Diskursindustrie, ostdeutsche Stimmen und der Wessi der Woche

Diskursindustrie, ostdeutsche Stimmen und der Wessi der Woche

Frisch aus den Medien: Aktuelle Beiträge zur Darstellung und Wahrnehmung Ostdeutschlands in der Öffentlichkeit. Und ein Spiegel-Redakteur lässt voll den Wessi raushängen.

Diskursindustrie

Die Historikerin Christina Morina sagt im Interview mit dem Spiegel, warum sie die AfD-Ergebnisse in ostdeutschen Bundesländern nicht nur mit Rassismus, Trotz und Frust erklärt. Sie bezieht sich auf die Forderungen der oppositionellen Gruppen 1989 — diese gingen für Basisdemokratie und echte Bürgerbeteiligung auf die Straße. Dies sei aber nie eingelöst worden:

Die repräsentative Parteiendemokratie der Bundesrepublik steht sowohl im Widerspruch zum autoritären »Volksdemokratie«-Postulat der SED als auch zur Basisdemokratie, von der 1989 viele träumten. Die AfD ist die derzeit einzige größere Partei, die sich als Anwältin des Volkes und mehr direkter Demokratie inszeniert, auch wenn sie in Wahrheit eine autoritär-völkische Ordnung anstrebt.

Auch kritisiert Morina, wie in den Medien mit der Ost-West-Debatte umgehen und spricht von einer „Diskursindustrie“:

Problematisch sind die Pauschalisierungen und die abgrenzende Art, in der seit Jahren diskutiert wird — zuletzt etwa die Thesen des Leipziger Germanisten Dirk Oschmann, der den Osten für eine Erfindung des Westens hält. Es gibt inzwischen eine Diskursindustrie, die von der Ossi-Wessi-Zuspitzung sehr gut lebt. Die Realität ist vielfältiger: Die Perspektive auf Ostdeutschland ist nicht mehr so dominant westdeutsch wie noch vor einigen Jahren, und gerade in den Institutionen der Bundespolitik sind Ostdeutsche leicht überrepräsentiert. Wir sollten endlich andere Fragen stellen — etwa, welche Verantwortung auch den Ostdeutschen zufällt, insbesondere denen in Führungspositionen. … Es ist erklärungsbedürftig, dass die neuen Bundesländer ausgerechnet in jenen Jahren zum demokratischen Problemfall wurden, in denen mit Angela Merkel und Joachim Gauck zwei Ostdeutsche an der Spitze des Staates standen. Wieso ist es der AfD in dieser Zeit gelungen, sich zu etablieren? Und warum hat die Kanzlerin erst zum Ende ihrer Amtszeit ihre Herkunft und die besondere demokratiepolitische Aufgabe im Osten öffentlich thematisiert?

Schließlich wirbt sie dafür, auch die Erfahrungen in Westdeutschland ab 1990 explizit in den Blick zu nehmen:

Die Westdeutschen mussten sich von der alten Bundesrepublik verabschieden, sie erlebten 1989/90 auch einen tiefen Einschnitt, was noch viel zu wenig betrachtet wird. Der Verlust von Bonn als Hauptstadt etwa hat viele Menschen beschäftigt, das ist gut belegt. Auch die Belastung des Sozialstaats infolge der Einheit oder die neue Rolle Deutschlands in der Welt waren riesige Herausforderungen, haben viele Gewissheiten erschüttert. … Natürlich konnte der Westen all das besser verarbeiten, das war eine andere Dimension als die massive Transformation im Osten. Aber wer Anerkennung für die ostdeutschen Perspektiven und Probleme fordert, muss auch die Herausforderungen auf der anderen Seite wahrnehmen.

Das hatten wir hier bereits im letzten Jahr als WestdeutschAwareness angesprochen.

Ostdeutsche blicken auf Ostdeutschland

Zwei Beiträge machen durch ihre unterschiedlichen Ansätze und Beurteilungen deutlich, wie gewinnbringend es ist, wenn sich verschiedene Stimmen aus dem Osten Deutschlands in die Debatten über Ostdeutschland einbringen:

Im radioeins- und Freitag-Salon kann man ein einstündiges Gespräch mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk nachhören. Er streift viele Aspekte über Ostdeutschland, kritisiert die Bücher von Katja Hoyer und Dirk Oschmann und verteidigt den Wert der Freiheit.

