Wirtschaftswissenschaft: Wenn Westdeutschland ganz Deutschland ist

Wirtschaftswissenschaft: Wenn Westdeutschland ganz Deutschland ist

Eine Wissenschaft wie die Wirtschaftswissenschaft funktioniert im Grunde so: Sie stellt eine Frage und sammelt und erhebt dazu alle verfügbaren und sinnvollen Daten. Damit will sie Antworten finden. Dazu gehört auch, dass die Antworten komplex, die Zusammenhänge vielfältig und auch sonst vieles nicht leicht ist. Aber der kleinteilige und differenzierte Umgang mit Informationen ist die Stärke der Wissenschaft. Worauf sonst sollte man sich verlassen?

Aber schauen wir in eine Analyse, die in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienstes veröffentlicht worden ist. Da dieser Text nur gegen Bezahlung gelesen werden kann, legen wir die gekürzte Fassung auf Ökonomenstimme zugrunde. Beide Texte tragen den gleichen Titel:

Verlierer(-regionen) der Globalisierung in Deutschland: Wer? Warum? Was tun?

Das ist also die Forschungsfrage, die beantwortet werden soll. Und sie ist eine etwas seltsame Wahl, denn in einer Fußnote heißt es:

Wir beschränken uns auf regionale Unterschiede innerhalb Westdeutschlands, da die Daten für Ostdeutschland erst ab 1993 vorliegen.

So weit, so gut: Ostdeutschland wird nicht untersucht, weil die Daten nicht mehr hergeben. Alles andere wäre wissenschaftlich nicht sauber gewesen.

Das westdeutsch-deutsche Problem

Dumm nur: Die Autoren ignorieren Ostdeutschland nicht nur, sie vergessen es. Warum sonst weisen sie auf die ostdeutschen Daten ausschließlich in einer Fußnote hin? Wieso suggerieren sie in der Überschrift eine gesamtdeutsche Untersuchung? Weshalb wird der Begriff „Westdeutschland“ nur einmal erwähnt, obwohl er die Datenlage am treffendsten beschreibt? Und warum kommt die Bezeichnung „Deutschland“ 14-mal vor?

Wer ganz genau hinschaut, hätte aber auch schon bei der Illustration misstrauisch werden. So richtig passt die Karte schließlich nicht zur „Deutschland“-Überschrift:

Update

Ökonomenstimme hat bei Twitter auf meine Kritik reagiert:

Aktuelle DDR-Vergleiche #28 — Verfassungsschutz

Bundesinnenminister Thomas de Maizière möchte die Vollmachten des Verfassungsschutzes ausbauen: So sollen die Landesämter für Verfassungsschutz dem Bundesverfassungsschutzamt untergeordnet werden.

Das wird kritisiert. So meint Jürgen Hoffmann von der Deutschen Polizeigewerkschaft, dass es bedenklich sei, alle Kompetenzen beim Bund zu konzentrieren:

Schon in der DDR hatten Zentralbehörden alles bestimmt.

Noch deutlicher wird Kai Christ von der Gewerkschaft der Polizei: Als ostdeutscher Gewerkschafter fühle er sich an die ehemalige Stasi erinnert. Im gleichen Atemzug meint er auch: Eine Art deutsches FBI wolle er auf keinen Fall.

DDR = USA?

Die ehemalige Stasi (im Gegensatz zur gegenwärtigen?) ist also ein deutsches FBI? Dann ist die deutsche DDR also eine gegenwärtige USA? So ein Unsinn! Es ist natürlich genau anders herum.

(Quelle der Zitate: MDR Thüringen)

Wir sind Stasi (wenn es uns passt) — Der Fall Andrej Holm

Wir sind Stasi (wenn es uns passt) - Der Fall Andrej Holm

Das Verhältnis zur Staatssicherheit der DDR ist zwiegespalten: Während ihre Vorgehensweise als „Stasi-Methode“ zur Blanko-Kritik geworden ist, werden die Ergebnisse ihrer Arbeit weiterhin gerne genutzt. Das muss Andrej Holm nunmehr erneut erfahren.

Gentrifizierung, Verhaftung und Stasiakten 2007

2007 wurde der Stadtsoziologe Holm verhaftet, weil er sich wissenschaftlich mit dem Thema „Gentrifizierung“ beschäftigt hatte. Der Begriff wird heute selbstverständlich gebraucht — vor nicht einmal 10 Jahren reichte er aber aus, um Holm eine Nähe zur „militanten gruppe“ zu unterstellen.

