Die munteren DDR-Vergleiche waren eine fruchtbare Serie auf diesem Blog. Doch seit einiger Zeit schien es, als hätten sie sich erledigt. Endlich — hatten die Redaktionen wohl gemerkt, dass die Welten damals und heute komplexer waren und sind. Und womöglich führte auch die Kritik nach Pegida, AfD und Co. zu einem Einsehen: So plump können wir mit dem Osten nicht mehr umgehen.
Doch weit gefehlt – es wird wieder lustvoll verglichen! Aber wieso der neue Aufbruch in eine neue Ära der Assoziationen? Schauen wir sie uns doch an!
DDR-Vergleich #32 – Corona-Maßnahmen und Corona-Kritik
Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, veröffentlichte Anfang August einen Gastbeitrag beim Blog „Tichys Einblick“. Darin meint er: „Von Monat zu Monat lernt man mehr von der DDR.“ Was das aus seiner Sicht bedeutet:
- „Los ging es mit Einführung der Maskenpflicht, nachdem es lange hieß, Masken nützten nichts – so lange es keine zu kaufen gab. In der DDR streute die Partei: Bananen seien gar nicht so gesund.“
- „Die dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen der Demo vom 1. August durch die Berliner Polizei entspricht in etwa dem Geschwätz von der „Zusammenrottung einiger weniger Rowdys“, mit der die DDR-Medien anfangs die Demonstrationen im Herbst 1989 kleinrechneten.“
- „Der gefährlichere Versuch, die Straßen leerzukriegen, war damals die Unterstellung, die Demonstranten handelten im Auftrag von CIA und BND. Der heutige Versuch, die Straßen leerzubekommen, besteht in der Warnung: Pass auf, mit wem du demonstrierst.“
Daran wurde öffentlich Kritik geäußert. So unterzog der Berliner Tagesspiegel den einzelnen Punkten einen Faktencheck und meint:
„Die abwegigen Vergleiche des stellvertretenden Unions-Fraktionsvorsitzenden werfen ein Schlaglicht darauf, wie manch einstiger DDR-Bürgerrechtler sich heute mitunter schwer damit tut, sich nach rechts abzugrenzen: Eine vermutete ‚Mainstream‘-Meinung wird mit der verordneten Meinung in der DDR verglichen und Sympathie für die vermeintliche Gegenposition bekundet.“
Auch Antonie Rietzschel von der Süddeutschen Zeitung kritisiert den Vergleich:
„Wenn er nun DDR-Vergleiche zieht, verharmlost er nicht nur das Unrecht, das ihm und vielen anderen angetan wurde. Er verleiht der Erzählung von Pegida, AfD und Neuen Rechten auch neues Gewicht. [… ] Dabei ist Widerspruch wichtig, vor allem gegen die Behauptung, es herrschten heute diktaturähnliche Verhältnisse. Das setzt aber voraus, dass sich [der aus Baden-Württemberg stammende CDU-Bundestagsabgeordnete Axel] Fischer und andere westdeutsche Politiker mit der Geschichte und gesellschaftlichen Dynamiken auseinandersetzen. Leider ist das auch 30 Jahre nach der Deutschen Einheit immer noch nicht selbstverständlich.“
DDR-Vergleich #33 – Gendergerechte Sprache
Ende August wurde die Schriftstellerin Monika Maron vom Spiegel interviewt. Zum Aufmacher wurde ihre Kritik an gendergerechter Sprache gemacht, die sie an die DDR erinnere. Es rege sie auf, wenn Sprachregelungen wie gendergerechte Formulierungen von Behörden, Medien und Unis verordnet würden.
Das ist nicht das erste Mal, dass sie geschlechtergerechte Sprache kritisiert: Beim Aufruf „Schluss mit Gender-Unfug!“ gehörte sie 2019 zu den Erstunterzeichnern (sic!).
