„Schroffe Kontraste und harte Fronten prägten die Jahre zwischen 1945 und 1968“
So heißt es in einem Flyer zur Vortragsreihe „Nach 1945. Revisionen der Nachkriegsmoderne“ in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Dort wird darauf verwiesen, dass der Gegensatz zwischen Ost und West in verschiedenen Aspekten der Kunst zum Ausdruck gekommen sei: „Abstraktion versus Figuration, die Verwendung neuer Materialien im Gegensatz zur klassischen Malerei, Konsumkritik und Kommerzialisierung.“
So weit, so wissenschaftlich.
Der Flyer stellt zudem die Themen der Vortragsreihe vor und fragt:
„Welches Bild machen wir uns von der Nachkriegsmoderne?“
Doch wer ist dieses „wir“? Der Flyer sagt dazu:
„Renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind eingeladen […]“
Dazu zählen konkret:
- Prof. Dr. Olaf Peters (wissenschaftliche Stationen in Bochum, Bonn und Princeton, schließlich Professor in Halle-Wittenberg)
- Prof. Dr. Christoph Zuschlag (wissenschaftliche Stationen in Heidelberg, Wien, Landau, Auckland, Texas und an der FU Berlin)
- Prof. Dr. Nike Bätzner (wissenschaftliche Stationen in Freiburg i.Br., Wien, Mailand, Istanbul und an der FU Berlin, derzeit Prorektorin an der Kunsthochschule Halle)
- Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet (wissenschaftliche Stationen in Marseille, Aix-en-Provence, Heidelberg, München, und Leipzig)
- Prof. Dr. Ursula Anna Frohne (wissenschaftliche Stationen in Münster, Karlsruhe, Bremen, Providence und an der FU Berlin)
- Prof. Dr. Sebastian Egenhofer (wissenschaftliche Stationen in Karlsruhe, Freiburg, Basel und Wien)
- Prof. Dr. Philip Ursprung (wissenschaftliche Stationen in Genf, Wien, Zürich und an der FU Berlin)
- Prof. Dr. Lars Blunck (wissenschaftliche Stationen in Braunschweig, Kiel, Hagen, und an der TU Berlin)
Zusammen gefasst heißt das: Von denjenigen, die ausdrücklich über die Kunst in Ost und West zwischen 1945 und 1968 sprechen, kann jede Person eine beeindruckende Vita mit Aufenthalten im In- und Ausland vorweisen — allerdings ist kaum ein registrierter Aufenthalt in Ostdeutschland dabei. Von einer ostdeutschen Sozialisation ganz zu schweigen.
Das bedeutet auch: Dieses „wir“, von dem im Einleitungstext die Rede ist, ist ein ausnahmslos westliches „wir“, das eine Seite des zu behandelnden Themas überhaupt nicht zu Wort kommen lässt. Der westliche Blick auf die Vergangenheit wird damit zum Subjekt, das den Osten lediglich als Objekt beobachtet.
Wohlgemerkt: Es geht mir nicht darum, dass ostdeutsch sozialisierte Wissenschaftler_innen einen besseren oder prinzipiell anderen Blick auf dieses Thema hätten. Es geht mir schlicht um die Frage: Wie will man ernsthaft über einen Aspekt deutsch-deutscher Vergangenheit sprechen, wenn eine Seite dabei gar nicht zu Wort kommt?
Die Ausstellung, die durch diese Vorträge begleitet wird, heißt „Der geteilte Himmel“. Eine Hälfte des Firmaments bleibt somit wohl dunkel.
Es gibt zudem Kritik zum Konzept der Ausstellung, das wie die Vorträge auf Gegensätze aufbaut:
„Es ist ein einfaches, duales Schema und eignet sich für eine klare Sortierung. Ob damit eine historisch vernünftige Darstellung der Kunst zwischen 1945 und 1968 gelingen kann, erweist sich in Berlin als mehr als fraglich.“
Danke an ostdenken für den Hinweis.