Bis sie dann gestorben sind: Niemand zuständig für Betriebsrente der DDR

Wer bei der Reichsbahn der DDR gearbeitet hat, hat keinen Anspruch auf eine Betriebsrente von der Deutschen Bahn. Diese Entscheidung hat am 18. Januar das Bundesarbeitsgericht in Erfurt in einem Grundsatzurteil gefällt.

Die Begründung: Da die betriebliche Altersversorgung der Reichsbahner_innen 1974 vom gesetzlichen Rentenversicherungsträger der DDR übernommen worden sei, sei die Bahn die falsche Ansprechpartnerin. Das Problem ist nur: Die Sozialgerichte haben in der Vergangenheit die Ansprüche der Eisenbahner abgelehnt und an die Arbeitsgerichte verwiesen. Diese haben den Ball nun zurück gespielt, die Erfolgsaussicht für das Anliegen der 40.000 bis 80.000 Betroffenen im Rentenalter sieht schlecht aus.

Einen bitteren Beigeschmack erhält das Vorgehen durch eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts: Die Ansprüche der Reichsbahner_innen sind nach der Wende nicht automatisch getilgt worden. Die Zahlungen stehen ihnen also zu, es findet sich nur niemand, der ihnen dieses Geld zahlen will.

Juristisch mag die Entscheidung des Arbeitsgerichts also einwandfrei sein — moralisch sendet sie aber völlig falsche Signale aus: Hier wird auf Zeit gespielt. Und: Selbst vertraglich geregelte Ansprüche aus der DDR-Zeit sind nichts wert, wenn sich niemand zuständig sieht.

Presseschau: Stirb Stasi, stirb

An gewissen Themen lassen sich immer noch Medien aus Ost und West gut voneinander unterscheiden. In dieser Woche etwa ist die Renovierung der Berliner Stasi-Zentrale abgeschlossen worden.

Die ostdeutschen Presseberichte dazu blicken in erster Linie auf die Geschichte und bautechnischen Einzelheiten der Renovierung:

In der Thüringer Allgemeinen wird vor allem die Innengestaltung beschrieben:

Als die Bürgerrechtler am 15. Januar 1990 Mielkes Büro betraten, waren sie zunächst erschrocken: „Wir hatten modernes Gerät erwartet, doch hier war alles wie in den 50er-Jahren.“

Die Märkische Allgemeine nutzt die Gelegenheit, um deutsch-deutsche Befindlichkeiten zu ergründen:

Es gehört zu den Erfahrungen der Wiedervereinigung, dass westlich sozialisierten Deutschen östlicher Geruch in die Nase steigt, sobald sie östliches Interieur vor sich haben. Ost-Menschen haben diesen Geruchssinn nicht.

In der Berliner Zeitung resümiert der Museumsleiter die Sanierungsarbeiten:

Museumschef Jörg Drieselmann […] ist zufrieden mit der Sanierung – aber nicht nur. „Froh bin ich, weil am Haus erheblicher Reparatur-Bedarf bestand“, sagt er. Nicht ganz glücklich sei er, weil Teile der historischen Substanz der Sanierung zum Opfer fielen.

Westdeutsche Medien hingegen finden starke Worte, um die Stasi zu beschreiben — ganz so, als ob sie eben erst aus dem Haus vertrieben worden wäre. Über eine Sanierung schreiben, das bedeutet hier auch, gegen einen Geheimapparat eines untergegangenen Staates zu schreiben.

Der Tagesspiegel schafft es, aus den friedlichen Revolutionären von 1989 moderne Wutbürger zu machen — die Demos gegen die DDR-Regierung auf einer Ebene mit dem Widerstand gegen Stuttgart21?

Von dieser spießigen Ödnis aus wurde das Stasi-Imperium dirigiert und das DDR-Volk drangsaliert, bis vor 22 Jahren mutige Wutbürger Schild und Schwert der allmächtigen Partei zerbrachen und den riesigen Stasi-Komplex an der Lichtenberger Normannenstraße ins Volkseigentum überführten.

Die FAZ übt scharfe Kritik am „Starrsinn vor allem der ‚Antistalinistischen Aktion‘, die in den Jahren nach 1990 immerhin dafür sorgte, dass das Gebäude nicht für Supermärkte geopfert wurde und damit nicht der Vergessenheit anheim fiel:

[Die Bürgerkomitees] haben unbeirrbar — manche sagen auch unbelehrbar — daran festgehalten, dass die ehemalige Stasi-Zentrale ein exemplarischer deutscher Geschichtsort ist, den zu erhalten sie angetreten sind.