Als die Bundesanwaltschaft gegen diese linksradikale Organisation ermittelte, nutze sie Stasiakten. Also auch bei den Ermittlungen gegen Andrej Holm. Dies hat er Ende 2007 in einem Interview mit der taz thematisiert.

In diesem Interview sprach Andrej Holm auch seine Grundausbildung beim Wachregiment Felix Dzierzynski der Stasi an, die er als 18-jähriger begonnen hatte. Und wie er sie rückblickend beurteilt:

Die Reflexion darüber, was Staatssicherheit tatsächlich war, die begann bei mir erst nach der Wende. Seitdem habe ich da auch einen anderen Blick drauf.

Andrej Holm

Foto: Stephan Röhl (CC BY-SA 2.0), Quelle: Flickr

Diskussion um Andrej Holm als Staatssekretär 2016

Letzte Woche wurde Andrej Holm als Staatssekretär des neuen Rot-Rot-Grünen Senats von Berlin benannt. Seine Stasi-Vergangenheit wurde angesprochen und seitdem gibt es eine Diskussion darüber, was diese Entscheidung bedeutet:

Ich halte das für einen Tabubruch.

Hubertus Knabe, Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

Wir haben alle ein Recht auf Irrtum und Korrektur.

Senatorin Katrin Lompscher

Die Berufung verhöhnt die Opfer des DDR-Regimes.

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja

Ich habe Schlussfolgerungen gezogen, dass ich mit wirklich vollster Überzeugung eine Gesellschaft, in der Freiheit, Demokratie, Mitbestimmung und Meinungsfreiheit herrschen, allen anderen vorziehe.

Andrej Holm

(alle Zitate von Zeit Online)

Es werden also Standpunkte formuliert, bei denen an großen Worten nicht gespart wird. Es wird debattiert, was moralisch heute möglich sein sollte und was nicht. Und über den Wissenschaftler Andrej Holm und welche inhaltliche Bedeutung seine Berufung hat, wird überhaupt nicht mehr gesprochen.

B.Z. denunziert mithilfe der Stasi

Die Berliner Boulevard-Zeitung B.Z. geht nun den nächsten Schritt: Sie veröffentlicht die Stasi-Akte Holms. Und sie tut das nicht nur in einem Artikel auf ihrer Website, sondern stellt das Dokument auch auf Facebook bereit. Kaum geschwärzt und ohne journalistische Einordnung. Die aber wäre nötig, um Sprachgebrauch und Inhalt der Quelle zu verstehen.

Mit anderen Worten: Die B.Z. bedient sich der Methoden der Stasi: Sie pfeift auf Persönlichkeitsrechte und fördert eine öffentliche Denunziation. Und ohne Stasi hätte man keine Unterlagen, die man heute noch nutzen kann.

Im oben genannten taz-Interview von 2007 kam auch die Dissidentin Cornelia Kirchgeorg-Berg zu Wort, die im Neuen Forum aktiv war. Ihre Haltung zu Stasi-Unterlagen ist eindeutig:

Für uns war damals klar, dass das nicht rechtmäßig erworbene Informationen sind, und dass die Staatssicherheit eine kriminelle Vereinigung ist. Und darauf soll man plötzlich Zugriff haben? Eigentlich dachte ich, da müsste ein Aufschrei durch die Reihen der BürgerrechtlerInnen gehen.

Jetzt haben wir offenbar alle Zugriff auf diese Informationen. Und wir haben kein Problem damit, sie zu nutzen.

Berichtenswert: Heinz Rudolf Kunze war als Kind in der DDR!

Egon Krenz und Heinz Rudolf Kunze sprechen miteinander, herausgekommen ist das Buch „Ich will hier nicht das letzte Wort“. So langweilig wie es klingt, ist es auch. Aber weil die zwei ja nicht unbekannt sind: Was schreibt man da als Presseagentur in eine Meldung?

Wer in die Leseprobe schaut, findet etwa folgende Erkenntnisse:

  • Das Politbüro hat die Rockkonzerte 1988 in der DDR unterstützt.
  • Heinz Rudolf Kunze meint, dass sich heute mehr Musiker für den Frieden einsetzen sollten.
  • Aus der Sicht von Egon Krenz ist der Kalte Krieg noch nicht vorbei.

