeitleiste von Januar 1989 bis heute, Beiträge von Prominenten und Entscheidungsträger_innen, Ost und West in vielen statistischen Vergleichen, Artikel zu verschiedenen Aspekten: Das Gesamtkonzept dieser Ausgabe ist beeindruckend.

Die doofste Idee

Wer Beiträge von Prominenten und Entscheidungsträger_innen schreiben lässt, kommt zwangsläufig zu einem starken Westblick. Und zu vielen „Ich habe vom Mauerfall gehört“-Sätzen, die nicht so recht in diese Ausgabe passen.

Die beste Erkenntnis

„Die gesamtdeutsche Sportgeschichte seit der Wende ist mehr als die Zusammenführung zweier Dopingsysteme.“

Der doofste Erkenntnis

„Die Deutsche Einheit […] habe ich in Hamburg erlebt […]. Wir waren am Abend mit Freunden zusammen, als wir einen Anruf bekamen: ‚Macht doch mal den Fernseher an, die Mauer ist auf.‘“ Hartmut Mehdorn kann leider nicht den 9. November und 3. Oktober auseinander halten.

Die Welt

Titel

Ein Paar umarmt sich am Grenzübergang Bornholmer Straße. Die Überschrift: „Das Lachen einer Novembernacht“. Die Lyrikabteilung der Welt schlägt zu.

Die beste Idee

Wie ist es eigentlich zur Meldung gekommen, die Schabowski in der Pressekonferenz präsentiert hat? Eine umfangreiche Infografik zeichnet den Weg von 9 Uhr morgens bis 20 Uhr abends nach. Einziger Kritikpunkt: Gezeichnet sieht Egon Krenz aus wie Prinz Charles.

Die doofste Idee

Eine halbe Seite zu Biermanns Frotzeln gegen die Linkspartei ist zu viel Aufmerksamkeit für eine vorhersagbare Episode.

Die beste Erkenntnis

Ostdeutsche steigen eher durch eigene Anstrengungen auf. Einkommen und Status der Eltern im Westen haben einen deutlich größeren Einfluss.

Der doofste Erkenntnis

Am 9. 11. 1989 hat die Bild am Sonntag das „Goldene Lenkrad“ in Berlin verliehen. Auch Friede Springer war dabei, wie das groß abgedruckte Foto dokumentiert. Weltgeschichte!

taz

Titel

Honeckers Wachsfigur, Überschrift: „War da was?“ Die taz kann sich nicht erinnern und kann die Realität nicht von Bildern unterscheiden. Ein Problem, das sich durch die gesamte Ausgabe zieht. So gesehen ein sehr konsequenter Titel.

Die beste Idee

Verschiedene Tagebucheinträge vom 8. und 9. November stehen nebeneinander. Leider haben in den meisten Fällen irgendwelche Westdeutschen nur im Fernsehen davon gehört, was dann im Tagebuch doch nicht so spannend ist. Aber es geht hier ja um die Idee.

Die doofste Idee

Ein zweiseitiges Interview mit Felix Loch, achtfachem Weltmeister im Rennrodeln zum Thema Mauerfall – warum nicht? Vielleicht, weil er damals nicht einmal 4 Monate alt war? Entsprechend absurd sind die Fragen: Haben Sie einmal eine DDR-Fahne gehalten? Wann erfuhren Sie zum ersten Mal von der Mauer? Und ganz oft wird gefragt, was die Eltern gesagt und getan haben. Diese Vorgehensweise wurde bislang ja eher der Spitzelei der DDR vorgeworfen.

Die beste Erkenntnis

Einwanderer und ihre Kinder waren die eigentlichen Wendeverlierer. „So werden Ostdeutsche und Einwanderer auch gegeneinander ausgespielt. Hier der rassistische und autoritätshörige Ostdeutsche, da der integrationsunwillige und aggressive Migrant – diese Stereotype waren und sind für viele Westdeutsche sehr bequem […].“

Der doofste Erkenntnis

„Wohnungen sind knapp und teuer. Wenn es einen Ort gibt, an dem das zusammenwächst, was zuvor 40 Jahre getrennt war, dann hier. […] Reich, arm, Westen, Osten. Wäre Potsdam ein Film, das Drehbuch wäre ziemlich platt.“ Zum Glück machen sie bei der taz nur Zeitung.

Und noch was: „Die DDR ging unter, weil das Essen schlecht war.“ Das ist nicht mal so ironisch gemeint, wie es klingt.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Titel

Falls es noch Zweifel gab: „Die Mauer ist offen“. Eine Abbildung zeigt ein Faksimile des FAZ-Titels vom 12. November 1989. Näher kommt man dem Ereignis in Frankfurt offenbar nicht, eine Handvoll Artikel sind in der Ausgabe verstreut.

