Bundestag, Rechtsextremismus, Social Media, Pflegeheime und Schulen

Frisch aus den Medien: Aktuelle Beiträge zur Darstellung und Wahrnehmung Ostdeutschlands in der Öffentlichkeit:

Ostdeutschland im Bundestag

Lucie Hammecke ist die jüngste Abgeordnete im sächsischen Landtag und gehört zum Fraktionsvorstand der Grünen. Die Frankfurter Rundschau hat mit ihr gesprochen:

„Ich habe den Eindruck, dass noch nicht in allen Teilen des Bundestages die Relevanz der Wahlen in Ostdeutschland nächstes Jahr angekommen ist.“

Rechtsextremismus und Sichtbarkeit

Anne Rabe ist 1986 geboren, mit ihrem Roman „Die Möglichkeit von Glück“ steht sie auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Der rbb hat mit ihr gesprochen:

Wir schauen aktuell auf ein Deutschland, das sich immer mehr spaltet, stark nach rechts rutscht. Was ist Ihre Erklärung dafür?

Ich glaube, die Gründe dafür sind vielschichtig. Ein wichtiger Grund ist, dass man völlig unterschätzt, dass Gesellschaften kippen können. Es ist nicht überall in Ostdeutschland gleich. Aber wenn es in Orten 30, 40 Prozent AfD-Wähler gibt, dann ändert dies das ganze Klima. Die Selbstverständlichkeit, die Normalisierung von Rechtsextremismus, die ist in Ostdeutschland weit fortgeschritten. Das ist ein Riesenproblem. Ich glaube, man muss wirklich anerkennen, dass das nichts ist, was man innerhalb von einer Wahlperiode oder mit einem weiteren Wahlsieg der demokratischen Parteien beenden kann. Ich glaube schon, dass eine Ursache dafür tatsächlich eine lange autoritäre Prägung ist. Man sieht in den Umfragen, dass zum Beispiel der Wunsch nach autoritären Staatsformen viel größer ist in Ostdeutschland. Dass die eigene Geschichte nicht reflektiert, einfach nicht aufgearbeitet ist. Man sieht auch diese fortwährende Gewalt auf den Straßen. Und das führt dazu, dass sich dort Dinge verhärten, Gegenkräfte sich zurückziehen.
Wie kann man die Aufarbeitung der DDR-Zeit, wie Sie sie hier anmahnen, besser vorantreiben?

Ich glaube, dass man die Situation im Osten im gesamten Deutschland anerkennen muss. Das ist nicht nur eine ostdeutsche Geschichte. Wir sind ein Land und das ist unsere Geschichte. Diese Frage der Integration des Ostens stellt sich eigentlich gar nicht. Wir sind ein gemeinsames Deutschland und das, was in Ostdeutschland passiert, das hat eben auch Auswirkungen auf das ganze Land. Es müsste noch mehr Interesse geben, auch von westdeutscher Seite.

Und im Osten, insgesamt im Land, muss dringend sehr viel Arbeit und sehr viel Geld in politische Bildung gesteckt werden. Mir passiert immer wieder, dass Leute noch nie vom Jugendwerkhof oder noch nie von Torgau gehört haben. Ich finde, das sind Vorgänge, Begriffe, Orte, von denen jeder Mensch in Deutschland wissen sollte. Da müssen wir auch den Opfern gerecht werden. Das ist einfach unsere Aufgabe als Gesellschaft.

DDR und Social Media

Bis zum 22. September findet der Deutsche Historikertag in Leipzig statt. Ein Interview mit dem Historiker Andreas Kötzing gibt es auf saechsische.de:

Lange Zeit war die öffentliche DDR-Erinnerung durch das Diktatur-Gedächtnis geprägt. Das ist nachvollziehbar und hatte seine Gründe. Aber wir beobachten seit einigen Jahren ein wachsendes Bedürfnis, davon zu erzählen, dass es neben Repression und Unterdrückung in der DDR eben noch ein anderes, alltägliches Leben gab. Übrigens ein Trend, der in den Neunzigern ähnlich war, nur gab es damals eben noch keine sozialen Medien, die jetzt zur Verstärkung beitragen.

Wenn wir den Kampf gegen „alternative“ Fakten, Lügen und gegen die Verharmlosung von Diktaturen nicht verlieren wollen, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als die Auseinandersetzung auch [auf Social Media] weiter zu suchen. Gerade für die politische Bildung ist dies enorm wichtig. Das setzt natürlich voraus, dass öffentliche Einrichtungen wie Gedenkstätten, Museen und Vereine dafür auch ausreichend Mittel zur Verfügung haben.

Pflegeheime hui, Schulen pfui

Die Menschen in Ostdeutschland bewerten die Schulen mit am schlechtesten in Deutschland. Lediglich in Nordrhein-Westfalen sei die Bewertung noch schlechter ausgefallen, teilte das Münchener Ifo-Institut am Dienstag mit. 19 Prozent der befragten Erwachsenen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vergaben die Note 4 oder schlechter, 56 Prozent die Note 3. 24 Prozent urteilten mit den Noten 1 oder 2.