Und die Berliner Morgenpost verweist auf die spießige Einrichtung und feiert einen überraschenden Sieg:

So schick wie jetzt war die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit noch nie. Vor allem nicht zu DDR-Zeiten. […] Als Ausgleich haben die alten und neuen Nutzer die Gewissheit, schöner zu arbeiten als einst selbst die engsten Mitarbeiter des fast allmächtigen Stasi-Chefs. Auch das ist ein Sieg über die DDR.

Denk-mal-Schutz

Kaum wird ein Gebäude in Berlin renoviert, kochen die deutsch-deutschen Gefühle wieder hoch. So geschehen beim Berliner Fernsehturm, der für 1,5 Millionen Euro modernisiert wird: Während die (aus dem Ostteil stammende) Berliner Zeitung den neuen Komfort begrüßt und sich auch der (westdeutsch sozialisierte) Tagesspiegel auf die Rückkehr der Wohlfühlatmosphäre freut, nahm Gunnar Schupelius vom Boulevardblatt B.Z. die Bautätigkeit zum Anlass, einen Kommentar zu schreiben: Für „Ostalgie“ habe ich nichts übrig. Er ätzt darin über „Ostalgie“, die aus seiner Sicht einen verbrecherischen Staat verharmlose. Und nicht nur das: Letztlich verharmlose offenbar alles, was an die DDR erinnert, diesen Staat. Einige seiner Beispiele zeugen tatsächlich von einem gedankenlosen Umgang mit der Vergangenheit — etwa das unsägliche „Ostel“. Was allerdings so verwerflich an Broilern und der Domklause sein soll, mag sich mir nicht erschließen.

Nach einer Woche antwortet Schupelius in einem Kommentar auf die Zuschriften zu seinem Text unter dem Titel Was über die DDR gesagt werden darf. Er spult hier alte westdeutsche Klischees über die DDR ab (keine Jeans und kein genießbarer Kaffee) und kann auch hier nicht erklären, wo er die Verbindung zwischen eingeschränkten Grundrechten und Orten des DDR-Lebens sieht. Oder wie er sich eine Auseinandersetzung mit diesem Teil deutscher Geschichte vorstellt, wenn sie nicht sichtbar sein darf. (An eine Reflektion, wie im Westen mit Orten und der Vergangenheit des Landes umgegangen wird, möchte ich hier noch nicht einmal denken.)

Und vor allem: Was hat das alles mit einer Renovierung des Fernsehturms zu tun?

Reisen in Dunkeldeutschland 9

Vielleicht ist es einfach nur Zufall: In letzter Zeit werden ostdeutsche Themen oft literarisch verpackt. Ein kurzer Überblick:

Den Deutschen Buchpreis 2011 hat Eugen Ruge für seinen autobiographischen Roman erhalten: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“  schildert das Leben einer Familie in der DDR.

Im Zuge der „Wiederentdeckung“ der rechten Gewalt in Ostdeutschland schickte das ZDF Steven Uhly nach Jena. Uhly ist Schriftsteller und hat einen Roman geschrieben, in dem Neonazis Türken ermorden. Er wohnt in München, „sieht nicht deutsch aus“ (wie er selbst sagt) und hat Angst im Osten Deutschlands. Gegen diesen Beitrag der Kultursendung „kontraste“, in dem von der „ostdeutschen Angstzone“ gesprochen wird, ist bereits Kritik laut geworden. Am Ende des Beitrags hat sich Uhlys Blick auf den Osten Deutschland nicht gewandelt, er steht in der Abenddämmerung.

(Dieses Video wird wahrscheinlich bald aus der ZDF-Mediathek verschwinden — dann bleibt nur noch der Beitrag auf der Website von „kontraste“.)

In der Zeit schließlich gibt es einen Beitrag der Thriller-Autorin Claudia Puhlfürst über den „Horror, der Geschichte schreibt“. Die Schriftstellerin wohnt in Zwickau und fühle sich von der Realität überholt; sie vergleicht ihre Romanfiguren mit der beschaulichen Bürgerlichkeit Zwickaus. Sie stellt aber auch fest:

Die Tatorte aber liegen nicht in Zwickau, nicht mal in der Nähe, am „dichtesten“ dran ist Nürnberg, mehr als 200 Kilometer weit weg. „Zwickauer Zelle“?

Sie hätte schon hier die gesamte Voraussetzung für ihren Artikel überdenken können, aber vielleicht ist es diese Erkenntnis, durch die ihr Beitrag zur Debatte nicht ganz so dunkel erscheint. Vielleicht hilft eine literarische Verpackung bei aktuellen Debatten aber auch nur bedingt weiter.