Auf der ARD läuft heute die Dokumentation „Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen“ von Jessy Wellmer und Dominic Egizzi. Der Film bringt viele verschiedene Stimmen, statistische Daten und Umfrageergebnisse zusammen und zeichnet so ein durchaus komplexes Bild. Die Dokumentation ist bereits in der ARD-Mediathek verfügbar.

In beiden Fällen fehlen aber wichtige Aspekte: Die ostdeutsche Gesellschaft wird nur als weiße Mehrheitsgesellschaft sichtbar, Ostdeutsche of Color sind hier beispielsweise unsichtbar.

Der Wessi der Woche

Begleitet wird die ARD-Dokumentation von einer breiten Aufmerksamkeit anderer Medien. Die Dokumentation wird dabei insgesamt wohlwollend besprochen, den Vogel schießt aber der Spiegel-Beitrag von Christian Buß ab. Bereits Überschrift und Teaser zeigen die von Christina Morina kritisierte „Diskursindustrie“ in Reinform. Spoiler: Im Text selbst wird es nicht besser.

Hör mal, wer da jammert!

Für »Hört uns zu!« kabbelt sich Jessy Wellmer mit Ossis, die sich von Wessis gedemütigt fühlen. Eine ARD-Reportage, in der sich die Recherche im Osten mal nicht wie eine Strafexpedition anfühlt – klasse.

Also lieber Christian Buß, nochmal zum mitschreiben:

  • „Jammer-Ossi“, echt? Sie empfinden die Hinweise eines Berufstätigen als Jammerei, wenn er auf das Lohngefälle zwischen West und Ost aufmerksam macht? Apropos Gefälle: In Ostdeutschland verkauft der Spiegel nur 4% seiner Gesamtauflage. Könnte da nicht auch ein Verlag ins jammern kommen?
  • Jessy Wellmer „kabbelt“ sich? Ich kann mir nicht erschließen, warum Gespräche auf Augenhöhe derart verniedlicht werden. Wäre es erst durch die Teilnahme Westdeutscher keine lustige Kabbelei mehr?
  • Ach ja, die „Strafexpedition“ im Osten. Leider war das zu lange gängige Praxis: Bei Ereignissen in ostdeutschen Bundesländern schickten westdeutsche Medien ihre Journalist*innen schnell dorthin, sie berichteten und zogen wieder ab. Der Begriff weckt aber auch Erinnerungen an die sogenannte „Buschzulage“, die westdeutsche Beamte in Ostdeutschland erhielten. Alles irgendwie Zwang im Ausland, oder?

Jammer-Ossis, die sich kabbeln und die man meist per Strafexpedition beobachten müsse. So schaut also 2023 ein westdeutscher Journalist auf eine gesellschaftliche Debatte. So isser, der Wessi.

Nach der Wahl: Wie werden AfD-Erfolge im Westen erklärt? 1

Ja, auch im Westen Deutschlands gibt es Gebiete, in denen die AfD hohe Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl 2017 eingefahren hat. Während sich die Diskussionen im Osten Deutschlands auf den „Ostmann“ konzentrieren, suchen man auch im Westen nach den Ursachen. Aber was finden die Medien vor Ort? Und was unterscheidet das zur Darstellung zur AfD-Wahl im Osten?

Baden-Württemberg

Im Wahlkreis Heilbronn hat die AfD mit 16,4% den höchsten Wert im Südwesten bekommen. In einem Wahlbezirk holte die AfD 36,9%.

