Es ist Berlinale — wie wird bei diesem Filmfestival eigentlich der Osten Deutschlands (re)präsentiert?
Nicht gut: Seit 1990 geht der Anteil von Filmen ostdeutscher Filmmacher_innen stark zurück. Westdeutsche konnten ihren Anteil hingegen steigern. Die Studie „Geschichten und Filme kennen [keine] Grenzen“ meint daher:
Dennoch liegt bei gerade einmal insgesamt 20 abendfüllenden Produktionen von Filmemachern mit ostdeutscher Herkunft zwischen 2002 und 2016 das Versäumnis einer ausgewogenen Berücksichtigung von Regisseuren aus den neuen Bundesländern nicht allein in der deutschen Förder- oder Produktionslandschaft und sollte deutlich mehr in den Blick genommen werden.
Eine Zusammenfassung der Studie gibt es bei der Jungen Welt. Anderen Medien war die Untersuchung von Vielfalt auf dem Berliner Filmfestival keine Meldung wert.
Stasi-Berlinale-Gefängnis, virtuell
Aber keine Angst: Zumindest ein altbekanntes DDR-Thema hat es auf die diesjährige Berlinale geschafft. Das Stasi-Gefängnis. Und es ist technisch ganz vorne dabei — man sieht es nämlich per Virtual Reality. In der Ich-Perspektive. Als Häftling. Mehr dazu gibt es bei der Produktionsfirma IntoVR.
Woher stammen eigentlich die Macher_innen dieser Produktion? Mit Blick auf die oben genannte Studie ist es tatsächlich zentral, wer auf einem Festival mit dieser Bedeutung Geschichte in Film umsetzt. Vor allem, wenn es auch die Themenauswahl betrifft. Grit Lemke, Leiterin des Filmprogramms beim DOK Leipzig, äußert sich in der Studie etwa wie folgt:
Ich habe den Eindruck, dass ostdeutsche Geschichten offenbar in Deutschland nicht wirklich willkommen sind. Denn sobald nur die geringste Verbindung zu den neuen Bundesländern besteht, ein Leipzig im Untertitel, die Abstammung des Regisseurs, eine Geschichte aus Mecklenburg-Vorpommern, wird der Film ungeachtet seines eigentlichen Themas stigmatisiert und – wie ich finde – pauschal abgelehnt.
Ein Beitrag zur Stasi hat es hingegen leichter, der Grusel ostdeutscher Geschichte funktioniert halt immer. Wir sollten aber aufpassen, dass wir Ostdeutschland und seine Geschichte nicht darauf reduzieren.
Also published on Medium.
Kleiner Nachtrag:
Grit Lemke, ehemals Leiterin des Filmprogramms beim DOK Leipzig ist nach 26 Jahren zum Februar 2017 „gegangen worden“. Und mit ihr jede Menge weitere Mitarbeiter u.a. auch ein Großteil der Dok Auswahlkommission. Was dann ausgewählt wird, kann man sich lebhaft vorstellen. Sie war nicht die einzige, viele langjährige Mitarbeiter verließen innerhalb nur eines Jahres frustriert das Dok, weitere werden folgen. Um die Lemke los zu werden, wurde ihr einfach ein unannehmbarer Honorarvertrag angeboten, der schlichtweg eine Degradierung bedeutete. Dies ist nur der vorläufige Höhepunkt, dessen wie die Medienlandschaft in Ostdeutschland nun auch von den letzten Ossis bereinigt wird.
Auch beim Dok Leipzig gab es nur noch zwei Ossis, Grit Lemke und Conny Klauß — bis jetzt.
Ab März 2017 ist das gesamte Festival fest in der Hand von Wessis.
Die Ossis wurden Bundesweit ausgesiebt. Lemke und Klauß dank der neuen Intendantin und Geschäftsführerin in Personalunion Leena Pasanen, die der frisch gewählte Leipziger Schwarzkittel-samt-Steigbügelhalter Stadtrat Oberbürgermeister Burkhard Jung (ein Wessi aus Siegen) intelligenterweise diesmal nicht aus dem Westen, sondern aus Finnland importierten ließ.
Dort hatte sich Leena Pasanen mit einer Propagandadoku gegen den indigenen Expräsidenten Hugo Chavez hoch gedient, was ihr umgehend eine Stelle im Internationalem Dokfilm Verband einbrachte, wodurch sie nun bestens im Westen vernetzt ist.
Die Neubesetzung als Intendantin und Geschäftsführerin für die Dok Leipzig gehörte übrigens zu den ersten Amtshandlungen des neuen Import-Oberbürgermeisters.
Unnötig zu erwähnen das die Mehrheit im Stadtrat von Westdeutschen Platzhirsche gehalten wird.
Das Speigel Blatt war natürlich begeistert und schrieb gleich eine Kolumne über die tolle Finnin die dem Dok-Festival eine „Auffrischung“ verordne. Beim Leser blieb der Satz hängen: Sie sei „entsetzt“ über die niedrige Frauenquote und wolle diese Zustände beseitigen.
Interne Stimmen berichten was anderes, von Konzeptlosigkeit, Etateinschränkungen bis kaputt sparen, unbezahlte Rechnungen, interne Querelen und Abwesenheit der Intendantin ist die Rede.
Es sind bereits einige Protestbrief an Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung geschickt worden, schliesslich war Grit Lemke wie auch jene Conny Klauß, Annegret Richter, Matthias Heeder die Seelen des Dok Leipzig. Und sie stehen mit dieser Meinung nicht allein. Dokumentarfilmer wie Volker Koepp, Andreas Voigt oder Dieter Schumann sind entsetzt, auch Ralf Schenk, Vorstand der DEFA-Stiftung bedauert den Verlust und fürchtet um die Zukunft des Festivals, das als eines der wenigen Vorzeigeprojekte Ostdeutschlands nun vermutlich zur neuen Propagandaplattform der Lobbyisten umgebaut wird.
Es sind nicht nur die Ostdeutschen Geschichten unwillkommen, sondern auch die Ostdeutschen Lebensläufe. Grit Lemke die erst nach der Wende aus der Opposition ins Dok kam, hat sich 26 Jahre um die Einheit Deutschlands bemüht. Sie wurde nicht abgeschossen weil sie erfolglos war oder unbequem, sie ist einfach nur Ossi und das ist Grund genug. Wessis bestimmen wer im Osten Karriere macht.