Den Lehrermangel sehen in den drei Bundesländern die meisten Menschen als das wichtigste Thema,

Meldung der dpa in der Zeit | Die Pressemitteilung mit allen Zahlen

Die Augsburger Allgemeine titelt „Pflegeheime im Osten besser als in Westdeutschland“ (und nicht etwa „Pflegeheime im Westen schlechter“ — ist das Vermeiden eines negativen Framing für den Westen Zufall?) und schreibt: 

Laut einer AOK-Studie kommt es in den Heimen in den alten Bundesländern gehäuft zur schlechten Versorgung der Alten und Kranken. Ostbayern hat ein besonderes Problem. … Demnach bekommen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und im Saarland viel mehr Heimbewohner lang anhaltend Schlaf- und Beruhigungsmittel als in Ostdeutschland

Die vollständige Studie

Rechtsextrem! Ostdeutsch! Studie! #5

Es ist wieder soweit: Eine neue Studie beschäftigt sich mit dem Rechtsextremismus im Osten Deutschlands. Also aufgepasst, Stereotypen, Klischees und Vorurteile volle Kraft voraus!

Was ist passiert?

Am 18. Mai 2017 hat das Göttinger Institut für Demokratieforschung den Abschlussberichts des Forschungsprojektes „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“ veröffentlicht. Darin werden Ursachen und Hintergründe für Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindlich motivierte Übergriffe in Ostdeutschland untersucht. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung hatte diese Studie in Auftrag gegeben.

Wie wird es dargestellt?

Für einen Großteil der Medienlandschaft ist die Sache klar, zumindest in den Überschriften:

Auffällig ist dabei: Die Texte selbst sind weitaus differenzierter als die zugespitzten Überschriften vermuten lassen. Absurderweise bedeutet das, dass sie ihnen widersprechen. Denn die Studie widerspricht solch vereinfachenden Aussagen explizit.

Was ist dran?

Das wichtigste vorneweg: Die Studie kann keine Aussage über Ostdeutschland treffen, weil sie Ostdeutschland nicht untersucht hat.

Die Forscher haben keine flächendeckende empirische Untersuchung gemacht, sondern zwei Regionen heraus gegriffen, die durch asylfeindliche Proteste aufgefallen waren: die Region Dresden mit den Städten Freital und Heidenau sowie Erfurt mit dem Stadtteil Herrenberg. Dort führten sie 2016 knapp vierzig Einzelinterviews mit Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

Quelle: Berliner Zeitung

Oder anders ausgedrückt: Es ist, als hätte man mit 40 Menschen in der Eifel und auf Sylt gesprochen und könnte danach etwas über Linksextremismus in Westdeutschland sagen. Was lokale Erkenntnisse bedeuten, können immer nur Vermutungen sein.

Damit sind aber auch viele Schlussfolgerungen der Studie und der Medien hinfällig. Hinweise zur DDR-Vergangenheit etwa, die vielfach genannt werden. Kein Scherz, auch fast 30 Jahre nach dem Mauerfall lassen sich damit die Handlungen von Menschen erklären, die gerade mal volljährig sind.

Deutlichen Anlass zum Stirnrunzeln bietet aber die Studie selbst. Auf der einen Seite betont sie, dass der Ost-West-Gegensatz gar nicht so entscheidend sei. Dass das Verhältnis von Stadt und Land viel stärker wirke. Und doch graben die Wissenschaftler_innen für ihr Fazit so tief in der DDR-Klischeekiste, dass sie das mit Ost und West wohl doch ernster nehmen.

Und nicht nur das: Die Journalistin Sabine Rennefanz verweist darauf, dass die Studie nicht nur von einer „ostdeutschen Mentalität“ ausgeht, sondern auch die europäische Dimension ausblendet. Die rechtsextremen Bewegungen in Frankreich, den Niederlanden und weiteren Staaten können mit einer DDR-fixierten Analyse schließlich nicht erklärt werden.

Was lernen wir daraus?

Wenn es um Rechtsextremismus und Ostdeutschland geht, kommt es schnell zu pauschalen Urteilen. Auch wenn Studien differenzierte Erkenntnisse gewinnen, spitzen Journalist_innen und auch die Forschenden selbst lieber zu. Mit einem Blick in die Studie hätten sie festgestellt, dass sie damit Teil des Problems sind:

Unsere Befragten haben das Gefühl, dass die als überheblich wahrgenommenen Bewohner der alten Bundesländer sie noch immer geringschätzen; vor allem aber sind sie darüber verärgert, dass westdeutsche Journalisten und Politiker den Eindruck erwecken, Rechtsextremismus sei in den neuen Ländern weiter verbreitet als in den alten Bundesländern.