Die Südwest-Presse hat nach den Ursachen geforscht:

Für das gute Ergebnis der AfD im Heilbronner Stadtteil Böckingen hat der Schwabe (63) eine einfache Erklärung: „Das ist eine Neidgeschichte unter Aussiedlern und Flüchtlingen.“

Eine schlüssige Erklärung für den Aufschwung der AfD hat OB Harry Mergel (SPD) nicht. Die Motive der Wähler seien zu unterschiedlich. „Da spielen kulturelle, soziologische und sicher auch soziale Gesichtspunkte eine Rolle.“ Auch in zwei weiteren Heilbronner Einzelbezirken, in denen nur wenige Spätaussiedler leben, hat die AfD die sonst dominierende CDU auf Platz zwei verwiesen. „Dass es im wohlhabenden Wirtschaftsraum Heilbronn viele Anhänger der AfD gibt, beweist, dass sich die AfD-Wähler nicht auf die sozial Vernachlässigten reduzieren lassen“, erklärt OB Mergel.

Der Artikel geht hier ähnlich wie auch andere Beiträge vor: Auf die Straße gehen, mit den Leuten sprechen, den Bürgermeister fragen. Und auch das Ergebnis ist ähnlich: Das Flüchtlingsthema auf der einen Seite, Ratlosigkeit im Rathaus auf der anderen Seite. In diesem Fall fällt auf, wie der Bürgermeister auf die Vielfältigkeit der Motivation für eine Wahl der AfD verweist.

Bayern

Im Wahlkreis Deggendorf erhielt die AfD bayernweit die meisten Stimmen. Im Deggendorfer Wahllokal St. Martin überholte die AfD mit 31,5 Prozent die CSU.

In der Welt sieht Deggendorfs Landrat Christian Bernreiter (CSU) in der Ankunft Tausender Flüchtlinge in der Region eine der Ursachen für den AfD-Erfolg.

„Hier haben die Leute hautnah erlebt, wie die Flüchtlinge ankamen.“ Die Ängste seien groß, es gebe viele Menschen mit geringer Rente. „Sie haben wohl den Eindruck: ‚Wir kriegen nix und für die Flüchtlinge ist viel Geld da‘“, mutmaßt Bernreiter.

In der Süddeutschen Zeitung heißt es:

Warum jetzt AfD? Weil die CSU nichts tue gegen Flüchtlinge. […] Es wirkt wie nach einer Party, bei der man mal richtig die Sau rausgelassen hat und jetzt verkatert-beschämt am liebsten nicht darüber reden will.

Und die Passauer Neue Presse erhält von den Bürgermeistern der Gemeinden Mauth (AfD: 28,11%), Prackenbach (26,5%) und Philippsreut (24,6%) jeweils ähnliche Antworten: Sie können sich das Abschneiden der AfD nicht erklären.

Also auch in Bayern: Das Thema Geflüchtete ist ein zentrales Motiv der Berichterstattung. Und die Süddeutsche bringt eine weitere Facette in die Ursachensuche: Die Wahl war ein Ausrutscher, jetzt fühlt man sich fast verschämt.

Hessen

Bei den Zweitstimmen hat die AfD im Wahlkreis Fulda mit 15,8 Prozent das für sie beste Ergebnis unter allen 22 Wahlkreisen in Hessen eingefahren.

Bei der Frankfurter Neuen Presse finden Angehörige der CDU für das AfD-Ergebnis diese Erklärungen:

Der Fuldaer Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) sieht seinen Heimatwahlkreis trotz des starken Abschneidens der AfD bei der Bundestagswahl nicht als Ausreißer. „Der Bundestrend hat komplett durchgeschlagen”

Ziel müsse es sein, enttäuschte Protestwähler in vier Jahren wieder zurückzuholen, erklärte Brand. Denn die stellen für ihn die Mehrheit unter den AfD-Wählern.

Der Fuldaer CDU-Kreisvorsitzende Walter Arnold wollte den Wahlerfolg der AfD nicht überbewerten.

In Hessen ist ein überdurchschnittliches AfD-Ergebnis also eine Mischung zwischen Bundestrend, Protestwahl und nicht so schlimm. Oder anders gesagt: Eigentlich hat niemand in Fulda ernsthaft AfD gewählt. Und wenn doch, war es nicht ernsthaft.

Nordrhein-Westfalen

In Gelsenkirchen hat die AfD 17% geholt. „In keinem anderen westdeutschen Wahlbezirk holte die AfD mehr Stimmen als in Gelsenkirchen“, heißt es bei Der Westen. Eine Erklärung sucht der Artikel allerdings nicht.

