Der Osten bleibt wirtschaftlich zurück

Das lässt tief blicken: Das Bundeskanzleramt hält seit über einem Jahr eine kritische Studie zum Solidarpakt zurück: Demnach bringe eine weitere Förderung der Neuen Bundesländer nichts mehr, denn es gebe keine  export- und forschungsstarken Unternehmen sowie Konzernzentralen. Erschwerend komme der Wegzug junger und gut ausgebildeter Menschen hinzu. Das Fazit:

„Die Vorstellung einer vollständigen Angleichung des Ostens an das Westniveau ist eine Illusion.“

Wieso wird die Veröffentlichung bislang verhindert? „Das Gutachten gefällt politisch nicht“, zitiert die FAZ eine involvierte Person. So fürchte sich die Bundesregierung vor einer neuen Ost-West-Debatte.

Was wahrscheinlich noch hinzu kommt: Solange die Fördermaßnahmen bestehen, kann die Regierung darauf verweisen, dass sie ja etwas für den Osten tue: Fassaden verputzen und Einkaufszentren bauen, auch wenn damit offenbar nichts an den Ursachen verändert wird. Denn ohne Jugend und eigenständige Wirtschaft bleibt es reine Oberflächenkosmetik.

Ein Stopp des Geldflusses trotz offenkundiger Unterschiede zwischen Ost und West — das wäre im Prinzip eine Bankrotterklärung  der gesamten Einigungspolitik, obwohl das schon seit dem Vorgehen der Treuhandanstalt absehbar gewesen wäre.

Ein weiteres Zurückhalten der Studie kann sich das Kanzleramt aber ebenso wenig leisten — wenn es die Werte der Freiheit (in diesem Fall: Informationsfreiheit) und der Mündigkeit der Bevölkerung ernst nimmt.

Auf der Suche nach dem braunen Erbe der BRD 1

„Das braune Erbe der DDR“ schreibt die Berliner Zeitung martialisch in einer Überschrift zu einer gleichnamigen Veranstaltung der Bundesstiftung Aufarbeitung. Die Zahlen sind tatsächlich besorgniserregend: 59% der Menschen in Ostdeutschland stimmen demnach der These zu, dass es zuviele Ausländer_innen in Deutschland gebe. Nur: Im Westen treffen 44,5% diese Aussage — ein Wert, der kaum weniger brisant sein sollte. Entsprechend heißt es im Artikel auch:

„Der Osten hat mit dem Rechtsextremismus nicht allein ein Problem; er hat damit allerdings ein besonderes Problem.“

Als Erklärungsansätze für den Zustand im Osten Deutschlands werden auf der Podiumsdiskussion genannt: Im Zuge der DDR-Erfahrung habe es mehr autoritäres Denken gegeben. Es gebe ein Gefühl der Benachteiligung gegenüber Westdeutschen, das viele Menschen an Minderheiten ausließen. Die Nachwende-Zeit habe sichtbar gemacht, was vorher schon angelegt gewesen sei. In den letzten 20 Jahren sei der Zustand politisch deutlich unterschätzt worden.

Für den Zustand im Westen Deutschlands werden keine Erklärungen geliefert.

Dies sollte verwundern, lautete doch der Untertitel der Veranstaltung: „Rechtsextremismus in der DDR und im vereinigten Deutschland“. Und zum vereinigten Deutschland gehört eben auch das westliche Gebiet der Republik.

Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, das Problem fremdenfeindlicher Ansichten im Osten Deutschlands abzustreiten. Es ist allerdings besorgniserregend, wenn durch die Fixierung auf den Osten Rassismus und Rechtsextremismus nicht als gesamtdeutsche Probleme wahrgenommen werden. Denn das sind sie, wie auch der jüngst veröffentlichte Antisemitismusbericht aufgezeigt hat — demnach gleicht sich der Anteil antisemitisch eingestellter Menschen in beiden Gebieten an. (vgl. S.60)

Ostdeutsche Heimkinder: Rente statt westdeutscher Fond

Viel wurde in den letzten Monaten und Jahren über Heimkinder gesprochen, meist waren damit Zustände in der Bundesrepublik vor dem Mauerfall gemeint. Doch auch in der DDR sorgten die Verhältnisse in den Jugendwerkhöfen für lebenslange Traumata. (Man beachte, dass n‑tv hier von „DDR-Heimkindern“ spricht — wird über den Westen gesprochen, ist natürlich nur von „Heimkindern“ die Rede.)

Um für die psychischen Schäden und Misshandlungen zu entschädigen, ist seit dem 01.01.2012 eine Regelung in Kraft, die allerdings nur für Menschen gilt, die in Westdeutschland zwischen 1949 bis 1975 betroffen waren. Um eine Regelung für die Betroffenen in Ostdeutschland wird noch gerungen. Vor allem geht es darum, dass die westdeutsche Fondlösung abgelehnt wird und stattdessen eine monatliche Rente gefordert wird. Möglich wäre dies durch eine Ausweitung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, in der Heimkinder ohnehin schon enthalten sind:  Damit würde es eine monatliche Opferrente von 250 Euro geben.