Es geht also durchaus politisch und aktuell zu in dem Buch. Was macht also die Deutsche Presse-Agentur daraus? Sie zitiert Heinz Rudolf Kunze, der darüber spricht, wie er als Kind die DDR wahrgenommen hat:

Bei seinen DDR-Besuchen habe er im Umfeld von Omas und Opas, Tanten und Onkeln, nicht einen getroffen, der mit dem System zufrieden gewesen sei.

Egon Krenz darf da nur ergänzen, was man sowieso von ihm erwartet: Es müsse aber auch Leute gegeben haben, die hinter der DDR standen.

In der Presseinformation der Eulenspiegel-Verlagsgruppe heißt es übrigens zur Veröffentlichung:

Das Buch ist allerdings mehr als nur ein Gedankenaustausch zweier interessanter Persönlichkeiten über Vergangenes und Gemeinsames. Es ist auch eine Art Bestandsaufnahme, wie weit wir in Deutschland im mittlerweile ein Vierteljahrhundert währenden Vereinigungsprozess gekommen sind.

So weit dann offenbar noch nicht: Westdeutsche, die über Ostdeutsche reden, die nicht selbst zu Wort kommen. Schon wieder. Oder: Immer noch.

Das DDR-Sport-Kausalitätsparadoxon

Das DDR-Sport-Kausalitätsparadoxon geht so:

  1. Die DDR wollte international anerkannt sein. Mittel zum Zweck: In möglichst vielen internationalen Sportverbänden aufgenommen werden und möglichst viele Medaillen gewinnen.
  2. Wie bekommt man möglichst viele Medaillen? Mittel zum Zweck: Harte Selektion, hartes Training und Doping!
  3. Auch die BRD möchte möglichst viele Medaillen. Mittel zum Zweck bei den Olympischen Spielen 1992: Ein Großteil der deutschen Olympiamannschaft stammt aus der DDR und holt 82mal Bronze, Silber und Gold.
  4. 2016 holte Deutschland 44 Medaillen, das muss mehr werden! Aktuelles Mittel zum Zweck: Das Innenministerium möchte die Spitzensportförderung neu ordnen. Der Fokus liegt auf medaillenträchtigen Sportler_innen und Sportarten.
  5. Die Pläne stoßen auf Kritik. Mittel zum Zweck in den Medien: Eine DDR-Turnerin erinnert sich beim Deutschlandfunk an ihre verlorene Kindheit, der Sender erinnert auch des „besonders im Sport inhumanen DDR-Regimes“ und die taz kombiniert Textpassagen aus dem Sportbeschluss der DDR 1969 mit aktuellen Ansätzen. Welche Absätze woher stammen, verrät sie aber nicht.
  6. Das Paradoxon ist komplett: Wir wollen die Sporterfolge der DDR ohne die DDR. Medaillen um jeden Preis (Gauck: „Ich möchte nicht Präsident eines Landes sein, das Medaillen um jeden Preis will“).
  7. Medaillenspiegel sind fragwürdig? Ach was.

Die Dämonen, die wir riefen: Ostdeutschen-Bashing und Wessi-Diskriminierung 1

„In unserem vereinten Deutschland muss das Ostdeutschen-Bashing endlich ein Ende haben!“

Sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am 9. Oktober 2016 in der Leipziger Nikolaikirche. Was für ein Bashing denn?

War es denn ein Bashing, als Stefan Schirmer im August 2015 in der Zeit einen „Säxit“ gefordert hat, einen Austritt Sachsens aus Deutschland? „Wenn aus Ankommen im gemeinsamen Deutschland Arroganz wird, aus Beleidigtsein Hass […]: dann sollen die Sachsen halt ihr eigenes Land aufmachen. Im Ernst.“

Oder hat Jan Fleischauer im Dezember 2015 auf Spiegel Online mit seiner Frage gebasht, ob die Wiedervereinigung ein Fehler war? (West-)Deutschland solle die eigenen Dämonen in den Blick nehmen, forderte er — und meinte damit Ostdeutschland: Dämonen!

Aber wieso immer nur Ostdeutschen-Bashing? Weit schlimmer ist doch die „Wessi-Diskriminierung“! Astrid von Friesen berichtete im September 2016 bei Deutschlandradio Kultur, wie nach der Vereinigung „enthusiastische Westdeutsche […] begeistert in den Osten zogen, um beim Aufbau mitzuhelfen.“ Doch wurde es ihnen gedankt? Nein! Sie wurden „als Fremde angepöbelt“ — damit würde es ihnen genauso ergehen wie „ausländischen Wissenschaftlern und Flüchtlingen“. Eine „Verrohung“ also, deshalb wollen jetzt ganz viele Westdeutsche weg aus Sachsen, sogar ein befreundeter Rechtsanwalt der Autorin. Bevor es zum „Säxit“ kommt. Der ist ja offenbar abgemachte Sache.