Dafür ging die ARD auf die Straße und hat Passanten und Politiker befragt:

Die zentralen Themen also auch hier: Flüchtlinge, Ausländer. Zur Sprache kommt aber auch, dass sich die Menschen „nicht mitgenommen fühlen“, dass sie „sich Sorgen machen“, dass sie „Protestpotenzial“ haben.

Rheinland-Pfalz

Nahezu sächsische Verhältnisse herrschen allerdings in Germersheim in der Südpfalz: Hier stimmten 22,1 Prozent der Wähler für die neuen Rechten.

So heißt es bei der Wormser Zeitung. Mit Blick auf die Statistik findet sie diese Zusammenhänge:

Auffällig ist zudem, dass die AfD überwiegend dort stark war, wo mehr Protestanten wohnen. Auch Arbeitslosigkeit schien ein Faktor zu sein, AfD zu wählen: In Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit schnitt sie stärker ab als in Gebieten mit einer niedrigeren Quote.

Das Wahlergebnis in Germersheim versucht auch die Allgemeine Zeitung zu erklären:

Der Migrantenanteil liegt bei etwa 22 Prozent. Menschen aus über 100 Nationen leben hier aktuell. So viele wie kaum irgendwo sonst auf so kleiner Fläche. Über 2000 Studenten belegen an der Hochschule, einer Abteilung der Uni Mainz, sprach- und kulturwissenschaftliche Studiengänge.

Einigen Germersheimern wird es aber offenbar zu bunt. Ausländer. Wie aus der Pistole geschossen, kommt die Antwort, wenn man in der Stadt nach den Gründen für das gute AfD-Ergebnis fragt.

Dass die meisten AfD-Wähler die Vielfalt ablehnen, hält hingegen der Germersheimer Bürgermeister Marcus Schaile (CDU) nicht für den Hauptgrund des Wahlergebnisses. Protesthaltung und Uninformiertheit seien vielmehr ausschlaggebend gewesen. „Wir werden uns jetzt im Stadtrat zusammensetzen und danach auf die Leute zugehen.“

Und auch in Germersheim: Ausländer und Protest. Aber auch: Fehlendes Wissen.

Der unvermeidliche West-Ost-Vergleich

Wie im Osten Deutschlands versuchen also auch die Medien in Westdeutschland zu erklären, wie es zu hohen AfD-Ergebnissen kommt. Neben dieser Gemeinsamkeit gibt es aber auch drei grundlegende Unterschiede:

Menschen statt Experten

Die westdeutsche Ursachenforschung findet mit Fragen vor Ort statt. Der kleine Mann auf der Straße und der große Mann im Rathaus kommen zu Wort, am Ende kommt ein Stimmungsbild heraus.

Ganz anders der Osten: Hier wird mit Experten gesprochen. Da zitiert n‑tv die Bundeszentrale für politische Bildung, den Soziologen Raj Kollmorgen und den Forsa-Chef. Die Leipziger Volkszeitung spricht mit Politikwissenschaftler Hendrik Träger. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Im Zweifelsfall finden die Journalist_innen selbst die Ursachen für die Ost-Ergebnisse. Bei der Erklärung der AfD im Westen halten sich die Autor_innen hingegen zurück.

Protest und Ausrutscher statt strukturellem Problem

In den Beispielen oben wird immer wieder „Protestwahl“ als Motivation genannt. Manchmal wird das Ergebnis der AfD auch so klein geredet, als hätte es dieses gar nicht gegeben. In jedem Fall suggeriert auch die Form der Straßenumfrage: Das waren einzelne Entscheidungen.

Geht es um die Ost-Ergebnisse, wird allerdings schnell eine strukturelle Ursache gefunden. In der Frankfurter Rundschau etwa erklärt Psychologe Jörg Frommer die AfD-Ergebnisse mit der „Erziehung zur Unselbständigkeit“ in der DDR. Ob eine solche Erklärung für Baden-Württemberg ebenfalls gelten dürfte?