In einem Text für die NZZ ordnet sie ihre Sprach-Kritik außerdem in einen anderen Zusammenhang ein: „Schon die Frage, ob der Klimawandel wirklich nur menschengemacht ist oder wie viel Einwanderung eine Gesellschaft verträgt, ohne schwerwiegenden Schaden zu nehmen, oder ob dieses Genderkauderwelsch wirklich den Frauen nutzt, kann ausreichen, um rechter Gesinnungsart verdächtigt zu werden.“ In dem Beitrag aus dem Jahr 2019 geht sie außerdem detailliert auf Vergleiche mit der DDR ein:
„Der Freund war empört: Wie ich die Bundesrepublik mit der DDR vergleichen könne und ob ich noch ganz bei Verstand sei. Es liegt mir fern, die Bundesrepublik mit der DDR zu vergleichen. Weder fürchte ich, mein Buch könnte wie in der DDR verboten werden, noch halte ich für möglich, dass ich juristisch belangt werden könnte.
Und trotzdem habe ich dieses Gefühl.
Natürlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat; darum werden Bücher nicht verboten und Schriftsteller nicht verhaftet. Aber es gibt auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören.“
Von Monika Maron ist kürzlich der Roman „Artur Lanz“ erschienen.
DDR-Vergleich #34 – Deutschland
Ebenfalls im August erschien ein Text auf Spiegel.de mit dem Titel „Wie Angela Merkel heimlich den Sozialismus eingeführt hat“.
Man mag einwenden, der Text sei nicht ernst gemeint. Vielleicht, weil schon der Beginn reichlich bekloppt ist:
„Seid bereit, immer bereit: Coca-Cola und andere Konzerne werben seit Corona, als wären ihre Chefs Thälmann-Pioniere und die Slogans im Politbüro erdacht worden. Eine fiktive Verschwörungstheorie mit ganz realen Folgen.“
Vielleicht sollte auch stutzig machen, dass der Text als Glosse gekennzeichnet ist.
Allerdings: Dieser Text wird auch für bare Münze genommen – „Merkel-Sozialismus: ‚Spiegel‘-Autor fühlt sich durch Werbe-Parolen großer Konzerne an DDR erinnert“. Der entsprechende Artikel der Epoch Times nähert sich den Inhalten der Glosse entsprechend ernsthaft. Und Spaß wird so schnell zu Ernsthaftigkeit.
Wem nutzen diese Vergleiche?
Auf der inhaltlichen Ebene fällt auf: Es geht um Verbote und Vorschriften – offenbar ein geeignetes Futter für Vorwürfe aus Sicht derjenigen, die diese Vergleiche ziehen. Nur: Bei näherer Betrachtung ist nicht viel an diesen Vorwürfen dran. Es handelt sich um gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, die weit weg sind von staatlich verordneter Zensur und den Maßnahmen der Stasi.
Was aber auch auffällt:
Die Einordnung des Blogs „Tichys Einblicke“ in den Rechtspopulismus wird immer wieder diskutiert.
Essays von Monika Maron wurden zuletzt vom Verlag Antaios herausgegeben, der einem Netzwerk der Neuen Rechten zugeordnet wird.
Die „Epoch Times“ wird von Anhänger*innen der AfD gerne gelesen.
Im größeren Zusammenhang gibt es also neben all diesen Vergleichen eine weitere DDR-Referenz: AfD und Pegida arbeiten immer wieder mit Bezügen zur DDR. Durch letztere wurde die Losung „Wir sind das Volk“ aufgegriffen – was etwa durch DDR-Bürgerrechtler kritisiert wurde. Und die AfD nutzte im letzten Jahr das Wahlkampfmotto „Wende 2.0“
Es scheint, die DDR-Vergleiche kommen nicht mehr rein zufällig: Sie sind Teil einer politischen Agenda. Und wie schon Cato durch ständige Wiederholung darauf abzielte, dass Rom Karthago erobern solle, so sollen uns die wiederkehrenden DDR-Vergleiche glauben lassen, das sie stimmen. Umso wichtiger ist es, dass sie fundiert eingeordnet werden. Und dass Medien kritisch und differenziert die entsprechenden Debatten begleiten.