Die beste Idee

Eine Ausgabe zum Mauerfall ganz ohne Mauererlebnisse und ohne Menschen, die am Abend irgendetwas damit zu tun hatten oder irgendwie davon gehört hatten: Das ist zumindest mutig. Aber dafür gibt es ein großes Foto von Helmut Kohl, wie er eine Rede hält, passend zu einem Artikel darüber, was Helmut Kohl an jenen Tagen so getrieben hat.

Die doofste Idee

In vier (4!) Artikeln wird Biermanns Auftritt im Bundestag behandelt, zwei davon auf der Titelseite. In einem weiteren Text wird sein Wirken in mehreren Absätzen bejubelt. Da wirkt die Welt-Lösung ja geradezu bescheiden.

Die beste Erkenntnis

Günter Schabowski reiste nach 1990 durch ganz Deutschland: „Seine journalistische Ausbildung kam ihm dabei ebenso zugute wie der exotische Reiz eines geläuterten Kommunisten.“

Der doofste Erkenntnis

„Die DDR ist weniger an fehlender Meinungs- und Reisefreiheit gescheitert als am fehlenden ökonomischen Erfolg der staatlichen Kollektive.“

 

Bullshit-Bingo: Der ultimativ-mediale Blick auf den Osten

Bullshit-Bingo: Der ultimativ-mediale Blick auf den Osten

Das Jubiläumsjahr zu 25 Jahren Mauerfall kocht dem Höhepunkt entgegen — Zeit für ein Spiel!

Denn inzwischen kommt man kaum noch an Geschichten über die DDR und ihr Ende vorbei. Es werden so viele Zeitzeugen porträtiert, dass man kaum noch weiß, wer dazu noch nicht befragt wurde. Überhaupt: Seit Anfang des Jahres schlängeln sich Geschichten durch die Gazetten, dass man gar nicht mehr weiß, was man überhaupt noch wissen wollen würde. Wenn nicht sowieso noch mehr kommen würde. Gründliche Recherchen stehen da neben gründlich aus dem Finger-Gesaugtem. Die „Zeit im Osten“ hat deshalb schon im Juni einige Tipps und Vorahnungen zum Feierjahr gegeben.

Nutzen wir also den Umstand und spielen ein wenig Bullshit-Bingo. Die Regeln:

  1. Bullshit-Bingo: Der ultimativ-mediale Blick auf den Osten ausdrucken und bereit legen
  2. Immer wenn eine Phrase oder ein Ereignis aus der Tabelle eintrifft: Ankreuzen! Dabei ist es völlig egal, ob es in Print‑, Radio‑, TV- oder Online-Beiträgen geschieht.
  3. Wenn eine Reihe (senkrecht, horizontal, diagonal) voll ist: „Bullshit!“ rufen.
  4. Bonus: Wenn alle Felder angekreuzt sind: „Ich sehe zu viele Beiträge zum Mauerfall!“ rufen
  5. Bonus-Bonus: Das auch noch in die Kommentare zu diesem Beitrag posten. Da freuen wir uns natürlich über alle Quellen, hehe.

Also dann: Viel Spaß beim Mauerfall — lasst die Spiele beginnen!

Einseitiges Einheits-Interesse

Der 25. Jahrestag des Mauerfalls rückt näher — und schon seit Monaten sind Geschichten dazu in den Medien zu finden. Auch der Soli kommt immer wieder in die Diskussion. Auch weil in der Westrepublik gerne geglaubt wird, dass allein sie dafür aufkomme. Da sollte man meinen, dass die Vorstellung des Jahresberichts zur deutschen Einheit auf großes Interesse stößt. Das tat sie auch — aber nur teilweise, wie Markus Decker (Berliner Zeitung) bemerkt:

Bei der gestrigen Pressekonferenz [24.09.2014] zur Vorstellung des Jahresberichts waren Journalisten ostdeutscher Medien und Auslandskorrespondenten übrigens fast unter sich. Auch das sagt über die Einheit ziemlich viel aus.

Gute Vorsätze für Ostdeutsche 2014

Beginnen wir das neue Jahr doch mit Fragen. Oder nein — schauen wir uns doch einfach die Fragen an, die Christian Bangel auf Zeit Online zu einem Artikel gebastelt hat:

Warum gibt es kein relevantes ostdeutsches Medium?

Was heißt schon relevant? Geht man nach den Verkaufszahlen, befindet sich die Super Illu auf dem 7. Platz der Zeitschriften und Magazine, im Osten ist sie nach eigenen Angaben sogar die meistgelesene Kaufzeitschrift. Damit ist die Super Illu hochgradig relevant für die Menschen dort — auch wenn die mediale Allgegenwärtigkeit von Spiegel, Stern & Co anderes vermuten lassen. Bei den meistzitierten Medien taucht die Zeitschrift hingegen nicht auf: Relevant für die sonstigen Medien in Deutschland ist die Super Illu also nicht. Relevant ist schließlich, was man relevant macht.