Jan Fleischhauer hat heute wieder eine Kolumne geschrieben. Ob er inzwischen mit seinen Dämonen in Kontakt steht, sagt er nicht. Dafür setzt er sich mit dem „Feindbild Ostler“ auseinander:

„Wenn vom Ostler die Rede ist, bleibt es ja nicht bei der Feststellung, dass er anders ist. Auf die Generalisierung folgt in der Regel die Abwertung. […] Vielleicht sind sich Ost und West ähnlicher als sie denken: Wer es nötig hat, sich auf Kosten anderer Luft zu verschaffen, bei dem stimmt im Psychohaushalt etwas nicht.“

Straßennamen: Überall unbekannt, im Osten schlimm

Wer war Heinrich Kleyer? Wer Rudolf Lipschitz? Und wer zum Geier war Ludwig Rehn? In Frankfurt am Main gibt es viele Straßen, die nach toten Menschen benannt sind — und die lebenden Menschen wissen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, wer diese Persönlichkeiten waren. Das ist nicht ungewöhnlich.

Ganz anders in Güstrow: Dort sind Straßen nach Hans Beimler, Werner Seelenbinder und Clara Zetkin benannt. Und die dort lebenden Menschen wissen nicht, wer diese Persönlichkeiten waren! In der siebtgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns! Das hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung investigativ und ganz alleine herausgefunden. 

Im Text dokumentiert FAZ-Autor Frank Pergande ausführlich seine Straßenumfrage: Unwissen („War das nicht dieser Sportler?“) steht dort neben Misstrauen („Sind Sie jetzt wirklich von der Zeitung?“). Geflissentlich nennt er alle Straßennamen, die offenbar aus der DDR stammen und weder 1991 noch 1999 umbenannt wurden. Störrische Ureinwohner aber auch!

Was Pergande aber an keiner Stelle sagt: Warum sollten die genannten Straßen umbenannt werden? Was ist kritikwürdig an Wilhelm Külz, warum sind August Bebel und Werner Seelenbinder untragbar? Gegen alle Geehrten lassen sich sicher Argumente finden, doch dann sollten diese auch genannt werden. Dass die Benennung in der DDR-Zeit stattfand, reicht da nicht aus.

Oder vielleicht kann man Unwissen doch einfach so anprangern? Wer waren denn nun Heinrich Kleyer, Rudolf Lipschitz und Ludwig Rehn? Und warum gibt es im tiefsten Westen eigentlich eine Rosa-Luxemburg-Straße? Frankfurter Allgemeine Zeitung, bitte kläre über Frankfurter Straßennamen auf!

Aktuelle DDR-Vergleiche #27 — Open Access

„Als Open Access wird der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und anderen Materialien im Internet bezeichnet“, so heißt es bei Wikipedia. Aber ist das gut? Den Boxring betreten zwei Kontrahenten:

Auf der einen Seite: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verfolgt eine Strategie, um Open Access zu unterstützen — es soll fester Bestandteil jeder Förderung werden. In einem Interview mit der Welt verweist Ministerin Johanna Wanka auf ihre Herkunft aus der DDR:

Sie wissen, wo ich herkomme? Aus dem Osten, also einer unfreien Gesellschaft. Bücher waren für uns das Tor zur Welt. […] Kunst und Kultur haben für die Menschen in einer Diktatur einen hohen Stellenwert, mitunter höher noch als in einer offenen Gesellschaft. Für den wissenschaftlichen Bereich war es nicht einfach, Fachliteratur aus dem nichtsozialistischen Ausland zu bekommen.

Auf der anderen Seite: Der Literaturwissenschaftler Roland Reuß gehört als Mitinitiator des „Heidelberger Appells“ zu den Gegnern von Open Access. In der FAZ kritisiert er die Open-Access-Strategie des BMBF — und verweist ebenfalls auf die DDR:

Die publikationsbegleitende Audienz, die Bildungsministerin Wanka der „Welt“ in Gestalt eines Interviews gab, lässt diesbezüglich tief blicken. Es handelt sich um ein schwer goutierbares Ragout aus krud neoliberalen Vorstellungen von Wissenschaftsmärkten („Monitoring“ darf, natürlich, nicht fehlen), virtueller DDR 5.0 (mit Enteignung der geistigen Produktion) und Staatsautoritarismus wilhelminischer Anmutung.