Nachtrag 30.11.2011: Steven Uhly hat einen ausführlichen Text auf thueringer-allgemeine.de geschrieben — er beschreibt seine Erfahrungen beim Dreh des Beitrags und wie durch Schnitt, Bildersprache und Off-Kommentar Stimmung erzeugt wird. Und wie seine eigenen Erfahrungen mit dem Ostens Deutschlands auf das Gefühl der Angst reduziert worden sind. Ein wichtiger Grund für seine Angst sind Medienberichte über rassistische Vorfälle im Osten — und hier schließt sich der Kreis, wenn (westdeutsche) mediale Berichterstattung ihre eigenen Bilder zu bestätigen sucht und dabei auf Menschen trifft, die vor allem diese Bilder aus den Medien kennen. Nichts anderes hat meiner Ansicht nach der ZDF-Beitrag getan, in dem Uhly auftritt. Damit wird wieder einmal mit einer Außenperspektive auf rassistische Vorgänge im Osten geworfen, die stark homogenisiert und vereinfacht.

Vielen Dank auch an dieser Stelle nochmal an Urmila für die Diskussion zu diesem Beitrag, in der wir einige Punkte, die Steven Uhly in diesem Artikel anspricht, auch schon angerissen hatten.

Symbolische Gestern

Die Junge Union ist ja immer für absurde Forderungen zu haben — vor einigen Jahren wollte sie älteren Menschen das Einsetzen künstlicher Hüften nicht mehr von den Krankenkassen zahlen lassen, da dies zu teuer sei. Einfache Logik.

Nun hat sie dem CDU-Bundesparteitag einen Antrag vorgelegt: Es solle geprüft werden, ob die Verherrlichung der DDR durch sogenannte „Ostalgie-Produkte“ verboten werden könne. Diese Symbole seien nämlich ebenso gefährlich wie rechtsradikale Organisationen. Die Logik erscheint einfach: Solange die aus der Zone immer noch ihre alten Produkte und Erinnerungen pflegen, sind sie noch nicht im Rechtsstaat angekommen und solange sind sie immer sehr gefährlich.

Ach ja, einfache Logik. Wenn wir die Junge Union nicht hätten…

Luxus-Gärten im Osten

Oft entsteht Ungerechtigkeit durch Unwissenheit. So auch in diesem Fall:

Ab 2013 gilt eine neue bundesweite Rundfunkgebührenordnung, in der festgelegt ist, wer wo GEZ-Gebühren zu zahlen hat und wo nicht. Grundsätzlich hieß es: Geräte auf Kleingärten sind von der Gebührenpflicht ausgenommen. Tatsächlich betrifft dies nun „Baumaßnahmen nach Paragraf 3 des Bundeskleingartengesetzes“ — was in vielen Fällen ostdeutsche Datschen und Lauben nicht als Kleingarten anerkennt und damit von der Gebührenbefreiung ausnimmt.

Warum das? In der Bundesrepublik waren Kleingärten schon lange auf eine Größe von 24 Quadratmeter beschränkt, in der DDR hingegen auf 40 Quadratmeter. Für die GEZ-Gebühr gilt aber nur die Obergrenze von 24 Quadratmetern — alle ostdeutschen Kleingärten, die nach klassisch-westdeutschem Verständnis zu groß sind, müssen daher zusätzliche GEZ-Gebühren zahlen.

Die genauen Einzelheiten bei thueringer-allgemeine.de.

Nachtrag 22.11.2011: Inzwischen gelten ostdeutsche Kleingärten auch als Kleingärten im Sinne der ARD.

Am Beispiel der Kanzlerin

Sie, Frau Bundeskanzlerin, wissen, was es heißt, sich eine Gesellschaft erst erschließen zu müssen. Wenn man so will, sind Sie auch ein Mensch mit Migrationshintergrund.

W. Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums Berlin, verleiht am 24.10.2011 den „Preis für Verständigung und Toleranz“ an Angela Merkel (Beitrag auf dradio.de)

Die deutsche Bundeskanzlerin hat einen Lebenslauf, der in kein Schema passt: Sie wurde 1954 in Hamburg geboren, aber ihre Familie zog wenige Wochen später mit ihr in die DDR. (Normalerweise hätten sie aus der DDR flüchten müssen.) Ihr Vater war Pfarrer bei Perleberg. (Normalerweise hätte dies ein anderer Beruf sein müssen, da es keine Gläubigen in der DDR gab.) Sie erlangte den Doktorgrad der Physik. (Normalerweise hätte sie dafür in der SED sein müssen; zumindest war sie in der FDJ aktiv — in welcher Funktion, darüber wird immer noch gestritten.) Nach der Wende wurde sie überraschend zur Bundesministerin für Frauen und Jugend. (Normalerweise hätte sie über Jahre ihre Kompetenz in der Partei beweisen müssen, denn im Westen Deutschlands wurde im Gegensatz zur DDR nach Qualifikation geurteilt.)  Und schließlich wurde sie Bundeskanzlerin. (Normalerweise hätte sie dafür eine westdeutsche Biographie vorweisen und ein Mann sein müssen.)