Wieso spricht niemand über ein Bundesland Ostdeutschland? Die Probleme der Länder ähneln sich und der Bevölkerungsschwund hat bereits ungezählte Gebietsreformen nötig gemacht.

Dann müsste aber auch mindestens das Ruhrgebiet, wenn nicht gleich ganz Nordrhein-Westfalen mitmachen. Dort gibt es schließlich ganz ähnliche Probleme. Zumal solch ein Vorgehen nur an alte Muster anknüpfen würde: Der vielfältige Westen hier, dessen ganz verschiedene Bundesländer sich gar nicht auf einen Nenner bringen lassen. Und der Osten dort, ein eindeutig als DDR definierbares Bundesland. Aber all das passt zur Forderung von Christian Bangel:

Es wird Zeit für die Ostdeutschen, sich großzumachen. Nicht als Gesamtdeutsche, sondern als Ostdeutsche, deren Einfluss erkennbar werden muss.

Angela Merkel, Beate Zschäpe, Joachim Gauck, Toni Kroos und Maybritt Illner nennt Bangel als Beispiele bekannter Menschen aus dem Osten. Damit belegt er die Vielfältigkeit der Menschen aus dem Osten, was ja bei mehreren Millionen Einwohner_innen auch nicht überraschen dürfte. Und doch fehlt ihm ein eine eindeutige, ostdeutsche Positionierung dieser Menschen: Irgendwas muss diese Personen doch verbinden, und wenn es nur Pragmatismus ist. Oder (Achtung, Zirkelschluss): Ihre Nichterkennbarkeit als Ostdeutsche.

Wo sind eigentlich die Ostdeutschen? Man erkennt sie nicht am Namen und am Beruf, nicht mehr an ihrer Kleidung und an der Frisur.

Dabei könnte Christian Bangel doch selbst den Anfang machen. Auf seinem Porträt auf Zeit Online erfährt man einige Stationen seines Lebens. Ausgespart wird allerdings die Frage seiner Herkunft, auch im Artikel wird sie nicht angesprochen, obwohl er eindeutig eine Positionierung einfordert. Aufschluss gibt dann eine ältere Website des Autors:

Meine Kollegen nannten mich U.D.O., „Unser dummer Ossi“. Ich glaube, ich möchte darüber reden.

Selbstpositionierung ist dann vielleicht doch nicht so einfach, wie es zunächst aussieht.

Auf ein erfolgreiches Jahr 2014!

Ein Kessel bunter Vorurteile

Ach ja: So sicher wie Weihnachten kommt auch jedes Jahr der Tag der deutschen Einheit. Dieses Jahr beschenkt uns das Hohenloher Tagblatt (sic!) mit einer umfassenden Sammlung westdeutscher Klischees über den Osten. Oder um genau zu sein: Jugendliche aus dem Landkreis Hall sagen, was ihnen zu dem Thema einfällt und die Redaktion nickt zustimmend. Das reicht von der sächselnden Überschrift über eine Bildergalerie mit Sand- und Ampelmännchen hin zu Rechtsextremismus und Nacktbaden.

Schauense rein, greifense zu: Soviele Vorurteile gibt’s so bald nicht wieder! Jedenfalls nicht so unreflektiert!

Deshalb nur deren Auflistung und keine unserer üblichen Kommentierungen — es ist einfach zu spät, um anderen Menschen die Arbeit abzunehmen.

  • In den neuen Bundesländern machen weniger Schüler Abitur als in den alten Bundesländern
  • Ostdeutsche sind weniger demokratisiert und beteiligen sich weniger an der Politik
  • In den neuen Bundesländern sind Frauen jünger, wenn sie ihr erstes Kind bekommen
  • Immer mehr junge Menschen wandern aus den neuen in die alten Bundesländer ab
  • Im Osten gibt es viele Rechtsextreme
  • Jeder Zweite im Osten ist arbeitslos
  • In den neuen Bundesländern sprechen alle sächsisch
  • Viele Leute im Osten wohnen in Plattenbauten
  • Im Osten baden alle nackt
  • Viele der damaligen Modetrends werden heute wieder getragen, oft auch kombiniert mit verschiedenen Accessoires, die der heutigen Mode entsprechen
  • Schlager und Stimmungslieder waren den „Ossis“ wichtig. Außerdem Rock -, Jazz — und Blues
  • Berlins Ampelmännchen erobern die Welt

Wobei ich ja immer noch glaube, dass das eine schlecht gekennzeichnet Satire-Seite sein muss.

Übrigens: Wer den 3. Oktober etwas intelligenter angehen möchte, findet im Tagesspiegel immerhin ein ganz neues Wort: Kostalgie! Sehr appetitanregend.