Rezension: Plan D 1

Stasigrau. Das fasst die DDR in Simon Urbans Roman „Plan D“ präzise zusammen. Aber der Reihe nach.

Das 2011 erschienene Werk gehört dem Genre der Alternativweltgeschichte an, in der es um das Was-wäre-wenn geht. Bekanntester Vertreter ist wahrscheinlich „Vaterland“ von Robert Harris. Schauplatz jenen Romans sind die 1960er Jahre eines Großdeutschen Reiches, das im 2. Weltkrieg nicht besiegt wurde und das von der Weltgemeinschaft anerkannt werden möchte. Wären da nicht unheimliche Geheimnisse, die von einem naiven Polizisten ans Tageslicht geholt werden mit Unterstützung einer Frau, die mehr weiß als er selbst. Am Ende stellt sich heraus, dass all die vermeintlichen Verbesserungen nur Fassade sind.

„Plan D“ funktioniert prinzipiell ähnlich: Schauplatz ist die DDR im Jahr 2011, die von der Weltgemeinschaft anerkannt werden möchte. Wären da nicht irgendwelche Geheimnisse, die von einem naiven Polizisten ans Tageslicht geholt werden mit Unterstützung einer Frau, die mehr weiß als er selbst. Und wer das Ende von „Vaterland“ kennt, wird auch hier nicht sonderlich überrascht sein.

Das ist das erste Problem von Urbans Roman: Es klebt in der Grundkonstruktion so nah an „Vaterland“, als ob es ausreichen würde, Hakenkreuze gegen Trabanten (bzw. deren Nachfolger) und Gestapo gegen Stasi auszutauschen. Das tut es eben nicht, auch wenn der Vergleich der Herrschaftssysteme von NSDAP und SED allzu oft gepflegt wird. Gerade zum Ende hin fällt auf, dass die Geschichte nicht einlösen kann, was sie verspricht. Weil es eben doch unterschiedliche Charakteristika beider Systeme gab, die auch in der fiktionalen Bearbeitung berücksichtigt werden müssen. Ein Austausch der Symbole reicht da nicht aus — und ein Egon Krenz als Hitler-Ersatz wirkt eher lächerlich.

Offenbar nimmt aber auch der Autor den Schauplatz des Geschehens trotz aller Graumalerei nicht ernst. Prominenz aus Showbusiness, Sport und Politik bilden im Hintergrundrauschen eine bunte Nummernrevue: Oskar Lafontaine regiert die Bundesrepublik, Michael Ballack trainiert im Osten und Sahra Wagenknecht ist Schauspielerin in sozialistischen Actionfilmen. Diese und andere Figuren tragen nicht zur Handlung bei und sollen wohl eher für Aha-Effekte sorgen: Stimmt, das sind ja Ossis.

Wie aber stellt sich der Westfale Simon Urban die DDR des Jahres 2011 vor? Sie unterscheidet sich nicht viel von der DDR, wie sie vor dem Mauerfall gesehen wurde, es gibt nur mehr – mehr Stasi und mehr grau. Urban wird nicht müde, diese Schlagwörter zu betonen, bis er dem Hauptcharakter schließlich den allumfassenden Begriff „stasigrau“ in den Mund legt. Die Menschen leben in diesem Land so tranig-traurig, dass sie es durch Massensuizid schon längst hätten entvölkern können. Von einem Aufbegehren gegen die Herrschenden ganz zu schweigen.

Ja, so eines gab es in der wirklichen Geschichte tatsächlich. Das vergisst man beim Lesen des Romans – und das wurde offenbar auch beim Schreiben vergessen. Denn der Roman nimmt auch die Menschen der 2011er DDR nicht ernst. Es scheint, er weidet sich an ihren stasigrauen Schicksalen und freut sich, sie als beliebige Abziehbilder einer letztlich trivialen Handlung zu benutzen. Ihr einziger Reiz liegt somit darin, dass sie in einem Deutschland leben, das irgendwie anders und zurückgebliebener ist. Und vor allem stasigrauer.

Und das, so vermute ich, sagt vielleicht auch etwas darüber aus, wie Menschen aus dem Osten Deutschlands wahrgenommen werden. Hier in der realen Welt, der Alternative zur Alternativweltgeschichte.

Simon Urban: Plan D
552 Seiten. Schöffling & Co. Verlag
ISBN: 978 – 3‑89561 – 195‑7 (gebundene Ausgabe)
ISBN: 978 – 3442744428 (Taschenbuch, ab Februar 2013)

One comment on “Rezension: Plan D

  1. Reply Anna Jun 25,2016 18:04

    Gerade über drei Ecken (oder vier, auf jeden Fall Querverweise in anderen Texten hier ;-) bei diesem Post gelandet, den ich seinerzeit offenbar verpasst habe. Denn sonst wäre mir schon vorher aufgefallen, daß da was nicht stimmt. Oskar Lafontaine ist nämlich gar kein Ossi. Er kommt — ebenso wie weiland Erich Honecker, der eben kein Sachse war, wie erstaunlich viele Wessis denken — aus dem beschaulichen Saarland. 

    Aber zurück zur Farblehre: Jemand hat mal darauf hingewiesen, daß das scheinbare DDR-Grau im Vergleich zum scheinbaren BRD-Ultrabunt in den meisten (zumindest in vielen) Fällen schlicht auf das Fehlen schreibunter Reklame und Neonleuchtschriftzüge in der DDR zurückgeführt werden kann. Fand ich einen interessanten Ansatz.

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