Es ist zu hoffen, dass es bald zu einer Regelung kommt, die allen ehemaligen Heimkindern zugute kommt, egal auf welcher Seite der Mauer sie aufgewachsen sind.

Homepage: Migration in die DDR (und BRD) 3

die homepage Migration in die DDR (und BRD) — Interdependente Machtverhältnisse sichtbar machen versammelt studentische arbeiten zum thema migration in die ddr und kontinuitäten dieser migration in deutschland heute. sie entstand im rahmen eines seminars in den gender studies an der HU berlin.

ein ausgangspunkt des seminars war die beobachtung, dass „Migrationsgeschichte anhand von Daten und Politiken in der Bundesrepublik Deutschland erzählt“ wird und migration in die ddr und deren spuren und nachwirkungen im heutigen deutschland oftmals gänzlich ausgeblendet wird.

ich selbst habe in meinem studium erlebt, wie das thema „migration nach deutschland seit 1945“ abgehandelt wurde ohne auch nur ein einziges mal migration in die ddr, spezifische migrationspolitiken in der „wendezeit“ oder ddr-migrant_innen nach 1989/90 zu thematisieren.

dass zu diesem thema dennoch gar nicht wenig veröffentlicht wurde, verdeutlicht die ausführliche Online-Bibliographie der seite.

Das reduzierte DDR-Bild im Museum

Die DDR im Museum, das heißt momentan vor allem Reduktion: Entweder als verklärte Vergangenheit oder als Schurkenstaat. Eine seriöse Aufarbeitung der DDR-Geschichte sei so nicht möglich, so Wolfgang Benz, ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Benz schreibt zu den musealen Darstellungen:

In den meisten musealen Inszenierungen erscheint die DDR, je nach Intention, als Gefängnis, als militärischer Technikpark, als Konsumstrecke armer Leute, als Landschaft seltsamen Verkehrsgeschehens, als untergegangene Lebenswelt, an die nostalgische Annäherung leichtfällt. Reflektierter Umgang mit den Gründungsmythen und Rechtfertigungsstrategien, mit Ideologie und Zielen der Deutschen Demokratischen Republik als Gegenentwurf zur Bundesrepublik Deutschland findet in den musealen Anstrengungen und Einrichtungen nicht statt.

Weiße Weste(n) oder: wo kommen die Rechten her? 3

Expertenmeinungen zu den Ursachen rassistischer Gewalt in den neuen Bundesländern haben im Moment Hochkonjunktur. Mit dabei ist natürlich auch Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin, der stets gefragt wird, wenn ein DDR-Thema ansteht.

Im Berliner Tagesspiegel hat er bereits am 8. Dezember einen Gastkommentar geschrieben, in dem er die Ursprünge der ostdeutschen rechtsradikalen Gesinnungen erklärt. Dazu zählen: Die autoritären Erziehungsformen und ‑inhalte an den DDR-Schulen, die auf Unterordnung und Kollektivität abgezielt hätten. Die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile, durch die es wenig Zeit innerhalb der Familie gegeben hätte. Die Wende, in der man sich entweder an eben diese erprobten Formen gehalten habe — oder die Kinder einfach gewähren ließ. Für Schroeder steht fest:

Viele Jugendliche hatten ebenso wenig wie ihre Eltern und Lehrer das kompromissfähige Austragen von Konflikten gelernt.

Dass eine solche Rückführung auf die DDR-Zeit und die ersten Jahre nach 1989 vielleicht doch etwas kurz greift — über 20 Jahre später — das ahnt auch Schroeder. Im allerletzten Absatz schreibt er schließlich, dass das DDR-Erbe nicht alles erklären könne. „Verwahrlosungs- und Verrohungstendenzen, die aus dem beschleunigten sozialen Wandel, dem fehlenden Zusammengehörigkeitsgefühl und dem Wertewandel resultieren, betreffen die moderne Gesellschaft insgesamt.“ Und er fordert, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen: „Polizei und Politik sind allein nicht in der Lage, den Feinden der Demokratie Grenzen zu setzen.“ Wohlgemerkt: hier schreibt er über Deutschland heute und insgesamt.

Das sind trübe Aussichten und eine traurige Bilanz für ein Land, das sich moralisch als soviel fortschrittlicher versteht als die DDR und ihr Erbe.

Doch es gibt handfeste Probleme in diesem Text: Schroeder schafft es, den westdeutschen Einfluss auf die ostdeutsche Nazi-Szene komplett auszublenden: Wie mit dem Mauerfall die Kameradschaften den Osten als neuen Rekrutierungsraum für sich entdeckten und sich ungehindert ausbreiten konnten. Wie staatliche soziale und kulturelle Angebote  immer weiter gekürzt wurden — und Alternativen aus der rechten Ecke kamen.

Schroeder konstruiert somit einen autarken rechten Raum in Ostdeutschland — und damit eine weiße Weste für den Westen, denn hier konnten ja bereits in den „80er Jahren rechtsradikale Parteien und neonazistische Gruppen zurückgedrängt werden“. So das Selbstbild der BRD.