Ignorieren statt thematisieren

Und schließlich: Sehr viel mehr als die oben zitierten Artikel zu westdeutschen AfD-Ergebnissen gibt es nicht. Das Nachdenken über AfD-Wahlergebnisse im Westen findet also nur am Rande statt. Dabei sollte es uns alle interessieren, warum 4 Millionen Menschen die AfD gewählt haben. So viele waren es nämlich in Westdeutschland. In Ostdeutschland waren es 2 Millionen, die nun aber stark im Fokus stehen. Die Suche nach Erklärungen bringt hier hoffentlich ein gutes Ergebnis — den Westen darf man aber darüber nicht vergessen.

Nach der Wahl: Ich-Erzähler erzählen über Ostdeutschland

Oh, diese Ostdeutschen! Diese Ostmänner! Nach der Bundestagswahl 2017 zeigen sie vor allem: Die gesamtdeutschen Zeitungsmacher_innen verstehen sie einfach nicht. Was läge also näher, als sich diese Spezies einmal genauer anzusehen? Doch diesmal ist alles schwieriger, schließlich fühlen sich diese Menschen nicht verstanden. Welch Rätsel, dass den westdeutschen Qualitätsmedien da gestellt wird!

Doch Lösung naht! Und sie lautet: Betroffenheitsjournalismus. Dabei geht es nicht nur um die Texte, ihre Beobachtungen und ihre Schlussfolgerungen. Nein, es geht auch um die Menschen hinter den Texten. Denn sie sollten etwas mit Ostdeutschland oder besser noch mit der DDR zu tun haben. Oder besser noch: Betroffene sein.

Dieser Ansatz war so naheliegend, dass kaum eine wichtige Zeitung in Deutschland in den Tagen nach der Bundestagswahl ohne einen entsprechenden Text blieb. Irgendwie schaffte es fast jede Redaktion Menschen mit Ost-Biografie, Ost-Erfahrung oder zumindest Ost-Bekanntschaften auszugraben.

Soviel Osten auf einmal war selten. Wir bieten daher einen Überblick zu diesen Texten. Damit alle endlich etwas über den Osten lernen. Aus erster Hand. Oder aus zweiter Hand. Oder von jemanden, der mal jemanden kannte, der früher was von jemandem gehört hat.

Wer diese Liste ergänzen möchte — gerne bei uns melden!

Der Ostmann

Näher dran ist keine andere Kategorie, denn der „Ostmann“ stand seit dem Wahlergebnis im Mittelpunkt der Diskussion. Nur in dieser Kategorie wird nicht über ihn geredet, hier redet er selbst. Und man kann feststellen: Offenbar gibt es nicht allzu viele Ostmänner, die bundesweit über sich schreiben.

  • Titel: „Oh, Ostmann!“ 
    • Erschienen in: Die Zeit
    • Zitat: „Ich bin ein ostdeutscher Mann, und eigentlich hatte ich eine Ehrenrettung schreiben wollen.“
  • Titel: „Ich bin der ostdeutsche Mann“ 
    • Erschienen in: Berliner Zeitung
    • Zitat: „Ich schreibe diese Zeilen als Betroffener. Ich bin seit meiner Geburt ein ostdeutscher Mann. Für meine Mutter war das nie leicht, zumal auch mein Bruder trotz aller ärztlichen Bemühungen ein ostdeutscher Mann wurde.“

Bonus: Der Ostmann im Westen

Wenn man als Redaktion keinen Ostmann im Osten zur Hand hat, kann man ja zumindest einen Ostmann nehmen, der im Westen lebt. Seit über 10 Jahren.

  • Titel: „AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl 2017: Hannes (30) aus Thüringen vergleicht das Revier mit seiner Heimat“ 
    • Erschienen in: Der Westen
    • Zitat: „Hannes Bieler (30) kommt aus Roßleben in Thüringen. Wie nahezu alle seiner Klassenkameraden kehrte er seiner Heimat nach Abi und Zivildienst den Rücken. Ihn zog es vor elf Jahren in den Westen.“

Die Ostfrau

Immerhin kommt auch sie aus dem Osten und kennt sowohl Land als auch Leute/Männer aus eigener Anschauung. Das ist pures Betroffenheitsgold! Kein Wunder, dass es davon mehrere Texte gibt.