Es sind Momente wie diese, in denen ich ein wenig verwirrt bin. Ist Open Access nun gut, weil es nicht wie die DDR ist? Oder schlecht, weil es wie die DDR ist?

Oder noch viel wichtiger: Was hat Open Access überhaupt mit der DDR zu tun?

Berlin-Wahl: Heute Äpfel, früher Birnen

Berlin-Wahl: Heute Äpfel, früher Birnen

Früher war ja alles besser. Da gab es noch Wahlergebnisse, bei denen eine Partei klar gewann und die anschließenden Koalitionen aus maximal zwei Fraktionen bestanden. Ach, früher!

Die Berlin-Wahl vom Sonntag ist ein gutes Beispiel — sechs Parteien sind nun im Abgeordnetenhaus, drei davon sind notwendig für eine Regierung. Um diesen Umstand zu unterstreichen, hat die Welt eine Infografik erstellt, die die historische Entwicklung darstellen soll:

Berlin-Wahl 1975, 1990, 2016. Grafik: welt.de (19.09.2016)

Dumm nur: An dieser Grafik sind verschiedene Dinge schlicht falsch:

  1. 1990 sind weder die Linkspartei noch Bündnis 90 / Die Grünen angetreten. Beide Parteien gab es zur damaligen Abgeordnetenhauswahl nicht — eine Kontinuitätslinie zur PDS bzw. zur Alternativen Liste zu ziehen, ist recht fragwürdig.
  2. Wenn man es aber doch will: Der PDS-Anteil scheint doppelt so hoch zu sein wie der grüne. Auch das ist fragwürdig, schließlich traten die Alternative Liste und Bündnis 90 — die später zu den Grünen fusionierten — getrennt an. Wenn hier schon eine Kontinuität gezeichnet werden soll, dann hätten diese Werte zusammen gerechnet werden müssen.
  3. Die Wahl 1975 passt nicht in die Reihe: Einige von uns erinnern sich vielleicht daran, dass Berlin (übrigens wie ganz Deutschland) vor 1990 geteilt war. Die 1975er Ergebnisse ließen sich also höchstens mit den Zahlen aus West-Berlin vergleichen. Oder mit Birnen.

Rezension: Deutschboden (Film)

Im Jahr 2010 erschien das Buch „Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung“: Der Journalist Moritz von Uslar verbrachte drei Monate in einer brandenburgischen Kleinstadt und machte so ein großes Ding daraus. 2014 kam eine Verfilmung ins Kino, nun ist sie noch bis 21.9. in der ARD Mediathek zu sehen.

Sollte man sich das ansehen? Nun, die Bildsprache ist sehr schön und die Gespräche mit den Menschen aus Zehdenick sind wunderbare Momente, in denen der Film durchaus einem Lebensgefühl näher kommt. Das Problem sind die ewigen Sequenzen dazwischen, in denen Moritz von Uslar ununterbrochen davon redet, wie er sich gefühlt hat, sich gerade fühlt und noch fühlen wird. Er glaubt, Ostdeutschland besser kennen zu lernen, doch dabei ist er so sehr in seinen Erwartungshaltungen gefangen, dass er der anderen Seite kaum Raum gibt.

Einen Vorteil hat aber seine Unfähigkeit, sich zurückzunehmen: Selten hört man die Vorannahmen über den Osten so präzise formuliert, so ungeschönt ausgesprochen: „Jeder normaler Mensch will hier wegziehen“, sagt er und schon weiß man, wer hier als „normal“ gesetzt wird. Die Menschen, die hier offenbar bleiben, sind es wohl nicht. Nicht umsonst vermittelt von Uslar also den Eindruck, als würde er exotisierte Ureinwohner beobachten, als müsste er allen Mut zusammen nehmen, um die Kneipe zu betreten. Und wie unter Zwang nennt er alle Dinge, die er für Überbleibsel aus der DDR hält. Einem ganz fremden Land wohl. Und wenn der Protagonist sich am Ende angekommen fühlt, da hat man die klassische Heldenreise vor sich. Naja, geblieben ist er dann aber trotzdem nicht.

Ein lehrreicher Film also — nicht unbedingt über den Ostboden, aber über die Person, die ihn betreten hat.