Weitere Kritikpunkte an Schroeder liefert ein weiterer Artikel im Tagesspiegel, der heute erschienen ist. Leider wird hier nur noch von „Gewaltbereitschaft“ gesprochen — der Rassismus, der ist offenbar völlig verschwunden. Denn dann müsste man sich ja mit ihm beschäftigen — gesamtdeutsch und ohne sich daran aufzuhängen, die Schuld zwischen Ost und West hin- und herzuschieben.

Alternative Geschichte

Manchmal kann man sich schon darüber wundern, was sogenannte Experten in Interviews sagen:

„Berlin ist immer eine Stadt gewesen, in der notorische Protestwähler zu Hause waren. Früher war das die Alternative Liste, später war das die PDS.“

So der Politikwissenschaftler Jochen Staadt (Forschungsverbund SED-Staatin der Berliner Zeitung.

Allerdings: Vor 1990 konnte die Alternative Liste in der Hälfte der Stadt nicht gewählt werden — ein wenig Differenzierung bei einer jahrzehntelang geteilten Stadt wäre also durchaus angebracht. Und auch die Wahlergebnisse der PDS als Ergebnis einer „Protestwahl“ lassen sich durchaus hinterfragen.

deutschlandkarten aus berliner sicht 3

es gibt eine ganze reihe von landkarten, die eine bestimmte geografisch-politische region aus der angeblich selbstzentrierten sicht vermeintlicher zentrums-bewohner_innen darstellen. das New Yorker Cover mit der welt von der 9th avenue in manhatten aus gesehen, ist vielleicht die bekannteste dieser karten.

ich bin heute auf eine reihe von karten gestoßen, die deutschland (und angrenzende länder) „aus berliner sicht“ darstellen. besonders aufgefallen ist mir dabei eine karte (in zwei versionen), die die frühere grenze zwischen ddr und brd zur abwechslung mal NICHT berücksichtigt. im graphitti-blog findet sich deutschland aus sicht der berliner und im blog von linus neumann eine variante davon. in beiden karten gehört das bundesland thüringen zu den „nordschwaben, die unsere mieten hochtreiben“ und, im fall der graphitti-blog-karte, nicht zum ach so grauen „berliner umland“. 

eine abwandlung dieser karte hat georg jähnig auf seiner seite: deutschland aus berliner sicht. hier sind alle ost-bundesländer (und natürlich kein west-bundesland) mit „nazis“ beschriftet worden, nur thüringen nicht. 

ist das subversiv oder nur (west)berlinzentrische ignoranz?

Tränen

Im Berliner Tränenpalast ist am 14.9.2011 eine Dauerausstellung eröffnet worden: „GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung“ erinnert an die Geschichte des Gebäudes, das eigens für die Grenzabfertigung inmitten der geteilten Stadt errichtet worden war.

Das Dumme ist nur: Die Menschen aus der DDR kamen nur bis zum Vorbau, um sich von ihrer Verwandtschaft zu verabschieden — in vielen Fällen für immer oder zumindest für lange Zeit. Hier kam es zu den namensgebenden Tränen. Und dieser Bau wurde abgerissen, um nach der Wende Platz für ein glänzendes, überdimensioniertes Bürohaus zu schaffen.

Übrig geblieben ist also lediglich der Bau, der dem Besuch aus dem Westen vorbehalten war, der östliche Blick ist des Denkmalschutzes nicht für würdig befunden worden. Doch sollte man froh sein, dass zumindest dies geblieben ist — die höchst unrühmliche Nachwende-Geschichte um das Areal zeichnet Birgit Walter in der Berliner Zeitung nach. Sie zeigt, wie ein Symbol eines freiheitsraubenden Systems vereinnahmt wurde von einem kapitalistischen Spekulanten.

So gesehen ist der Tränenpalast zu einem doppelten Symbol geworden.

Publikation zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit

Einer der Gründe dafür, dass es bei der Integration der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik zu erheblichen Spannungen zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen kam, war sicherlich, dass die Kenntnisse über die einst eingemauerte DDR im Westen gering waren. Doch auch die Bereitschaft der Westdeutschen, die für sie unbekannten Erfahrungen und Sichtweisen der Ostdeutschen kennen zu lernen, sie zu verstehen oder zumindest zu akzeptieren, entwickelte sich nicht so, wie es von vielen Ostdeutschen erhofft wurde.

Dieser kritische Blick auf die Rolle Westdeutschlands beim Vereinigungsprozess ist unter dem Titel „Ostalgie. Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren“ bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen erschienen. Der Sozialwissenschaftler Thomas Abbe untersucht darin, wie Symbole der DDR-Zeit aus dem öffentlichen Raum verschwanden und als „Ostalgie“ wieder auftauchten. Diese versteht er als „Laien-Diskurs über Vergangenheit und Gegenwart der Ostdeutschen“ und damit als Möglichkeit, aktiv über die eigene Vergangenheit zu bestimmen:

Ostalgie weist – mehr oder weniger demonstrativ – darauf hin, dass ein Teil der Ostdeutschen bei ihrer Integration in das vereinigte Deutschland, auf ihre eigenen, von denen der westdeutschen Mehrheit abweichenden Erfahrungen, Erinnerungen und Werte nicht verzichten wollen.