  • Titel: „Die späte Rache der Ossis“ 
    • Erschienen in: die tageszeitung (taz)
    • Zitat: „Was ist los mit dem Land, in dem ich geboren worden bin und eine glückliche Kindheit hatte? In dem ich studiert habe und das ich – ich kann nicht anders – nach wie vor meine Heimat nenne.“
  • Titel: „Wir Ossis sind nicht alle Neonazis!“ 
    • Erschienen in: Der Tagesspiegel
    • Zitat: „Bei all dem Ostbashing gestehe ich hier: Ich bin Ossi. Bin ich jetzt auch Neonazi? Zumindest Neonazi-Versteherin?“
  • Titel: „Kaum läuft was schief, sind die dumm-naiven Ossis schuld“ 
    • Erschienen in: Nordkurier
    • Zitat: „Die Wahrheit wollen sie uns erzählen, über uns Ostdeutsche, deren Männer zu mehr als einem Viertel AfD gewählt haben.“
  • Titel: „Werden die Ossis zu nett behandelt?“ 
    • Erschienen in: Die Zeit
    • Zitat: „Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen, ich lebe hier. Ich treffe täglich irgendwen, der AfD gewählt hat. Diesen Leuten geht es nicht mehrheitlich schlecht. Ihre Wahl war kein Akt der Verzweiflung, sondern einer der gefühlten Emanzipation. Und: eine politische Entscheidung.“

Bonus: Die Ostfrau im Westen

Da gab es doch diese Frau aus dem Osten in der Redaktion? Die immer wieder Wert darauf legt, dass sie ja gar nicht mehr Osten lebt? Die soll mal was schreiben! Wir haben ja sonst keinen für das Thema.

  • Titel: „Immer auf den Osten“ 
    • Erschienen in: Die Welt
    • Zitat: „Ich bin zwar kein Mann, aber ich bin auch aus dem Osten. Man sieht es mir nur nicht an, denn ich lebe nicht mehr im Osten, sondern schon sehr lange im Westen. Ich wohne schon länger im Westen, als ich im Osten gewohnt habe, länger als die DDR untergegangen ist. Ich wohne in einem Stadtteil von Berlin, der so westlich ist, wie kaum ein anderer, und soweit ich es überblicken kann, bin hier weit und breit die Einzige aus dem Osten. Ich arbeite auch im Westen, nicht nur geografisch, sondern auch politisch, nämlich bei einem Zeitungsverlag, der den Osten, als es ihn noch gab, bekämpft hat, so lange, bis er untergegangen war.“
  • Titel: „AfD im Osten: Ich verstehe das Ergebnis in meiner Heimat nicht“ 
    • Erschienen in: „Neue Westfälische“
    • Zitat: „Ich lebe bereits seit 2003 in Nordrhein-Westfalen. Als ich hierher zog war ich 19, aufgewachsen bin ich aber in Cottbus. Das ist meine Heimatstadt, so sehe ich sie auch heute noch.“

Der Westbesuch

Sehen wir der Wahrheit ins Auge — viele Redaktionen in Deutschland kennen gar keine echten Ost-Menschen. Seitdem es keine West-Pakete mehr gibt, ist schließlich der letzte Kontakt abgerissen. Und eigentlich muss man auch nicht viel über sie wissen: Was Politik und Klamotten angeht, werden sie ewig hinterherhinken und ansonsten sind sie zu langweilig und egal, um etwas über sie wissen zu müssen. Aber um etwas Empathie zu simulieren, da gibt es ja zum Glück noch die älteren Kollegen. Die sollen einfach mal von früher reden.

