An wissenschaftliche Lehrbücher werden ganz besondere Ansprüche gestellt: Sie müssen ein Thema umfassend darstellen und dabei Methoden und Debatten behandeln. Und vor allem müssen sie den Forschungsstand aufzeigen. Schließlich dienen sie oft als Einstieg für Studierende und stellen das Selbstverständnis einer Wissenschaft dar.
Diesen Anspruch kann das kommunikationswissenschaftliche Lehrbuch „Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft“ nicht erfüllen. Warum? Werfen wir einen Blick ins Inhaltsverzeichnis:
Auf 20 Seiten wird hier die „Geschichte der Werbung und Werbebranche“ beschrieben. Dass es hier um den historischen Blick auf Deutschland geht, das kann man sich noch denken. Nach der Geburtsstunde im 19. Jahrhundert, der NS-Propaganda, dem Wirtschaftswunder, den 68ern, der RAF-Zeit und der Einführung privater Fernsehsender wird aber klar: Hier geht es ausschließlich um eine westdeutsche Geschichte. Schlimmer noch: Den Verantwortlichen ist dies offenbar nicht klar — weder „DDR“ noch „westdeutsch“ kommen als Begriffe im Buch vor. Stattdessen wird unreflektiert von „der Werbewirtschaft“ und „der Gesellschaft“ gesprochen, als ob eine Differenzierung für den und im aktuellen Werbemarkt keine Rolle spielen würde.
Dabei gab es Werbung auch in der DDR — aber mit einer anderen Geschichte, anderen Ausdrucksformen und anderen Intentionen. Diese mussten nach der politischen Wende 1990 neu ausgehandelt werden. In welcher Form dies geschah und welche Folgen dies insbesondere für Werbung in Ostdeutschland hat: Dies wäre Aufgabe eines Lehrbuches aus dem Jahr 2010 gewesen. Stattdessen wird ein Werbemarkt konstruiert, der abseits politischer Geschehnisse agiert. Absurd.