(Biographische Angaben nach Wikipedia)

Angela Merkel zeigt also, dass der amerikanische Traum auch im vereinigten Deutschland gilt: Du kannst als Tellerwäscher bzw. Ostdeutsche_r alles erreichen, wenn du es nur willst.

Das wäre zumindest eine Theorie. Die andere lautet: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Und der Rest wählt rechts 1

Wenn etwas gefährlich ist, dann sind es Vereinfachungen. Im Osten Deutschlands leben nur Nazis ist eine davon. Die Begründungen (Kindergärten, Abschottung durch Mauer) sind sogar noch einfacher und dümmer, haben aber eines gemeinsam: Sie verweisen in der Regel auf die Zeit vor 1989.

Dabei steckt ein komplexes demographisches Phänomen dahinter: Dem Wirtschaftsabbau Anfang der 90er Jahre folgte Armut folgte Wegzug von Frauen, die im Westen Arbeit und Bildung fanden. So gibt es nun einen überdurchschnittlichen Anteil von Männern, die keine Perspektive sehen: Denn würden sie eine Perspektive sehen, wären sie nicht mehr da. Das alte Rollenbild — der Mann, der für seine Familie arbeitet — greift nicht mehr und daraus erwächst Frustration. Auch da ist stark vereinfacht, das wird hier weit detaillierter ausgeführt.

Hinzu kommt: Die etablierten Parteien haben viele Orte im Osten bereits abgeschrieben, Nazis und NPD sind jedoch präsent mit Freizeitangeboten für Jugendliche und mit Schuldzuweisungen nach außen.

So vereinfachend es auch klingen mag:  An der aktuellen Situation ist die aktuelle Politik Schuld, nicht ein Land, das es seit über 20 Jahren nicht mehr gibt.

Nicht nur heiße Luft 3

Ach, was wurde über das DDR-Doping gespottet. Über Anabolika, das aus Frauen Männern mache, unnatürliche Muskeln wachsen lasse und überhaupt: Das ganze war ja doch nur Kalter Krieg. Nicht so im sauberen Westen, in dem der Sport noch sportlich genommen wurde. Der Aufruhr um die völlig überraschenden Doping-Fälle bei der Tour de France vor einigen Jahren spricht da Bände.

Aber nun zeigt sich: Auch der Westen hat gedopt — in einer Weise, die in sport- und menschenverachtender Weise kaum hinter den DDR-Maßnahmen zurücksteht: „Aufpumpen“ wurde hier noch ernstgenommen, zumindest wenn man der Süddeutschen Zeitung glauben kann.

Publikation zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit

Einer der Gründe dafür, dass es bei der Integration der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik zu erheblichen Spannungen zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen kam, war sicherlich, dass die Kenntnisse über die einst eingemauerte DDR im Westen gering waren. Doch auch die Bereitschaft der Westdeutschen, die für sie unbekannten Erfahrungen und Sichtweisen der Ostdeutschen kennen zu lernen, sie zu verstehen oder zumindest zu akzeptieren, entwickelte sich nicht so, wie es von vielen Ostdeutschen erhofft wurde.

Dieser kritische Blick auf die Rolle Westdeutschlands beim Vereinigungsprozess ist unter dem Titel „Ostalgie. Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren“ bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen erschienen. Der Sozialwissenschaftler Thomas Abbe untersucht darin, wie Symbole der DDR-Zeit aus dem öffentlichen Raum verschwanden und als „Ostalgie“ wieder auftauchten. Diese versteht er als „Laien-Diskurs über Vergangenheit und Gegenwart der Ostdeutschen“ und damit als Möglichkeit, aktiv über die eigene Vergangenheit zu bestimmen:

Ostalgie weist – mehr oder weniger demonstrativ – darauf hin, dass ein Teil der Ostdeutschen bei ihrer Integration in das vereinigte Deutschland, auf ihre eigenen, von denen der westdeutschen Mehrheit abweichenden Erfahrungen, Erinnerungen und Werte nicht verzichten wollen.