  • Titel: „Die Unsolidarischen — über den Erfolg der AfD bei ostdeutschen Männern“ 
    • Erschienen in: Stern
    • Zitat: „Ich habe die DDR von den 60er-Jahren, als ich noch ein kleines Kind war, bis zu ihrem Ende nahezu jedes Jahr mindestens einmal besucht.“
  • Titel: „Vom letzten Tag der DDR“ 
    • Erschienen in: Süddeutsche
    • Zitat: „Ich saß also am letzten Arbeitstag der DDR-Justiz im Amtszimmer des Gerichtsdirektors an der Littenstraße. Und ein paar Szenen, die Stimmung dieses Tages dort, möchte ich Ihnen heute schildern, weil am Dienstag der Tag der Deutschen Einheit gefeiert wird — genau 27 Jahre ist das alles nun her.“
  • Titel: „DDR-Korrespondent liest auf dem Campus“ 
    • Erschienen in: Rheinische Post
    • Zitat: „Kaum ein Journalist hat das letzte Jahrzehnt der DDR so nah erlebt, wie der aus Heiligenhaus stammende Peter Wensierski. Als jüngster westlicher Reisekorrespondent schrieb er ab 1979 Berichte und Reportagen über das Leben hinter dem „eisernen Vorhang“ und hatte Einblicke in Lebenswelten und Gedanken der Menschen dort.“

Auslandsbesuch

Wir Deutschen, wir haben uns ja immer so schwer mit unserer geteilten Vergangenheit. Warum nicht mal einen britischen Historiker zu Wort kommen lassen? Der ist nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Ausländer. Dem stellen wir dann auch mal die Fragen, die wir uns in Deutschland auch stellen. Aber nicht wagen zu sagen. Jetzt aber!

  • Titel: „Ostdeutschland war von Anfang an ein Fehler, sagt dieser Historiker“ 
    • Erschienen bei: Vice
    • VICE: Machen die Ostdeutschen uns alles kaputt?
    • VICE: Glauben Sie, dass der Osten gefährlich für Deutschland ist?

IMfiziert #3: Detlev Spangenberg

Das hat ja gedauert: Die Alternative für Deutschland (AfD) steigt in den Umfragewerten, der Westen zeigt mit dem Finger auf den Osten — und erst jetzt taucht ein IM-Verdacht auf. Detlev Spangenberg, sächsischer Landtagsabgeordneter der Partei, soll als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gearbeitet haben. „Godwin’s Law (Stasi-Edition)“ schlägt wieder zu.

Und die Freie Presse berichtet: Spangenberg ist nicht erreichbar, Fragen in der Fraktion wenig erfolgreich, Mitglieder des Bewertungsausschusses geben sich „zugeknöpft“. Kein Wunder, sind sie doch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Aber, ach wie ärgerlich — wo die Zeitung doch von der Ungeheuerlichkeit berichten will!

Also bleiben nur bekannte Fakten, und die klingen weit weniger reißerisch:

  • Detlev Spangenberg war vermutlich von 1964 bis 1967 IM. Er war 19 bis 23 Jahre alt. Ein Alter, in dem Jugendliche heute gerne Tutorial-Videos auf Youtube hochladen.
  • Er handelte aus freien Stücken. Sagen zumindest die Unterlagen der Stasi. Der man ja gerne vertraut.
  • „Ich bin ja ein Betroffener“, sagte Spangenberg über seine Akten: „Als ich dann Einsicht nahm, war darin viel Blödsinn enthalten.“ Er meinte damit Dokumente zu seiner Republikflucht.
  • Sein erster Fluchtversuch misslang, Detlev Spangenberg landete über ein Jahr im Gefängnis.
  • Schließlich gelang die Flucht und er wurde Mitglieder der CDU.
  • Wie lange er in der Partei war, ist für die Freie Presse ein Mysterium: „bis 2004, gab er mal selbst an; bis 2006, heißt es auf der Internetseite des Landtags.“

So mag dies der schwerwiegendste Vorwurf sein:

„Dass er mal in der CDU war, hat er der AfD mitgeteilt, der er 2013 beitrat. Über eine 50 Jahre zurückliegende Stasi-Tätigkeit habe er hingegen keine Angaben gemacht.“

Dass es mal soweit kommen musste: Stasi- und CDU-Tätigkeiten in einem Atemzug! Zumindest erwähnt die Freie Presse nicht Spangenbergs Engagement in rechten Gruppierungen.